Guten Tag
Herr X. bezieht seit vielen Jahren Ergänzungsleistungen zu seiner IV-Rente. Vor ca. 8 Jahren ist sein Vater verstorben und das Haus ist an die Erbengemeinschaft übergegangen. Das Haus gehört nun zu Hälfte der Mutter (sie versteure das gesamte Haus) und je einem Viertel Herr X. und seinem Bruder. Herr X. bewohnt dieses Haus zusammen mit seiner Mutter und er bezahlt ihr monatlich einen Mietanteil. Dieser Betrag ist in der EL-Berechnung unter der Wohnkosten aufgeführt.
Herr X. hat der EL diese Erbschaft nicht gemeldet. Welches Vorgehen würden Sie Herr X. empfehlen?
Besten Dank!
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Sehr geehrte Frau Kayser
1) Herr X ist verpflichtet alle für die Berechnung der EL relevanten Informationen an die Ausgleichskasse zu melden (Art. 31 ATSG und Art. 24 ELV). Die entsprechende Meldepflicht betrifft je nach Auftrag sowie Auftreten gegenüber der Sozialversicherung auch BeiständInnen (vgl. BGE 112 V 101), wobei dort unter Umständen die Schweigepflicht einer Meldung entgegen stehen kan
2) Soweit er die Meldung bewusst und vorsätzlich unterlässt, kann dies den Tatbestand des Betruges oder des unrechtmässigen Sozialleistungsbezuges erfüllten (Art. vgl. Art. 148a StGB, siehe auch 31 Abs. 1 lit. a und b ELG).
3) Soweit die fehlende Information auf einem Versehen oder Nichtwissen beruht (was bis zum Beweis des Gegenteils anzunehmen ist) kann die Folge der Meldepflichtverletzung eine Rückerstattung im Rahmen von Art. 25 ATSG sein, wenn bei rechtzeitiger Meldung der Betrag der EL tiefer ausgefallen wäre.
Insoweit gilt im Einzelnen Folgendes:
a) Der Anspruch auf Rückerstattung verwirkt ein Jahr nachdem die Versicherungseinrichtung Kenntnis davon hat, dass zu Unrecht Leistungen erbracht wurden (Art. 25 Abs. 2 ATSG) und in jedem Fall -vorbehältlich strafrechtlicher Tatbestände mit längeren Verwirkungsfristen - nach fünf Jahren.
b) Kein Rückerstattungsanspruch besteht für Personen in gutem Glauben, für die die Rückerstattung eine grosse Härte bedeuten würde (Art. 25 Abs. 1 Satz 2 ATSG). „Guter Glaube“ und „grosse Härte“ müssen kumulativ vorhanden sein.
Eine Leistung ist auch dann unrechtmässig bezogen, wenn einfach die Anspruchsvoraussetzungen dafür gefehlt haben, unabhängig davon, ob die versicherte Person oder ihren Beistand ein Verschulden trifft, etwa mit Blick auf Informationspflichten.
c) Grundsätzlich gilt gemäss Rechtsprechung, dass eine unverteilte Erbschaft ab Todeszeitpunkt des Erblassers beim Vermögen anzurechnen ist, sofern über seine Höhe hinreichende Klarheit herrscht. Vgl. Bundesgerichtsentscheid 3c 305-2012 vom 6. August 2012 E. 4. Vgl. auch Rz. 3443.04 der Wegleitung Ergänzungsleistungen zu AHV/IV, Stand 1.1.2020; zu finden unter http://www.bsv.admin.ch/vollzug/documents/view/1638/lang:deu/category:59).
