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Einstellung Krankentaggeldleistungen

Veröffentlicht:
18.01.2021
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialversicherungsrecht

Sehr geehrte Damen und Herren

Herr G. befindet sich seit dem 06.11.2020 in unserer stationären Behandlung. Nach der Entzugsbehandlung erfolgte am 30.11.2020 der Übertritt auf unsere suchtspezifische Psychotherapiestation (Entwöhnung). Der Austritt wurde auf den 22.02.2021 festgelegt. Am 26.12.2020 erhielt Herr G. ein Schreiben der SWICA (Taggeldversicherung nach VVG). Die SWICA teilte mit, dass die Leistungen per 01.12.2020 eingestellt werden.

Zitat SWICA: Unsere Abklärungen haben ergeben, dass die Arbeitsunfähigkeit aufgrund krankheitsfremden Gründen attestiert wurde. Es besteht keine Diagnose, welche eine weitere Arbeitsunfähigkeit bedingen, resp. rechtfertigen würde. Voraussetzung für den Leistungsanspruch ist eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit. 

Nach einer Nachfrage meinerseits teilte die zuständige Fachspezialistin folgendes mit:

Zitat SWICA: Unsere Abklärungen haben ergeben, dass die Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer Suchterkrankung attestiert wurde. Eine krankheitsbedingte Leistungseinbusse liegt nicht vor. Es besteht keine ICD-Diagnose. Voraussetzung für den Leitungsanspruch ist eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit. Damit bei Sucht ein Leistungsanspruch besteht, muss die Sucht also die Qualität einer Krankheit aufweisen. Im Telefongespräch vom 09.12.2020 hat mir Herr G. bestätigt, dass er aktuell nur aufgrund der Entwöhnungstherapie arbeitsunfähig ist. SWICA richtet aus diesem Grund die Leistungen nur während des stationären Entzugs aus. Sofern sich an der Sachlage etwas ändert, bitten wir um Zustellung eines medizinischen Berichts.

Das Behandlungsteam reichte daraufhin eine ärztliche Stellungnahme ein in dem wir darauf verwiesen, dass  beim Patienten eine behandlungsbedürftige Abhängigkeitserkrankung vorliegt, welche auch nach der Internationalen Klassifikation psychischer Erkrankungen kodiert wird und somit als Krankheitswert besitzt. Somit ist der Leistungsanspruch vollends erfüllt, daher bitten wir um erneute Überprüfung. 

Leider werden während einer Suchtbehandlung vermehrt Leistungen eingestellt und wir wissen nicht, wie wir am besten darauf reagieren sollen. Das Schreiben der SWICA ist keine rechtskräftige Verfügung sonder lediglich eine Information an den Patienten. Bei den Abklärungen bezog sich die SWICA nur auf das Telefongespräch mit dem Patienten. Weitere Informationen zum Gesundheitszustand lagen zu diesem Zeitpunkt nicht vor. Nach meinen Kenntnissen ist die Krankentaggeldversicherung nicht gezwungen eine Verfügung einzureichen. Mein Frage dazu lautet also: Wie sollen wir zukünftig auf den Leistungsstopp der Taggeldversicherungen ragieren, wenn ausser der Suchterkrankung keine weitere Diagnose vorliegt? 

Vielen Dank für Ihre Rückmeldung und freundliche Grüsse

Nadine Bonderer
 

Frage beantwortet am

Daniel Schilliger

Expert*in Sozialversicherungsrecht

Guten Tag

Der Rechtsweg bei Krankentaggeldversicherungen ist davon abhängig, ob es sich um eine KVG (Krankenversicherungsgesetz) oder VVG (Versicherungsvertragsgesetz) Versicherung handelt. Die erste Kategorie gehört zum Sozialversicherungsrecht, die zweite zum Privatversicherungsrecht.

Die Frage zu welchem Versicherungszweig die KTV gehört ist aus der Police ersichtlich oder kann bei der Versicherung nachgefragt werden. Die meisten KTV stützten sich auf das VVG und gehören somit zu den Privatversicherungen. Achtung: Auch KTV, die von Krankenkassen angeboten werden, sind oft Teil der Zusatzversicherungen und stützen sich damit oft auf das VVG, nicht KVG.

