Sachverhalt
Seit Mai 2021 wird von unserer Berufsbeistandschaft eine erwachsene Klientin gem. Art. 394 Abs. 1 i.V.m. Art. 395 Abs. 1 ZGB in den Bereichen Wohnen, Gesundheit, berufliche Tätigkeit, Administration und Finanzen vertreten. Die Klientin wurde im April 2021 volljährig und wird bis April 2024 von der Sozialhilfe unterstützt.
Vor der Volljährigkeit hat der Kindsbeistand am 29.01.2020 gemeinsam mit der Klientin eine IV-Anmeldung eingereicht. Mit der Verfügung vom 28.04.2021 wurde die IV-Berufsberatung seitens IV abgeschlossen, da medizinische bzw. tagesstrukturschaffende Programme im Vordergrund standen. Sobald sich die Wohnsituation und Tagesstruktur stabilisiert habe, könne sich die Klientin mit einem schriftlichen Zusatzgesuch bei der IV-Stelle melden und die IV-Berufsberatung könne dann wieder aufgenommen werden. Dem erneuten Gesuch sei die ausgefüllte Anmeldung für Erwachsene beizulegen. Ein Rentenanspruch bestehe aktuell nicht, da Eingliederungsmassnahmen vorgehen würden.
Die Situation veränderte sich wenig. Die zuständige Person der IV-Stelle Eingliederung und Rente schrieb der Beiständin am 29.11.2022, dass für die bevorstehende Prüfung des Rentenanspruchs noch eine Unterschrift und eine ausgefüllte Anmeldung nötig sei, weshalb am 19.12.2022 eine erneute IV-Anmeldung eingereicht wurde.
Mit der Verfügung vom 16.10.2023 wurde der Klientin rückwirkend ab 01.05.2021 eine ganze Invalidenrente zugesprochen (IV-Grad 100%, ausserordentliche IV-Rente). In der Verfügung steht, dass sie Anspruch auf eine ganze IV-Rente per frühstmöglichem Anspruchsdatum habe (Folgemonat nach Erreichen des 18. Lebensjahres). Wir haben diese Verfügung nicht angefochten und sie ist rechtskräftig.
Die Anmeldung auf Ergänzungsleistungen (EL) wurde innerhalb der Frist eingereicht. Die EL-Verfügung ging am 18.03.2024 ein. Gem. WEL Randziffer 2122.01 gelte, dass wenn die Rente für eine vor der Rentenanmeldung liegende Zeitspanne zugesprochen wird, der EL-Anspruch mit dem Monat der Einreichung der Anmeldung zum Bezug der Rente beginnt, also 12.2022. Die EL steigt daher erst per 12.2022 ein.
Die zuständige Mitarbeiterin der IV-Stelle bestätigte mündlich, dass bereits vor Volljährigkeit eine IV-Anmeldung gemacht wurde (am 29.01.2020). In der Verfügung stehe jedoch das Datum der Anmeldung für Erwachsene vom 19.12.2022, deshalb richte die EL die Leistungen erst ab dann aus. Die IV-Mitarbeiterin könne aber der EL (mündlich) bestätigen, dass zuvor bereits eine Anmeldung stattgefunden habe.
Fragen
Ist es korrekt, dass die EL ihre Leistungen erst ab 12.2022 ausrichtet?
Könnte der EL eine Kopie / Bestätigung der vorhergehenden IV-Anmeldung vom 29.01.2020 eingereicht werden und diese müssten dann Leistungen ab 01.05.2021 ausrichten?
Sehen Sie andere Möglichkeiten, wie die EL dazu aufgefordert werden kann, Leistungen ab 01.05.2021 auszurichten?
Da die Sozialhilfe subsidiär die Kosten übernommen hat und Sozialhilfe grundsätzlich zurückgefordert werden kann, handelt es sich um einen Haftungsfall der Beiständin, da auf die Verfügung vom 16.10.2023, in welcher der Satz bezüglich Anmeldedatum (19.12.2022) aufgeführt war, keine Beschwerde erhoben wurde?
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Guten Tag.
Gemäss Art. 22 Abs. 1 ELV gilt, dass im Fall (wie vorliegend), dass die Anmeldung für eine jährliche Ergänzungsleistung innert sechs Monaten seit der Zustellung der Verfügung über eine Rente der AHV oder der IV eingereicht wird, der Anspruch mit dem Monat der Anmeldung für die Rente, frühestens jedoch mit der Rentenberechtigung beginnt.
Vorliegend ist also die Frage, wann die für den gutgeheissenen Rentenanspruch relevante Rentenanmeldung erfolgte. Die Frage, was in der IV-Verfügung als Datum der IV_Anmeldung steht, ist aus meiner Sicht zweitrangig, wenn dann im EL-Verfahren belegt werden kann, dass eine frühere IV-Anmeldung formgültig erfolgte.
Wenn ich den Sachverhalt richtig verstehe, erfolgte eine Anmeldung für IV-Leistungen für Erwachsene erst am 19.12.2022.
