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Einsprache Vorbescheid IV-Rente

Veröffentlicht:
08.05.2020
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialversicherungsrecht

Ich vertrete seit Dezember 2019 eine Klientin, 36 Jahre alt. Sie leidet an einer langjährigen Alkoholabhängigkeit und einer leichten intelligenzminderung (IQ 64).

Im April 2018 erfolgte eine Erstanmeldung bei der IV. Es erfolgte eine Ablehnung per 15.02.2019 da die Leistungseinschränkung auf eine Suchterkrankung zurückzuführen war.

Im August 2019 hat sich die Klientin das erste Mal bereiterklärt, einen Entzug durchzuführen. Im Rahmen dieses Entzugs stellte sich heraus, dass bei der Klientin eine Wernicke-Enzephalopathie vorliegt.

Per 29. November 2019 wurde aufgrund der neuen Rechtsprechung eine Neuanmeldung gemacht. Die Klientin hat nun per 1.5.2020 die Zusprache einer Rente erhalten. Da die IV die Mindestwartezeit von & Monaten ab Anmeldung für eine IV-Rentensprechung geltend macht.

Die Frage ist nun, ob die IV Rente nicht per Änderung der Rechtsprechung (5.8.2019) geltend gemacht werden kann. Ist die geltendgemachte Wartezeit von 6 Monaten nach Anmeldung in diesem Fall gerechtfertigt oder kann Einwand erhoben werden?   

Frage beantwortet am

Peter Mösch Payot

Expert*in Sozialversicherungsrecht

 Sehr geehrte Damen und Herren

1. Das Bundesgericht hat mit BGE 145 V 215 wie Sie wissen seine Praxis geändert und festgehalten, dass fachärztlich einwandfrei diagnostizierte Suchterkrankungen und Abhängigkeitssyndrome grundsätzlich für die IV relevante psychische Gesundheitsschädigungen sein können. Deshalb ist künftig wie bei allen anderen psychischen Erkrankungen im Prinzip mit einem strukturierten Beweisverfahren abzuklären, ob und wie sich die Suchterkrankung auf die medizinisch-technische Arbeitsfähigkeit der betroffenen Person auswirkt.

2. Die neue Rechtsprechung bildet für sich noch keine Grundlage rechtskräftig entschiedene Fälle in Wiedererwägung nach Art. 53 Abs. 2 ATSG zu ziehen. Auch nicht mit der Begründung der Anpassung an eine geänderte Gerichtspraxis (vgl. BGE 135 V 201 vom 26. März 2009).

3. Auf eine Neuanmeldung wird aber, wie in Ihrem Fall eingetreten, wenn die betroffene Person eine anspruchsrelevante Änderung des Gesundheitszustandes oder anderer wesentlicher Aspekte glaubhaft machen kann (vgl. Art. 17 ATSG, Art. 87 Abs. 2 und 3 IVV, sowie Rz. 5012 ff. KSIH (Kreisschreiben über Invalidität und Hilflosigkeit, Stand 1.1.2020).

4. Die Situation ist dann bezüglich der Anspruchsvoraussetzungen und des objektiven Gesundheitsschadens im Lichte der neuen Rechtsprechung zu prüfen. Was hier ja auch erfolgt ist.

Die weiteren formalen und inhaltlichen Anspruchsvoraussetzungen sind wie bei anderen Neuanmeldungen auch zu prüfen. Dazu gehört auch die Frist von sechs Monaten gemäss Art. 29 Abs. 1 IVG.

Fazit: Ich sehe da formal kaum eine Chance für die Anfechtung, weil wie gesagt diese Fälle des geänderten Anspruchs wegen einer Änderung der Rechtsprechung nicht als eigentliche Revisionsfälle betrachtet werden (BGE 135 V 201), was rechtspolitisch durchaus kritisiert werden kann.

Beste Grüsse Peter Mösch Payot