Zum Inhalt oder zum Footer

Einklagen von Unterhalt, Festsetzung von Unterhaltsbeiträgen

Veröffentlicht:
07.11.2017
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Guten Tag
Situationsbeschrieb:
Familie mit zwei Kindern, eines davon ist platziert, beide Eltern arbeiten.
Der Junge der Familie ist freiwillig platziert, es gibt ebenfalls eine Beistandschaft Art. 308 ZGB, weder Sorgerecht noch Obhut ist entzogen.
Von Seiten Sozialhilfe wir die Kindsschutzmassnahme finanziert. Wir haben die Eltern aufgefordert, ihre finanzielle Situation offen zu legen, was sie auch gemacht habe, sie haben uns sämtliche notwendige Unterlagen eingereicht. Wir haben anhand der Tabelle für die Elternbeitragsberechnung den Elternbeitrag berechnet, die Eltern sind jedoch damit nicht einverstanden, so viel können sie ihrer Meinung nach nicht aufbringen. Die Eltern sind also nicht bereit, die Vereinbarung zu unterzeichnen.
Mit der GEF hatte ich bereits Kontakt, sie sagten uns, dass es sich um ZGB-Materie handle und wir bei der Schlichtungsbehörde Antrag auf Unterhaltsregelung einreichen müssten gemäss Art. 279 ZGB.
Wir haben als Sozialdienst bei der Schlichtungsbehörde das Gesuch eingereicht, woraufhin von der Schlichtungsbehörde folgende Rückfragen gekommen sind:

  1. Ob wir sicher seien, dass es sich um ZGB und nicht um SHG-Materie handle?
  2. Ob wir sicher seien, dass der Sozialdienst als Teil der Gemeinde überhaupt prozessbefugt sei? Sie sei eher der Meinung, dass eine Aktivlegitimation durch den Gemeinderat geschehen müsste oder der Gemeinderat müsste das Schlichtungsgesuch unterzeichnen und die klagende Partei sein.
  3. Sie frage sich, auf welcher Rechtsgrundlage wir prozessieren wollen, sie könne mir bestätigen, dass für rückwirkende Zahlungen der Eltern (also bereits geleistete Beiträge des Sozialdienstes) der Sozialdienst Klage erheben könne, sie frage sich aber, ob dies auch für künftige Zahlungen resp. Regelung des Unterhaltes gehe? Sie frage sich, wie das Recht auf Unterhaltsklage und Klage auf Regelung des Unterhaltes auf den Sozialdienst übergehen könne? Im Art. 289 ZGB Abs. 2 steht "kommt jedoch das Gemeinwesen für den Unterhalt auf, so geht der Unterhaltsanspruch mit allen Rechten auf das Gemeinwesen über", die Dame der Schlichtungsbehörde war sich jedoch nicht ganz im Klaren darüber, ob der Sozialdienst das Festsetzten von künftigen Unterhaltsbeiträgen fordern kann oder er dies nur für bereits geleistete Zahlungen (also 1 Jahr rückwirkend) machen kann.
    Gut deshalb nach all den Infos kurz zusammengefasst folgende Fragen:
  • Handelt es sich tatsächlich um ZGB-Materie oder doch um SHG-Materie?
  • Ist das Klagerecht dem Sozialdienst (als Teil der Gemeinde) gegeben oder müsste eine Aktivlegitimation durch den Gemeinderat erfolgen, damit der Sozialdienst klageberechtigt ist?
  • Reicht als Grundlage die Festsetzung eines Unterhaltsbeitrages Art. 279 ZGB / Art. 289 ZGB? Oder geht dies lediglich für bereits geleistete Zahlungen?
  • Reicht Art. 279 ZGB / Art. 289 ZGB als Grundlage, dass die Gemeinde in diesem Fall überhaupt prozedieren kann?
  • Wäre es einfacher die KESB den Antrag zu stellen, der Beiständin die Aufgabe zur Unterhaltsklage zu erteilen damit die Beiständin im Namen des Kindes auf Unterhalt klagen kann (wobei uns dies aus methodischer Sicht nicht besonders lieb wäre)?
    Ich danke Ihnen bereits im Voraus ganz herzlich für die Antwort und hoffe, dass meine Falldarstellung ausreichend ist, um meine Fragen zu beantworten.
    Freundliche Grüsse, Myriam Keller

Frage beantwortet am

Ruth Schnyder

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrte Frau Keller
Gerne beantworte ich Ihre Anfrage. Ich tue dies direkt entlang der von Ihnen gestellten Fragen.

