Eine Klientin hat Anspruch auf eine volle IV-Rente aufgrund einer starken Persönlichkeitsstörung und nun auch Ergänzungsleistungen. Sie hat eine 4-jährige Tochter. Die Klientin weiss, wer der Kindsvater ist, doch gibt sie den Namen des Vater nicht bekannt. Ein entsprechendes Verfahren bei der KESB wurde ohne Vaterschaft abgeschlossen.
Die EL rechnet einen fiktiven Unterhaltsbeitrag in der Höhe der maximalen IV-Kinderrente ein. Die Pflicht einen Unterhaltsbeitrag geltend zu machen wurde erstmals mit der Verfügung kommuniziert. Nach Aussage der Ausgleichskassen wird der fiktive Unterhaltsbeitrag angepasst, sobald eine Unterhaltsvereinbarung vorliegt.
Ist dieses Vorgehen der EL korrekt?
Erna Jung, RSD Erlach
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Liebe Frau Jung
In der EL sind auch Einkommen einzurechnen auf die verzichtet worden ist (Art. 11a Abs. 1 ELG).
Nach der Verwaltungspraxis, die in der Weisung an die Ausgleichskassen, in der WEL, abgelegt ist, gilt Konkretisierend für Unterhalt Folgendes:
Angerechnet werden gemäss der WEL und der Rechtsprechung auch nicht geleistete familienrechtliche Unterhaltsbeiträge, es sei denn, die EL-beziehende Person weist nach, dass diese vom Schuldner oder von der Schuldnerin nicht erbracht werden können (z.B. Nachweis über erfolglose Betreibung; Verlustschein; Nachweis, dass der Unterhaltspflichtige nicht in der Lage ist, die geschuldeten Beiträge zu leisten usw.) und kein Rechtsanspruch auf Alimentenbevorschussung besteht (WEL 3491.3 (Stand 1.1.2021)).
Gemäss der WEL gilt, dass in Fällen wo keine Vereinbarung über Unterhaltsleistungen vorliegt die EL-Stelle die EL-beziehende Person auffordern muss, innerhalb von drei Monaten bei der zuständigen Behörde oder dem zuständigen Gericht um die Genehmigung oder die Festlegung des Unterhaltsbeitrages zu ersuchen. Während dieser drei Monate dürfen nur tatsächlich geleistete Unterhaltsbeiträge als Einnahme angerechnet wer-den.
Kommt die EL-beziehende Person der Aufforderung der EL-Stelle innerhalb von drei Monaten nach, dürfen bis zur Genehmigung oder Festlegung des Unterhaltsbeitrages durch die Behörde oder das Gericht nur tatsächlich geleistete Unterhaltsbeiträge angerechnet werden. Nach der Genehmigung oder Festlegung des Unterhaltsbeitrages ist die EL-Berechnung gegebenenfalls rückwirkend anzupassen (WEL Rz. 3491.06 und 3491.07 (Stand 1.1.2021)).
Im Weiteren gilt, dass geschuldete, aber nicht bezahlte Unterhaltsleistungen angerechnet werden, ausser es kann die Uneinbringlichkeit bewiesen werden (WEL Rz. 3523.01).
Im vorliegenden Fall ist mit dem vorausgegangenen KESB-Verfahren zur Feststellung der Vaterschaft wohl bereits die Aufforderung erfolgt, den Unterhalt geltend zu machen. Soweit dies hier nicht erfolgt, ist von Verzichtshandlungen auszugehen und ein Einkommen anzurechnen.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Prof. Peter Mösch Payot
Lieber Herr Mösch
Vielen Dank für ihre Ausführungen. Sie erwähnen, dass das KESB-Verfahren zur Feststellung der Vaterschaft wahrscheinlich eine Aufforderung zum Geltend machen des Unterhalts beinhaltet. Heisst das, dass die EL sich auf ein altes, abgeschlossenes Verfahren der KESB beziehen kann und die antragstellende Person nicht explizit aufffordern muss, die Unterhaltsbeiträge berechnen zu müssen?
Freundliche Grüsse
Erna Jung
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Liebe Frau Jung
Gerne nehme ich Ihre Nachfrage zum Anlass, noch etwas zu konkretisieren:
Eine Verzichtshandlung kann tatsächlich darin gesehen werden, dass mögliche Unterhaltsforderungen nicht geltend gemacht wurden, obwohl dies objektiv angezeigt war. Unabhängig davon, dass in einem EL-Verfahren entsprechende Aufforderungen erfolgten.
Sie erwähnen im Fall, dass die Kindesmutter sich weigert den Kindesvater anzugeben, was - so meine Annahme - wie diese wohl wissen muss (bzw. ihr kenntlich gemacht wurde) auch die Geltendmachung möglicher Unterhaltsforderungen gegen diesen verunmöglicht.
Soweit nicht von vornherein feststeht und belegbar ist, dass vom potentiellen Kindesvater (oder den Kindesvätern) kein Unterhalt verfügbar ist, dürfte die Verweitgerung der Angaben zum Kindesvater zulässigerweise als Verzichtshandlung gelten.
Eine abschliessende Beurteilung ist hier aber nur möglich mit einer genauen Durchsicht der EL-Akten, aus denen auch ersichtlich wird, weswegen hier konkret ein Verzichtseinkommen eingerechnet wurde.
Sie können versuchen in einer Einsprache darzustellen, es könne hier im Verhalten der Klientin im abgeschlossenen KESB-Verfahren keine Verzichtshandlung gesehen werden. Und könnten versuchen zu argumentieren, sie habe mit der Verweigerung im KESB-Verfahren, den Namen des Kindesvaters zu nennen (obwohl sie ihn nach Ihren Angaben weiss), nicht bewusst auf Unterhalt verzichtet. Sondern es müsse zuerst das Verfahren nach WEL 3491.06/07 zur Anwendung kommen, bevor der fiktive Unterhalt eingerechnet wird.
Die Chancen einer solchen Einsprache hängen sicher davon ab, ob die Kindesmutter bereit wäre, nun den Vater zu nennen und die Unterhaltsberechnung zu ermöglichen.
Ich habe Ihren Angaben allerdings entnommen, dass ein solcher Sinneswandel nicht vorliegt. Deswegen gehe ich davon aus, dass nur sehr geringe Chance bestehen, die Anrechnung des Verzichtseinkommens (vorerst) erfolgreich zu bekämpfen.
Beste Grüsse
Peter Mösch Payot