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Erbschaftsangelegenheit Sohn und weitere Erbin

Veröffentlicht:
07.09.2018
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Kindes- und Erwachsenenschutz

Sehr geehrte Dame
Sehr geehrter Herr
Für den Sohn besteht eine Beistandschaft gemäss Art. 394 in Verbindung mit Art. 395 ½ (Verwaltungs- und Vertretungsbeistandschaft).
Als Beistand des Sohnes wurde ich mit folgender Erbschaftsangelegenheit konfrontiert:
Kurz vor dem Tod der Mutter wurde ein Testament von ihr im Spital abgefasst.
Darin wird erwähnt, dass mein Mandant auf den Pflichtteil gesetzt wird und der Rest an eine andere Person, in deren Wohn- und Lebensgemeinschaft die Mutter vorher gelebt hat, geht.
Ob und wie die Mutter zur Zeit der Testamentabfassung zurechnungs- und handlungsfähig ist, entzieht sich meinem Wissen.
Der Sohn steht derzeit noch unter einer Massnahme nach StGB 59 (stationäre MN).
Aus einer mir bekannten Quelle habe ich erfahren, dass die Erbin des Restvermögens wegen „Erbschleicherei“ bereits bei der Justiz aufgefallen sei. Eine Verurteilung sei bisher nicht erfolgt.
Mit der gesamten Erbschaftsangelegenheit ist das Notariat Frauenfeld beauftragt worden. Als Beistand des Sohnes habe ich gegen die Ausstellung des Erbscheines Beschwerde eingelegt.
Meine Fragen:
• Wie ist das weitere Vorgehen?
• Wie und wo kann ich abklären, ob das Testament seine Gültigkeit hat? (Zurechnungs- und Handlungsfähigkeit?).
• Sofern eine Klage gegen das Testament Sinn macht, wie gehe ich dabei vor?
Gemäss den mir zur Verfügung stehenden Steuerunterlagen hat sich die Vermögenssituation (Sparkontos) schon vor ihrem Tod in den letzten Jahren minimiert.
Besten Dank für Ihre Beratung zu Voraus.
Freundliche Grüsse
Ronald Sutter
Ronald Sutter, Berufsbeistand
Sozialarbeiter FH
Industriestrasse 27
8604 Volketswil
Tel: 044-801 99 54
mail: ronald.sutter@sdbu.ch