  • Handelt es sich tatsächlich um ZGB-Materie oder doch um SHG-Materie?
    Es handelt sich um eine ZGB-Materie. Nach Art. 276 Abs. 2 ZGB sorgen die Eltern gemeinsam, ein jeder Elternteil nach seinen Kräften, für den gebührenden Unterhalt des Kindes und tragen unter anderem auch Kosten für Kindesschutzmassnahmen. Bei den Kosten für die Fremdplatzierung handelt es sich also nach Art. 276 Abs. 2 ZGB explizit um Kosten, die in die Unterhaltspflicht der Eltern fallen. Die Unterhaltspflicht geht Leistungen der Sozialhilfe vor, getreu dem Subsidiaritätsprinzip. Im Unterschied zu anderen vorrangigen Leistungen wie z.B. strittige Lohnansprüche, wird beim vorrangigen Unterhaltanspruch festgehalten, dass dieser mit allen Rechten auf das Gemeinwesen übergeht, wenn es für den Unterhalt aufkommt. Es handelt sich damit um eine gesetzliche Subrogation. Damit wird dem betreffenden Gemeinwesen das Recht eingeräumt, diesen zivilrechtlichen Anspruch geltend zu machen, wenn es für den Unterhalt aufkommt. Wie gesagt, die Kindesschutzmassnahmen sind Teil der elterlichen Unterhaltspflicht, die das Kind geltend machen kann. Da aber nun das Gemeinwesen anstelle der Eltern die Unterhaltspflicht erfüllt, ist es gesetzlich befugt, diesen Unterhaltsanspruch zivilrechtlich durchzusetzen. Dies Subrogation führt jedenfalls nicht dazu, dass der Anspruch zu einem sozialhilferechtlichen Anspruch führt.
    Dasselbe ergibt aus den Art. 40 ff. des Gesetzes vom 1.2.12 über den Kindes- und Erwachsenenschutz (KESG, BSG 213.316) des Kantons Bern. Art. 42 KESG wiederholt die zivilrechtliche Regelung zur Subrogation. Nach Art. 42 Abs. 3 KESG hat der Regierungsrat den Auftrag bekommen, das Vorgehen der kommunalen Dienste bei der Geltendmachung von Rechten des Gemeinwesens gegenüber zahlungspflichtigen Dritten gemäss Absatz 2 zu regeln. Der Verordnung über den Kindes- und Erwachsenenschutz (KESV, BSG 213.316.1) lässt sich zur Geltendmachung von Ansprüchen nichts entnehmen, wenn diese nach der von der KESV vorgesehenen Bemessungsweise (Art. 10 KESV) nicht akzeptiert werden. Die Regeln zur Nachzahlung (Art. 11 KESV) können jedenfalls nicht herangezogen werden, betrifft diese doch gerade den Anteil, den die Eltern aufgrund der aktuellen finanziellen Verhältnisse nicht leisten können, der aktuell also auch nicht zivilrechtlich durchsetzbar wäre. Vielmehr betrifft die Nachzahlung jenen Fall, wo die Eltern aktuell nicht leistungsfähig sind, jedoch später diese durch Verbesserung der finanziellen Verhältnisse etabliert würde.
    Das BKSE konkretisiert die Frage der Geltendmachung unter dem Stichwort «Elternbeiträge» und differenziert dort zwischen freiwilligem und behördlich angeordneten Kindesschutzmassnahmen. Im Letzteren Fall würde der Kanton gerichtlich vorgehen. Insofern ist davon auszugehen, dass der Kanton diese Massnahmen vorfinanziert. Im Fall der nicht behördlichen Kindesschutzmassnahmen übernimmt offenbar der Sozialdienst die Vorfianzierung. Diese geteilte Vorfinanzierung lässt Art. 42 Abs. 1 KESG auch zu. Für die Geltendmachung der ermittelten Elternbeiträge ist jedoch in beiden Fälle der Weg über das Zivilgericht einzuschlagen.
  • Ist das Klagerecht dem Sozialdienst (als Teil der Gemeinde) gegeben oder müsste eine Aktivlegitimation durch den Gemeinderat erfolgen, damit der Sozialdienst klageberechtigt ist?
