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Entbindung vom Berufsgeheimnis

Veröffentlicht:
08.04.2021
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Kindes- und Erwachsenenschutz

Müssen sich Spitex Mitarbeitende vom Berufsgeheimnis befreien lassen, wenn sie eine Gefährdungsmeldung bei der KESB einreichen.

Besten Dank für Ihr Feedback.

Frage beantwortet am

Karin Anderer

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Grüezi Frau Rösli

Um welchen Kanton handelt es sich?

Freundliche Grüsse

Karin Anderer

Grüezi Frau Anderer

Um den Kanton Luzern. Gilt somit schweizweit nicht dasselbe?

Freundliche Grüsse

Kerstin Rösli

Frage beantwortet am

Karin Anderer

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Sehr geehrte Frau Rösli

Ja, es kann hier kantonale Unterschiede geben, das bundesrechtliche Berufsgeheimnis kann durch kantonal geregelte Meldevorschriften durchbrochen werden.

Hilfreich für Ihre Praxis kann das Merkblatt der KOKES vom März 2019, Melderechte und Meldepflichten an die KESB nach Art. 314c, 314d, 443 sowie 453 ZGB sein (siehe auch den Anhang).

Art. 443 ZGB regelt die Melderechte du Meldepflichten für hilfsbedürftige Erwachsene:

1 Jede Person kann der Erwachsenenschutzbehörde Meldung erstatten, wenn eine Person hilfsbedürftig erscheint. Vorbehalten bleiben die Bestimmungen über das Berufsgeheimnis.

2 Wer in amtlicher Tätigkeit von einer solchen Person erfährt und der Hilfsbedürftigkeit im Rahmen seiner Tätigkeit nicht Abhilfe schaffen kann, ist meldepflichtig. Vorbehalten bleiben die Bestimmungen über das Berufsgeheimnis.

3 Die Kantone können weitere Meldepflichten vorsehen.

Der Kanton Luzern hat in § 46 EGZGB (Einführungsgesetz zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch, SRL 200) weitere Meldepflichten vorgesehen:

1 Jede Person kann der KESB oder der Gemeinde Meldung erstatten, wenn eine erwachsene Person oder ein Kind hilfsbedürftig erscheint.

2 Mitarbeitende des Kantons, der Gemeinden und privater Institutionen in den Bereichen Bildung, Betreuung und Pflege, die in Ausübung ihres Berufes von der Hilfsbedürftigkeit einer erwachsenen Person oder eines Kindes Kenntnis erhalten, sind zur Meldung und Auskunft verpflichtet.

3 Vorbehalten bleiben die Bestimmungen über das Berufsgeheimnis

Bei der Spitex handelt es sich um Personen, die eine amtliche Tätigkeit ausüben (vgl. Merkblatt der KOKES vom März 2019, S. 4 f.).

Nach Art. 443 Abs. 2 ZGB wie auch nach § 46 EGZGB besteht für Spitexmitarbeitende im Kanton Luzern eine Meldepflicht. Vorbehalten bleiben die Bestimmungen über das Berufsgeheimnis.

Das Berufsgeheimnis ist in Art. 321 StGB geregelt:

1. Geistliche, Rechtsanwälte, Verteidiger, Notare, Patentanwälte, nach Obligationenrecht zur Verschwiegenheit verpflichtete Revisoren, Ärzte, Zahnärzte, Chiropraktoren, Apotheker, Hebammen, Psychologen, Pflegefachpersonen, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Ernährungsberater, Optometristen, Osteopathen sowie ihre Hilfspersonen, die ein Geheimnis offenbaren, das ihnen infolge ihres Berufes anvertraut worden ist oder das sie in dessen Ausübung wahrgenommen haben, werden, auf Antrag, mit Freiheits­strafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.

Ebenso werden Studierende bestraft, die ein Geheimnis offen­baren, das sie bei ihrem Studium wahrnehmen.

Die Verletzung des Berufsgeheimnisses ist auch nach Beendi­gung der Berufsausübung oder der Studien strafbar.

2. Der Täter ist nicht strafbar, wenn er das Geheimnis auf Grund einer Einwilligung des Berechtigten oder einer auf Gesuch des Täters erteilten schriftlichen Bewilligung der vorgesetzten Behörde oder Aufsichtsbehörde offenbart hat.

3.Vorbehalten bleiben die eidgenössischen und kantonalen Bestimmungen über die Melde- und Mitwirkungsrechte, über die Zeugnispflicht und über die Auskunftspflicht gegenüber einer Behörde.

Somit benötigt es keine Entbindung vom Berufsgeheimnis, wenn die Spitexkundschaft in die Gefährdungsmeldung einwilligt.

Ob Spitexmitarbeitende unter dem Berufsgeheimnis stehen, ist nicht restlos geklärt. Ein Spitexbetrieb steht idR nicht unter ärztlicher Leitung und führt keine delegierten Tätigkeiten aus, weshalb m.E. Spitexmitarbeitende nicht als Hilfspersonen der Ärzteschaft zu qualifizieren sind. Sicher fallen aber Informationen, die ärztlichen Anordnungen entnommen werden können, unter das Berufsgeheimnis.

Mit ist bekannt, dass der Spitexverband Luzern sich mit der Gefährdungsmeldung an die KESB beschäftigt hat und eine Entbindung vom Berufsgeheimnis empfiehlt. Ich empfehle Ihnen, dass die Leitung der Spitex in Zusammenarbeit mit dem Spitexverband Luzern den Prozessablauf für den Betrieb verbindlich klärt. Auch kann die kantonale Datenschutzstelle kontaktiert werden. Im Zweifel sind Sie mit einer Entbindung vom Berufsgeheimnis auf der sicheren Seite.

Besteht die ernsthafte Gefahr, dass eine hilfsbedürftige Person sich selbst gefährdet oder ein Verbrechen oder Vergehen begeht, mit dem sie jemanden körperlich, seelisch oder materiell schwer schädigt, sind Berufsgeheimnisträger und Berufsgeheimnisträgerinnen nach Art. 453 ZGB berechtigt, der KESB eine Meldung zu erstatten. In solchen Fällen, wenn also eine ernsthafte Gefahr einer schweren Schädigung besteht, benötigen Spitexmitarbeitende keine Entbindung vom Berufsgeheimnis (vgl. Merkblatt der KOKES vom März 2019, S. 9 f.).

Ich hoffe, die Angaben sind nützlich und ich grüsse Sie freundlich.

 

Karin Anderer

Luzern, 13.4.2021

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