Bei KVG-Versicherungen (Art. 67ff. KVG) läuft das Verfahren nach ATSG ab. Man kann also bei einer Leistungseinstellung eine Verfügung verlangen und dagegen Einsprache erheben und gegen den Einspracheentscheid eine Beschwerde beim kantonalen Gericht und schliesslich beim Bundesgericht einreichen (Art. 80ff. KVG und 49ff. ATSG).

Bei den - viel häufigeren – VVG-Versicherungen ist es im Prinzip ein Klageverfahren nach Zivilrecht. Das bedeutet, dass keine Verfügungen erlassen werden, sondern eine Klage einzureichen ist, wenn man mit einer Leistungseinstellung nicht einverstanden ist. Es ist je nach Kanton unterschiedlich, wo diese Klage eingereicht werden muss. Es gibt Kantone, die die Zuständigkeit – obwohl Zivilrecht – wegen der thematischen Nähe zum Sozialversicherungsrecht, dem kantonalen Gericht zu teilen, das auch für das Sozialversicherungsrecht zuständig ist (Versicherungsgericht, Verwaltungsgericht, Kantonsgericht, Obergericht oder ähnlich genannt). Am besten fragen Sie direkt beim kantonalen Gericht nach.

Beim Sozialversicherungsgericht Baselstadt finden Sie eine gute Vorlage für eine einfache Klage:

https://www.sozialversicherungsgericht.bs.ch/gerichtsverfahren/gesuche-klagen.html

Ich empfehle folgendes Vorgehen:

  • Rasch handeln, da im Privatversicherungsbereich kurze Verjährungsfristen bestehen. Allenfalls von der Versicherung eine Erklärung einholen, dass sie darauf verzichtet, die Verjährung geltend zu machen (das ist ein verbreitetes Vorgehen).
  • Prüfen ob eine Rechtschutzversicherung (oft auch als Zusatz bei Krankenversicherungen) besteht und diese umgehend informieren. Möglicherweise übernimmt die dann.
  • Inhaltlich ist mit einer Nachfrage bei der KTV klären, wo die Differenzen in der Beurteilung bestehen bzw. wie der Entscheid begründet wird. Gegebenenfalls Arztberichte einholen, die Bezug nehmen auf diese Differenzen.
  • Wichtig ist auch, dass in einem Arztbericht Bezug genommen wird auf die akutelle Rechtsprechung (vgl. unten). Konkret geht es vor allem um die Frage, ob Therapien möglich sind, welche Prognosen damit verbunden sind und wann diese eintreffen könnten. Diese Frage kann natürlich auch kontraproduktiv sein, wenn der Patient die Therapien nicht umsetzt und damit die Schadenminderungspflicht verletzt. Zudem muss geklärt werden, ob neben der Sucht eine Arbeitsfähigkeit besteht.
  • Mit BGE 145 V 215 vom Juli 2019 hat das Bundesgericht seine Rechtsprechung zur Beurteilung des Anspruchs auf Leistungen der Invalidenversicherung bei Vorliegen eines Abhängigkeitssyndroms geändert. Fachärztlich einwandfrei diagnostizierte Abhängigkeitssyndrome sind grundsätzlich als invalidenversicherungsrechtlich beachtliche (psychische) Gesundheitsschäden zu beachten. Die IV behandelt eine Sucherkrankung also seit diesem Entscheid wie andere psychsische Erkrankungen auch und muss nach dem strukturierten Beweisverfahren abklären, ob sich ein fachärztlich diagnostiziertes Abhängigkeitssyndrom auf die Arbeitsfähigkeit der betroffenen Person auswirkt. Diese Praxis lässt sich auch auf die KTV übertragen. Es ist nicht mehr zulässig, Sucht als "nicht relevant" darzustellen, sondern es muss im Einzelfall geprüft werden, wie weit es dieser Person möglich ist, seine Sucht zu therapieren bzw. trotz Sucht zu arbeiten.

Mit den Suchbegriffen «Einstellung Krankentaggeld» oder "Sucht" sind in diesem Forum diverse Antworten zu finden, die das Thema noch inhaltlich vertiefen.

Freundlicher Gruss

Daniel Schilliger