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Entscheidungsbefugnis

Veröffentlicht:
06.03.2018
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Kindes- und Erwachsenenschutz

Sehr gehrter Herr Vogel
Wir sind eine vom kantonalen Jugendamt bewilligte Institution für Kinder und Jugendliche die stationär bei uns platziert sind. Die Kindsschutzmassnahmen sind sehr unterschiedlich, von freiwillig bis dem Entzug des Sorgerechts. Einen Beistand haben alle Klienten.
Unsere Frage ist Folgende: Welche Entscheidungen dürfen die Sozialpädagogen eigenmächtig treffen und welche müssen mit den Eltern bzw. dem Beistand besprochen werden. Welche Entscheidungsbefugnis haben wir als Institution? Dürfen wir beispielsweise die Übernachtung im Zimmer eines anderen Klienten im selben Alter erlauben? Die Fragen beziehen sich lediglich auf den rechtlichen Rahmen. Unsere Beistände/KESB konnte uns keine befriedigende Antwort auf unsere Fragen geben.
Freundliche Grüsse
Jörg Pieper

Frage beantwortet am

Karin Anderer

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Sehr geehrter Herr Pieper
Ich versuche eine allgemeine Antwort zu geben, die aufgeworfenen Fragen lassen sich im Rahmen einer Kurzberatung nicht befriedigend beantworten.
Durch den Abschluss eines Heim- oder Platzierungsvertrages werden gegenseitig Rechte und Pflichten eingegangen. In der Regel werden weitere Unterlagen, wie z.B. ein Sexualpädagogikkonzept und eine Hausordnung abgegeben. Es kann institutionelle Vorgaben geben, z.B. dass externe Besucher nachts nicht erlaubt sind oder dass sich Mädchen und Buben nachts oder auch tagsüber nicht gemeinsam in einem Schlafzimmer aufhalten dürfen. Solche Regeln sind beachtlich.
Institutionen für Kinder- und Jugendliche haben für den Schutz und die Unversehrtheit der ihr anvertrauten Kinder- und Jugendlichen zu sorgen, das ergibt sich aus Art. 331-333 ZGB (Regeln der Hausgewalt) sowie aus Art. 219 StGB (Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht).
Nach Art. 301 ZGB leiten die Eltern im Blick auf das Wohl des Kindes seine Pflege und Erziehung und gewähren dem Kind die seiner Reife entsprechende Freiheit der Lebensgestaltung und nehmen in wichtigen Angelegenheiten, soweit tunlich, auf seine Meinung Rücksicht. Als Institution vertreten Sie die Eltern in der Ausübung der elterlichen Sorge, soweit es zur gehörigen Erfüllung der Aufgabe angezeigt ist (Art. 300 A septies in analoger Anwendung).
Die gehörige Vertretung der Eltern beinhaltet grundsätzlich zwei zentrale Elemente. Einerseits die Vertretung in der alltäglichen Erziehungs- und Betreuungsarbeit, andererseits die Vertretung ausserhalb der Alltagserziehung. In der Alltagserziehung hängt der Umfang der Vertretungsmacht und Vertretungskompetenz vor allem von der Art des Pflegeverhältnisses (Tagespflege oder Familienpflege, Pflege zur Adoption, Institutionelles Pflegeverhältnis) und von der Dauer des Pflegeverhältnisses ab. Vorliegend wird der Umfang grundsätzlich durch das Heimkonzept etc. definiert. Die Institution trifft die Entscheidungen, welche nach der Natur der Sache üblicherweise der unmittelbar erziehenden Person obliegen. Unter die Vertretungshandlungen fallen beispielsweise die alltägliche Erziehung, die Pflege und die Ernährung des Kindes, die Bestimmung über den alltäglichen Aufenthaltsort des Kindes, die Begleitung in schulischen und beruflichen Fragen, die Überwachung des Kontaktes mit Dritten, die Unterstützung und Mitgestaltung der sozialen Beziehungen und die Begleitung und Förderung in der Freizeitgestaltung. Die Pflegeeltern haben dabei die Bedürfnisse des Kindes, seine spezielle Lebenssituation und das ursprüngliche soziale Umfeld in ihren Vertretungshandlungen zu berücksichtigen.
Die genauen Befugnisse der Pflegeeltern im Alltag sind einem steten Wandel unterzogen, je nach Intensität und Dauer des Pflegeverhältnisses, und lassen sich nicht statisch fixieren. Der konkrete Gestaltungs- und Entscheidungsspielraum der Pflegeeltern (und damit der Institution) ist umso grösser, je länger die Fremdbetreuung andauert, da die Pflegeeltern in der sozialpsychischen Elternstellung in der Regel die konkreten Bedürfnisse der Kinder besser kennen und wahrnehmen können als die leiblichen Eltern, die vom konkreten Erziehungsalltag mit dem Kind zunehmend entfremdet sind.
Das wäre mal der rechtliche Rahmen. Ich erlaube mir trotzdem noch eine weitere Bemerkung. Die Arbeit mit Kindern- und Jugendlichen bedeutet auch immer Arbeit mir den Eltern, einem Elternteil oder einer engen Bezugspersonen. Einrichtungen und Beistände unterstützen Eltern in ihren Erziehungsaufgaben, befähigen sie in der Erlangung oder Beibehaltung ihrer Kompetenzen und Verantwortung. Deshalb sollen Fragen der Lebensgestaltung der Kinder gemeinsam angegangen und diskutiert werden, insbesondere dort, wo die Ansichten auseinanderfallen.
Ich hoffe, die Angaben sind Ihnen nützlich und ich grüsse Sie freundlich.
Karin Anderer
Luzern, 14.3.2018

Sehr geehrte Frau Anderer
Vielen herzlichen Dank für die nützliche Antwort meiner Frage.
Freundliche Grüsse
Jörg Pieper