Herr A. hat im November 2020 eine ganze IV Rente zugesprochen bekommen. Rentenbeginn ist der 1.3.2020.
Die Ehefrau, Frau A. ist ebenfalls in einem IV Verfahren, ihre Anmeldung wurde im Jahr 2018 eingereicht. Zum Zeitpunkt des Rentenentscheides zu Gunsten Herr A. war das Verfahren bei Frau A. im Status der «Rentenprüfung».
Mit Erhalt des Rentenbescheides wurde für die Familie A. (sie leben zusammen mit zwei Kindern) ein EL Antrag gestellt.
Der EL Antrag wurde im März 2021 eingereicht und nach einer Bearbeitungszeit von 5 Monaten hat die EL in diesen Tagen die Verfügung erlassen.
Grundsätzlich besteht ein Anspruch auf EL, jedoch wird mit Bezug auf Art. 163 ZGB: bei der Bedarfsrechnung der Einbezug eines hypothetischen Einkommens der Ehegattin gemacht. Die Begründung auf der EL Verfügung lautet wie folgt:
"......Ihre Ehepartnerin weist keine Invaliditätsgrad aus. Somit muss grundsätzlich ein hypothetisches Einkommen in der Höhe de doppelten Lebensbedarfes für Alleinstehende ini der Berechung berücksichtig werden.......
..... Damit noch vor Abschluss des IV-Verfahrens auf die Anrechnung des hypothetischen Einkommens für Ihre Ehegattin verzichtet werden kann, muss eine Anmeldun ... beim Arbeitsamt Ihrer Wohnsitzgemeinde erfogen. Bitte weisen Sie beim Arbeitsamt diese EL-Verfügung vor. Senden Sie der zuständigen Zweigstelle ein Kopie der Anmeldebestätigung des RAV für Ihre Ehegattin. Sollte aufgrund der fehlenden Mitwirkung eine Abmeldung beim RAV erfolgen, wird am dem Folgemonat das hypothetische Erwerbseinkommen wieder berücksichtigt...."
Der Ehefrau A. wird von ihrem Hausarzt seit längerer Zeit eine 100% Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Ein IV Vorbescheid liegt vor, darin wird ein IV Grad von 34 % festgehalten. Die Berechnung basiert auf der gemischten Berechnungsmethode. Bei der Erwerbstätigkeit wird von einer 50% Einschränkung ausgegangen. (Gegen den IV Vorbescheid wird Einsprache gemacht, bis ein rechtskräftiger IV Entscheid vorliegt wird es noch einige Zeit dauern)
Fragen:
Was ist davon zu halten, wenn einzig unter Bezugnahme der ehelichen Unterhaltspflicht Art. 163 ZGB von einem hypothetischen Einkommen der Ehefrau ausgegangen wird, ohne die tatsächliche gesundheitliche Situation zu berücksichtigen?
Gibt es hierzu eine Rechtsprechung welche dieses Vorgehen stützt oder ablehnt?
Mittels Anmeldung beim RAV könnte auf die Anrechnung des hypothetische Einkommen verzichtet werden. Ist dies für Frau A. überhaupt möglich, da ja von vorherein schon klar ist, dass sie nicht vermittelbar ist?
Selbst wenn die «pro forma» Anmeldung den Verzicht auf die Einrechnung des hypothetischen Einkommens zur Folge hat, wie kann dann sichergestellt werden, dass auch die rückwirkende EL ohne die Anrechnung des hyp. Einkommens erfolg? Immerhin hat es nach der Einreichung der EL Anmeldung 5 Monate gedauert, bis dieser Entscheid vorgelegen hat.
Ein weiterer «Streitpunkt» stellt die Einrechnung der Familienzulagen dar. Die Familie hat bis Ende 2020 NE Zulagen bezogen. Aufgrund des im November 2020 erfolgten Rentenentscheides und damit verbunden in der Annahme, dass ein EL Anspruch geltend gemacht werden kann, wurde das Gesuch um Verlängerung für die NE Zulagen 2021 nicht mehr gestellt. (Gemäss FamZG Art. 19 Abs. 2 besteht kein Anspruch auf NE Zulagen wenn EL bezogen wird.) Nun wertet die EL dies als «Verzichtshandlung» und rechnet die Familienzulagen gleichwohl – hypothetisch – in die Bedarfsrechnung ein. Da jetzt aber ein EL Anspruch besteht, können wohl die NE Zulagen nicht mehr geltend gemacht werden.
Was ist davon zu halten?
(Wieso komme ich mir vor wie in einem Roman von Franz Kafka?)
Herzlichen Dank für die Beantwortung meiner Fragen
Lilo Gruber
Frage beantwortet am
Daniel Schilliger
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Guten Tag
Verzichtet eine Person freiwillig auf die Ausübung einer zumutbaren Erwerbstätigkeit, so ist ein entsprechendes hypothetisches Erwerbseinkommen als anrechenbare Einnahme zu berücksichtigen. Die Anrechnung richtet sich nach Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe a (Art. 11a ELG Abs. 1).
Art. 14a und 14b ELV konkretisieren diese Regel für Menschen mit IV- oder Witwen/Witwerrenten. Für die nichtinvaliden Ehegatten in der EL-Rechnung fehlen aber entsprechende Regeln.
Es hat sich in verschiedenen Bundesgerichtsurteilen daher eine langjährige Praxis dazu entwickelt, die der Wegleitung über die Ergänzungsleistungen (WEL) entnommen werden kann.
