Guten Abend
Bei einer Person (64-jährig) mit AHV zur EL steht eine umfassende Zahnbehandlung an. 12 Zähne sind defekt. Die EL-Stelle lehnt es ab, die 12 Zähne zu "flicken", sondern finanziert ledich die vollständigen Extraktion sowie eine herausnehmebare Prothese. Sollte sich die Frau für den Erhalt der Zähne entscheiden, müsste sie sämtliche Kosten übernehmen.
Ist es korrekt, dass die Person in diesem Fall sämtliche Kosten selber tragen muss? In einem früheren Bundesgerichtsurteil, welches ich nicht mehr finden konnte, wurde verfügt, dass die EL in einem ähnlichen Fall, die Kosten für die einfache, wirtschaftliche und zweckmässige Behandlung übernehmen muss. Dies auch dann, wenn sich eine Person für eine andere Behandlung entscheidet.
Wie ist Ihre juristische Einschätzung?
Wir haben einen ähnlichen Fall: hier geht es um den Ersatz einer 10-jährigen Prothese (bereits abgenutzt). Die EL-Stelle lehnt einen Ersatz ab mit der Begründung eine Unterfütterung würde ausreichen, obwohl dies bereits mehrmals gemacht wurde. Zudem musste die Prothese in den letzten Monaten mehrmals repariert werden. Müsste sich die EL an den Kosten in der HÖhe der Unterfütterung auch dann bezahlen, wenn sich die Person für eine neue Prothese entscheidet?
Ist Ihre Einschätzung zum zweiten Fall abweichend?
Danke bestens und herzliche Grüsse
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Guten Tag! Für eine genauere Antwort für beide Fälle müsste ich wissen, in welchem Kanton die beiden Fälle spielen. Könnten sie dies noch mitteilen?
Beste Grüsse Peter Mösch Payot
Guten Tag Herr Mösch
Beide sind Kanton Neuenburg.
Freundliche Grüsse!
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Guten Tag!
a) Gemäss Art. 14 Abs. 1 lit. a ELG vergüten die Kantone den Bezügerinnen und Bezügern einer jährlichen Ergänzungsleistung die ausgewiesene, im laufenden Jahr entstandene Kosten für zahnärztliche Behandlungen.
Gemäss Art. 14 Abs. 2 ELG bezeichnen die Kantone die Kosten, die hierbe vergütet werden können. Sie können die Vergütung auf im Rahmen einer wirtschaftlichen und zweckmässigen Leistungserbringung erforderliche Ausgaben beschränken.
Art. 14 Abs. 3 bis Art. 14 Abs. 6 ELG beschreibt dann die differenzierten Höchstbeträge, auf welche die Kantone die Leistungsübernahme beschränken können.
Die Frist für die Geltendmachung ist 15 Monate (Art. 15 ELG).
b) Im Kanton Neuenburg wurde die Übernahme der Vergütung für Zahnarztkosten auf die für eine wirtschaftliche und zweckmässige Leistungserbringung notwendigen Ausgaben beschränkt (Art. 2 und Art. 11 Règlement relatif au remboursement des frais de maladie et des frais résultant de l'invalidité en matière de prestations complémentaires (RFMPC), RSN 820.304)
Konkret lautet die Normierung folgendermassen:
Frais de traitement dentaire
Art. 11 1Sous réserve de l'alinéa 3, les frais de traitement dentaire sont remboursés dans la mesure où il s'agit d'un traitement simple, économique et adéquat.
2Le tarif de l'assurance-accidents, de l'assurance militaire et de l'assurance invalidité (tarif dentaire LAA/LAMal/AM/Al/1994, valeur du point à 3.10) est déterminant pour le remboursement des honoraires des prestations médico-dentaires et le tarif de laboratoire LAA/LAMal/AM/1994 (valeur du point à Fr. 5.55) pour le remboursement des honoraires des travaux de technique dentaire.
3Si le coût d'un traitement dentaire, frais de laboratoire inclus, risque, selon toute vraisemblance, de dépasser 1500 francs, un devis doit être adressé à la Caisse cantonale neuchâteloise de compensation avant le début du traitement. Un montant de 1500 francs au plus sera remboursé si un traitement d'un coût supérieur à ce montant a été effectué sans approbation préalable du devis.
4Les devis et factures à présenter doivent contenir tous les éléments exigés par le tarif LAA/LAMal/AM/AI/1994.
c) Die Neuenburger Gesetzgebung beinhaltet soweit ersichtlich keine genaueren Angaben dazu, inwieweit eine einfache und zweckmässige Behandlung vorliegt.
Die Rechtsprechung hat für eine ähnliche Regelung im Kanton BS schon länger festgehalten, dass eine Konkretisierung hiervon, die sich an den Empfehlungen der Vereinigung der Kantonszahnärzt/innen (VKZS) anlehnt, zulässig ist. Vgl. BGE 130 V 185 und Urteil 9C_576/2013 vpm 15.4.2014.
Siehe dazu https://kantonszahnaerzte.ch/behandlungsempfehlungen/
Ich rate Ihnen, diese Empfehlungen zu konsultieren und soweit die hier fraglichen Behandlungen dem gemäss zweckmässig erscheinen, am besten mit einer entsprechenden Bestätigung der/des behandelnden ZahnmedizinerIn, eine Einsprache formulieren und zu verlangen, dass die Konkretisierung der Frage, was bzgl. Behandlung "simple, économoique et adéquate" ist, sich nach dieser Empfehlung zu richten hat
d) Für die weitere hier gestellte Frage, ob und inwieweit bei einer gewählten anderen Lösung immerhin der Betrag für eine Behandlung, die von der Ausgleichskasse als einfach und zweckmässig anerkannt wird, gewährt werden muss, ist gesetzlich nicht eindeutig geregelt. Anders als etwa bei den Hilfsmitteln der IV (vgl. dort Art. 8 HVI).
Das Bundesgericht hat aber diese so genannte Austauschbefugnis auch bei der EL für anwendbar erklärt, wenn die vorgesehene Behandlung zwar zweckmässig ist oder war, aber nicht einfach oder wirtschaftlich erscheint. Siehe Bundesgerichtsurteil P 44/05 vom 21. Dezember 2005 und Bundesgerichtsurteil P 59/05 vom 29.3.2006.
Ich rate also, in der Einsprache eventualiter unter Verweis auf diese Urteile zu beantragen, dass zumindest die Kosten zu tragen sind, die der EL bei einer aus ihrer Sicht einfachen, wirtschaftlichen udn adäquaten Behandlung entstanden wären (Austauschbefugnis).
Konkret könnte also das Rechtsbegehren in der Einsprache so lauten:
1. Es seien die gesetzlichen Leistungen zu gewähren. Insb. seien die vollständigen Behandlungskosten gemäss den Empfehlungen des Zahnarztes gestützt auf die Empfehlung des VKZS zu leisten
2. Eventualiter sind zumindes anteilige die Kosten zu erstatten, welche die EL hätte für eine anerkannte einfache, ökonomische und adäquate Behandlung hätte übernehmen müssen.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Prof. Peter Mösch Payot