    Nach Art. 19 Abs. 1 SHG vollziehen die Sozialdienste im Einzelfall die Sozialhilfe. Was das bedeutet wird im zweiten Satz derselben Bestimmung mit einer nicht abschliessenden Aufzählung konkretisiert. Die klageweise Geltendmachung subrogierter zivilrechtlicher Ansprüche wird dabei nicht erwähnt. Diese Aufgaben wird in Art. 37 SHG konkretisiert, danach ist der Sozialdienst verpflichtet, familienrechtliche Unterhalts- und Unterstützungsansprüche geltend zu machen, die auf das unterstützende Gemeinwesen übergehen. In Art. 38 Abs. 2 SHG wird gar festgehalten: Kommt keine Vereinbarung zu Stande, klagt der Sozialdienst den Anspruch beim zuständigen Gericht ein.
    Dass diese Aufgabe zum Vollzug der Sozialhilfe gehört und demnach auch den Sozialdiensten obliegt, ergibt sich auch aus den Aufgaben der Sozialbehörde nach Art. 17 SHG. Diesen kann entnommen werden, dass der Sozialbehörde, welche im Regelfall der Gemeinderat ist (Art. 16 Abs. 2 SHG), keine Kompetenz beim Vollzug der individuellen Sozialhilfe zukommt, sondern vielmehr die Aufsicht, das Controlling, strategische Fragen oder dergleichen obliegt. Demnach handelt die Gemeinde im Bereich der Sozialhilfe im Wesentlichen durch die Sozialbehörde (Gemeinderat) und den Sozialdienst. Nach dem Gesagten steht der Aktivlegitimation des Sozialdienstes nichts entgegen. Die Schlichtungsbehörde müsste noch konkreter werden (Art. 60 i.V.m. Art. 57 ZPO), weshalb sie die Aktivlegitimation des Sozialdienstes in Frage stellt.
  • Reicht als Grundlage die Festsetzung eines Unterhaltsbeitrages Art. 279 ZGB / Art. 289 ZGB? Oder geht dies lediglich für bereits geleistete Zahlungen?
    Geht der Anspruch mit allen Rechten auf die Sozialhilfe über, sind nach Bundesgericht auch die künftig zu bevorschussenden Unterhaltsbeiträge erfasst (BGE 147 III 177 E. 6.3.2 f., siehe Beilage).
  • Reicht Art. 279 ZGB / Art. 289 ZGB als Grundlage, dass die Gemeinde in diesem Fall überhaupt prozedieren kann?
    Aufgrund der Kompetenzordnung im SHG, hat der Gemeinderat meiner Meinung nach keine Kompetenz zum Prozessieren. Meiner Meinung nach kommt sie vielmehr dem Sozialdienst zu (Art. 37 f. SHG), dies auch in Verbindung mit Art. 276 Abs. 1 ZGB. Die Sozialdienst handelt damit für die Gemeinde. Siehe dazu die vorstehenden Ausführungen.
  • Wäre es einfacher die KESB den Antrag zu stellen, der Beiständin die Aufgabe zur Unterhaltsklage zu erteilen damit die Beiständin im Namen des Kindes auf Unterhalt klagen kann (wobei uns dies aus methodischer Sicht nicht besonders lieb wäre)?
    Ich denke nicht, dabei müsste nämlich geklärt werden, inwieweit das Kind überhaupt noch zur Klage legitimiert ist für den Teil, welcher auf die Sozialhilfe übergegangen ist. Dies ist noch eine offene Rechtsfrage. Aus der Rechtsprechung könnte man ableiten, dass da eine ausschliessliche Legitimation der Sozialhilfe besteht. Es würde dann sinnvoll sein, wenn das Kind nach zivilrechtlichen Bemessungsgrundsätzen für sich (nicht für die Kindesschutzmassnahmen) einen zusätzlichen Anspruch gegenüber seinen Eltern geltend machen könnte.
    Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort in der Weiterverfolgung der Angelegenheit gedient zu haben.
    Freundliche Grüsse, Ruth Schnyder