Für die Festsetzung des zu berücksichtigenden hypothetischen Einkommens (von nicht invaliden Ehegatten) ist auf die „Schweizerische Lohnstrukturerhebung“ abzustellen, dabei handelt es sich um Bruttolöhne. Die persönlichen Umstände wie das Alter, der Gesundheitszustand, die Sprachkenntnisse, die Berufsausbildung, die bisher ausgeübten Tätigkeiten, die Dauer der Erwerbslosigkeit oder Familienpflichten (z.B. die Betreuung von Kleinkindern) sind bei der Festsetzung zu berücksichtigen.
Von diesem Bruttoeinkommen werden die obligatorischen Beiträge an die Sozialversicherungen des Bundes (AHV, IV, EO, ALV, FZL, UV) und gegebenenfalls die Betreuungskosten für Kinder nach Rz 3421.05 abgezogen. Von dem sich ergebenden Nettoeinkommen sind 80 Prozent anzurechnen (RZ 3521.04).
In der Praxis sind die so festgesetzten Einkommen oft deutlich höher, als die hypothetischen Einkommen Teilinvalider und senken den EL-Anspruch somit erheblich. Die betroffene Person kann dann versuchen Belege und Argumente vorzubringen, um die obenerwähnten persönlichen Umstände einzubringen und so eine Senkung des angerechneten Einkommens zu erreichen.
Sie kann auch versuchen, die EL dazu zu bewegen, ganz auf die Anrechnung des hypothetischen Einkommens zu verzichten. Das gelingt dann, wenn sie aufzeigen kann, dass sie alles Zumutbare unternimmt um eine Stelle zu finden, sie also die Schadenminderungspflicht umsetzt.
Dabei wird in der Regel verlangt, dass sich die Person beim RAV anmeldet (auch wenn kein Anspruch auf eine Arbeitslosenentschädigung besteht) und sie in quantitativer und qualitativer Hinsicht genügend Bewerbungen nachweist. Es ist jeweils mit der EL zu klären, in welcher Form und Kadenz diese Nachweise zu erbringen sind. Wichtig ist, dass diese Pflicht grundsätzlich nicht endet, solange EL bezogen werden, auch wenn die Suche seit Jahren erfolglos ist. Es sei denn, die persönlichen Umstände haben so geändert, dass eine Arbeitsaufnahme unzumutbar wird.
Die Anmeldung beim RAV hat auch den Effekt abzuklären, ob noch Taggelder der ALV bezogen werden können. Wenn eine versicherte Person Taggelder der ALV bezieht, wird ebenfalls kein hypothetisches Einkommen angerechnet.
Als ein möglicher persönlicher Umstand, der von einer Arbeitsaufnahme abhält, wird oft die Haushaltführungspflicht genannt. Das wird in der Praxis in der Regel jedoch nicht akzeptiert, da der Teilinvalide Ehegatte, die Teilinvalide Ehegattin diese Pflicht übernehmen kann. Es sei denn die EL-beziehende Person müsste ohne den Beistand und die Pflege des nicht invaliden Ehegatten oder der nicht invaliden Ehegattin in einem Heim platziert werden.
Als weiterer persönlicher Umstand wird erwähnt, dass die Person arbeitsunfähig ist. Bei einer geltend gemachten dauernden AUF wird die EL auf den IV-Entscheid abstellen. Wenn sich wie hier ergibt, dass im Erwerbsbereich eine 50% AUF vorliegt, ist das hypothetische Einkommen entsprechend tiefer anzusetzen. In diesem speziellen Fall, könnte man sogar die Ansätze für Menschen mit einer halben IV-Rente heranziehen (Brutto 19 610.- gemäss Art. 14a Abs. 2 lit. b IVV), wenn die Invalidität im Erwerbsbereich zwischen 50% - 59% beträgt.
Bei laufenden IV-Verfahren wird die EL die laufende EL rückwirkend anpassen, sobald der IV-Entscheid vorliegt.
Bei einer vorübergehenden AUF (weniger als 3 Monate), die für die IV nicht relevant ist, lohnt es sich die Situation direkt gegenüber der EL zu schildern und mit Arztberichten zu belegen.
Betreffend die Familienzulagen bzw. anderen SVR-Ansprüchen: Ein Gesuch kann sich manchmal schon deshalb lohnen, damit Klarheit darüber herrscht, ob ein Anspruch besteht oder nicht, was die Arbeit mit der EL vereinfacht. Wenn die EL ein hypothetisches Einkommen anrechnet, ist es zudem grundsätzlich zulässig auch Familienzulagen einzurechnen. Denn mit dem Verzicht auf ein Einkommen, verzichtet man auch auf Zulagen…
Umso wichtiger ist es also, die versicherte Person darin zu beraten und begleiten die Schadenminderungsauflagen, also die Arbeitssuche umgehend an die Hand zu nehmen.
Die letzte Frage "Wieso komme ich mir vor wie in einem Roman von Kafka?", kann ich Ihnen leider nicht beantworten. :-) Was mir in der Praxis hilft, ist in engem Austausch mit der Verwaltung zu erfragen, was sie benötigt um ihre Arbeit gut zu machen - und das dann zu liefern, wenn ich damit zum Ziel komme.
Freundlicher Gruss
Daniel Schilliger