Frage beantwortet am

Karin Anderer

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Sehr geehrter Herr Sutter
Nach Art. 519 ZGB kann eine Verfügung von Todes wegen auf Klage hin für ungültig erklärt werden,
1.wenn sie vom Erblasser zu einer Zeit errichtet worden ist, da er nicht verfügungsfähig war;
2.wenn sie aus mangelhaftem Willen hervorgegangen ist;
3.wenn ihr Inhalt oder eine ihr angefügte Bedingung unsittlich oder rechtswidrig ist.
Soll das Testament wegen fehlender Urteilsfähigkeit der Mutter im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments angefochten werden (Verfügungsunfähigkeit), trägt der Kläger die Beweislast. Die Urteilsfähigkeit wird nach Art. 16 ZGB vermutet, sofern nicht gegenteilige Anzeichen deutlich sind. Urteilsunfähigkeit liegt auch dann vor, wenn die Widerstandsfähigkeit gegenüber der Beeinflussungen durch Dritte, welche für sich profitieren möchten, reduziert ist. Ein Indiz dafür können sogenannte „Last-minute“ oder „Kurswechsel-Testamente“ sein (vgl. dazu Breitschmid, Eitel, Fankhauser, Geiser, Jungo, 3. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2016, S. 125).
Der Sohn hat also die Urteilsunfähigkeit der Mutter im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments durch Indizien zu beweisen, wie Zeugenaussagen, Gutachten, medizinische Berichte, „Kurswechsel-Testament“ usw. Ist aufgrund der Lebenserfahrung bei der Mutter im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments von der Vermutung der Urteilsunfähigkeit auszugehen, z.B. weil sie dement oder längere Zeit somatisch schwer krank war (mit Auswirkungen auf die geistigen Fähigkeiten), so hat die beklagte Person einen sogenannten luziden Intervall zu beweisen; sie muss also beweisen, dass die Mutter trotz ihrer grundsätzlichen Urteilsunfähigkeit im Moment der Testamentserrichtung im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte, also urteilsfähig, war.
Sie schreiben, dass die Mutter „vorher“ bei der begünstige Person „in deren Wohn- und Lebensgemeinschaft gelebt hat“. Die Ungültigkeitsklage kann auch wegen Sittenwidrigkeit erhoben werden. Eine Anordnung, die Zuwendungen an Vertrauenspersonen enthält, wie Pflegepersonal, Ärzte und Rechtsanwälte, kann sittenwidrig sein, da diesen gegenüber die Widerstandsfähigkeit, wie oben bei der Urteilsfähigkeit erwähnt, naturgemäss noch zusätzlich herabgesetzt ist. Auch hierfür trägt der Sohn die Beweislast (vgl. CHK-Fankhauser ZGB 519 N 4; Breitschmid, Eitel, Fankhauser, Geiser, Jungo, 3. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2016, S. 130 ff.).
Sie haben im vorliegenden Fall also weitere Abklärungen zu treffen, damit Sie einschätzen können, ob eine Klage Sinn macht. Erkundigungen bei Pflegepersonal, dem behandelnden Arzt, dem Hausarzt und weiteren Bezugspersonen können hier helfen. Allerdings können sich gewisse Personen auf ihre ihre Schweigepflicht berufen. Dann müssten Zeugenbefragungen, ein Gutachten oder die Editierung der Krankenakten vor Gericht beantragt werden. Diese Einschätzung ist keine einfache Angelegenheit, auch ist die Prozess- und Beweisführung anspruchsvoll. Eine anwaltliche Vertretung wäre allenfalls zu prüfen.
Die Ungültigkeitsklage ist nach Art. 28 ZPO am letzten Wohnsitz der Erblasserin einzureichen. Regelmässig gelangt man im ersten Schritt an den Friedensrichter.
Nach Art. 521 Abs. 1 ZGB kann der Ungültigkeitsgrund innerhalb 1 Jahres seit Kenntnis der Verfügung und des Ungültigkeitsgrundes geltend gemacht werden, danach ist die Geltendmachung verwirkt. Die absolute Verjährungsfrist beträgt 10 Jahre nach Eröffnung der Verfügung. War die von der Mutter bedachte Person bösgläubig, betragen beide Fristen 30 Jahre, wenn als Ungültigkeitsgrund die Verfügungsunfähigkeit oder die Rechts- und Sittenwidrigkeit geltend gemacht wird. Bösgläubigkeit liegt vor, wenn die Bedachte die Ungültigkeit kannte oder hätte kennen müssen (CHK-Fankhauser ZGB 521 N 2).
Ist der Sohn mit der Klage einverstanden und diesbezüglich urteilsfähig, benötigen Sie für die Prozessführung keine Zustimmung nach Art. 416 Abs. 1 Ziff. 9 und Abs. 2 ZGB. Ist er urteilsunfähig, müssen Sie die Zustimmung zur Prozessführung bei der KESB einholen, idealerweise gleich mit einer Substitutionsbefugnis.
Betreffend Kontostand: Steht es im Raum, dass die Mutter Opfer von Vermögensdelikten gewesen sein könnte, sind weitere Abklärungen nötig. Der Sohn kann strafrechtliche Schritte einleiten. Als pflichtteilsgeschützter Erbe kann er bereits jetzt schon die Kontoauszüge bei der Bank einverlangen, auch wenn gegen die Ausstellung des Erbscheines Einsprache eingelegt wurde.
Ich hoffe, die Angaben sind Ihnen nützlich und ich grüsse Sie freundlich
Luzern, 12.9.2018
Karin Anderer