c) Es ist also entscheidend, ob und ab wann die Meldung der Erbschaft zu einer anderen Berechnung der EL geführt hätte. Zu beachten sind dabei alle Aspekte. Vgl. dazu folgende Aspekte:
Grundsätzlich gilt gemäss Rechtsprechung, dass eine ab Todeszeitpunkt des Erblassers beim Vermögen anzurechnen ist, sofern über seine Höhe hinreichende Klarheit herrscht. Massgebend für den Zeitpunkt der Neuberechnung wegen einer unverteilten Erbschaft ist der Zeitpunkt, wenn frühestens auch bei korrekter Erfüllung der Meldepflicht der Erbanteil hinreichend klar hätte beziffert werden können (vgl. Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts P 63/02 vom 8. Mai 2003 E. 6.2.4). Dies wiederum setzt voraus, dass alle Erben und deren Erbquoten, die wesentlichen Aktiven und Passiven, insbesondere die voraussichtliche Höhe der Nachsteuer bekannt sind. Vgl. Bundesgerichtsentscheid 3c 305-2012 vom 6. August 2012 E. 4.
d) Gemäss Art. 25 ATSG muss eine auch gültig verfügte Rückerstattung nicht erfolgen, wenn der/die Betroffene die Leistung in gutem Glauben erhalten hat, falls die Rückerstattung zu einer grossen Härte führt. Die Verhaltensweisen bzw. der „gute Glaube“ der Beiständin als Vertretungsperson ist insoweit der versicherten Person anzurechnen.
Ein Erbschaftsanfall ist immer unverzüglich mitzuteilen. Spätestens bei sicherer Kenntnis von der Erbberechtigung mit Ausstellung der Erbenbescheinigung (vgl. Bundesgerichtsentscheid 3c 305-2012 vom 6. August 2012 E. 4..4.2 bzw. 4.4.3) Ob hier besondere Gründe vorliegen, die aber auf guten Glauben hinsichtlich Verzicht auf Meldung schliessen lassen, etwa die sicher geglaubte Annahme, es sei gar kein positiver Anteil zu erben etc., könnte nur bei genauer Analyse des Sachverhalts eruiert werden.
Zusätzlich zum guten Glauben muss für den Verzicht auf eine Rückerstattung diese für den Betroffenen eine grosse Härte darstellen (Art. 4 Abs. 3 ATSV). Wann die Voraussetzungen einer grossen Härte erfüllt sind, umschreibt Art. 5 ATSV (Verordnung über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts) detailliert und lehnt sich dabei an die für den Bezug von Ergänzungsleistungen erforderliche Vergleichsrechnung von anerkannten Ausgaben und anrechenbaren Einnahmen an: Praxisgemäss ist gemäss Art. 5 ATSV von einer grossen Härte auszugehen, wenn im Zeitpunkt des rechtskräftigen Rückerstattungserlasses die betroffene Person nach ELG-Grundsätzen mit den zusätzlichen Ausgaben höhere anerkannten Ausgaben hat als nach ELG anrechenbare Einnahmen mit einigen Besonderheiten (vgl. Art. 5 ATSV).
In der Verfügung, welche die Klientschaft trifft, hat die Ausgleichskasse auf die Möglichkeit des Erlasses hinzuweisen (Art. 3 Abs. 2 ATSV).
Das Erlassgesuch ist zu begründen, mit den nötigen Belegen zu versehen und spätestens 30 Tage nach Eintritt der Rechtskraft der Rückforderungsverfügung einzureichen. Über den Erlass hat die Ausgleichskasse eine Verfügung zu erlassen (Art. 4 Abs. 4 und 5 ATSV).
Ich rate Ihnen, sowohl für die Prüfung einer allfälligen Rückerstattungsverfügung als auch für das Erlassgesuch und die Prüfung des entsprechenden Entscheides rechtliche Beratung in Anspruch zu nehmen.
4) Zurück zur Kernfrage: Trotz der unangenehmen Aussicht der möglichen Rückerstattung rate ich zur Vermeidung allfälliger strafrechtlich relevanter Verdächtigungen, dem Klienten die unverteilte Erbschaft zu melden. Eine allfällige Rückerstattungsverfügung der EL-Stelle/Austgleichskasse ist dann allerdings genau auf die unter Ziff. 3 genannten Aspekte zu überprüfen.
Beste Grüsse
Peter Mösch Payot