Soweit die ursprüngliche Anmeldung für Jugendliche, wie im Sachverhalt dargestellt, keine Unterschrift hatte und die Rente noch nicht beantragt wurde, gilt tatsächlich erst die neue Anmeldung als Grundlage.
Eine Einsprache, die Leistungsbeginn ab 1.5.2021 verlangt, kann erfolgreich sein, wenn die ursprüngliche IV-Anmeldung eben doch formgültig war (korrekte Unterschrift etc.). Als Beweismittel wäre möglichst der Beleg der schriftlichen IV-Anmeldung vor Volljährigkeit einzureichen. Wenn dies zeitlich nicht reicht, ist in der Einsprache zu verlangen, dass die EL-Stelle von Amtes wegen die IV-Akten einfordert, welche die ursprüngliche IV-Anmeldung beinhalten. Oder es kann in der Einsprache darauf hingewiesen werden, dass die entsprechenden Belege nachgereicht werden.
Dann ist unmittelbar bei der IV Akteneinsicht zu verlangen und die Belege der ursprünglichen Anmeldung sind ins EL-Verfahren einzubringen.
Ein Haftungsfall, wie Sie erwähnen, käme vorliegend nur in Frage, wenn im EL-Verfahren rechtskräftig entschieden würde, dass die Nichtanfechtung der IV-Verfügung bedeutsam dafür war, ab wann von einer IV-Anmeldung ausgegangen wird. Davon gehe ich aber, wie beschrieben, nicht aus.
Beste Grüsse
Peter Mösch Payot
Wir haben eine Anschlussfrage:
In der Zwischenzeit haben wir eine Einsprache eingereicht mit der Begründung, dass bereits vor Volljährigkeit eine Anmeldung um Leistungen der IV vorlag (Anmeldung für berufliche Massnahmen von 2008). Es handelt sich um eine formgültige Anmeldung welche beigelegt werden konnte.
Die Einsprache wurde abgelehnt mit der Begründung, dass sich die Rz. 2122.03 nicht auf die Erstanmeldung beziehe, sondern nur auf die Anmeldung einer Rente welche wiederum den EL-Anspruch begründe.
Wir gedenken, keine Beschwerde zu erheben. Für die Beratung ergeben sich daraus jedoch Folgefragen.
Eine Rentenanmeldung kann erst mit Erreichen der Volljährigkeit vorgenommen werden. Die Rückmeldung/Auslegung der EL Stelle würde bedeuten, dass es in solchen Fällen immer zu einer Differenz betr. Anspruchsbeginn der IV und der ZL kommt.
Für die Beratung sehen wir folgende zwei Optionen um die Situation zukünftig zu vermeiden:
- Provisorische Anmeldung für Rentenleistungen ab Volljährigkeit jedoch mit dem Hinweis, dass berufliche Massnahmen weiterhin Vorrang haben.
- Vorteil: Anmeldedatum bei späterer Gutsprache der IV auch für EL klar und kein Verlust von EL Geldern
- Nachteil: Gefahr einer frühzeitigen Ablehnung durch die IV und allenfalls Nachteile bei späteren Verfahren, da unklar ist, wie die IV mit einer solchen Anmeldung umgeht
- Rente weiterhin erst nach Erreichen der Volljährigkeit beantragen mittels ergänzender Anmeldung, aber allenfalls Einsprache bei IV Vorbescheid mit dem Hinweis, dass Erstanmeldung als Basis für Rentenentscheid genannt werden muss.
- Nachteil: Unklarer Ausgang und unklare gesetzliche Grundlage ob sich die IV bei einem Rentenentscheid auf das Anmeldedatum während Minderjährigkeit stützen kann
Welche Empfehlung würden Sie geben um dem entgegenzuwirken resp. sehen Sie andere Optionen?
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Guten Tag
Wie in der ersten Antwort bereits ausgeführt halte ich den Einspracheentscheid für korrekt. Wenn darin wie offenbar vorliegend keine Anmeldung auf eine Rente erfolgte.
Aus Ihren Folgerungen rate ich dazu, in Fällen, wo eine Rentenleistung in Frage kommt vor der Volljährigkeit die gesetzlichen Leistungen zu beantragen. Dazu gehört neben den beruflichen Massnahmen auch subsidiär eine Rente, wenn deren Voraussetzungen gegeben sind.
Der von Ihnen genannte mögliche Nachteil für allfällige spätere Verfahren (Glaubhaftmachen der erheblichen Änderung der Situation für ein Eintreten auf ein Wiederanmeldung; vgl. Art. 87 Abs. 2 IVV; dazu vertiefend Rz 5000ff. KSIR) kann aus meiner Sicht nur bedingt zum Tragen kommen: Nämlich dann, wenn materiell überhaupt die Voraussetzungen für eine Rente geprüft wurden. Und dies wiederum ist gemäss Art. 28ff. IVG nur der Fall, wenn sich die Erwerbsfähigkeit oder die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, nicht durch zumutbare Eingliederungsmassnahmen wieder herstellen, erhalten oder verbessern lassen können.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Prof. Peter Mösch Payot