Guten Tag
Ein Klient auf der Sozialberatung eines ambulanten psychiatrischen Dienstes wurde vom zuständigen regionalen Sozialienst aufgefordert, einen detaillierten ärztlichen Bericht vorzulegen, welcher Auskunft über seinen aktuellen psychiatrischen Gesundheitszustand gibt. Es handelt sich nicht um ein Mandat einer Beistandschaft, sondern um eine Dossierführung in der wirtschafltichen Sozialhilfe. Es wird vom Sozialdienst nicht weiter begründet, weshalb dieser Bericht vom Klienten eingereicht werden muss. Bei nicht einhalten dieser Vereinbarung (sollte mein Klient dem Sozialdienst also keinen Bericht offenlegen), werden Sanktionen, namentlich Kürzungen des GB angedroht. Mein Klient möchte einen solchen Bericht nicht ohne weiteres offenlegen, sondern möchte wissen, ob er tatsächlich dazu verpflichtet ist und wenn ja, in welchem Rahmen.
Nun meine Fragen:
Darf der Sozialdienst im Rahmen der Mitwirkungsplficht einen detaillierten Arztbericht verlangen? Inwiefern ist dies relevant zur Beurteilung der wirtschaftlichen Unterstützung? Wenn ja, ist dieses Vorgehen so korrekt oder muss der Sozialdienst begründen, welche Informationen genau verlangt werden (z.B. konkrete Fragen zu bestimmten Bereichen wie Arbeitsfähigkeit)? Hat mein Klient dadurch Vorteile, z.B. wenn er dadurch eine allfällige Arbeitsunfähigkeit geltend machen kann?
Besten Dank für Ihre Rückmeldung.
Freundliche Grüsse!
Frage beantwortet am
Anja Loosli
Expert*in Sozialhilferecht
Guten Tag
Vielen Dank für Ihre Frage. Ich beantworte diese gerne wie folgt:
In der Sozialhilfe gilt grundsätzlich das Prinzip der Subsidiarität, was bedeutet, dass Hilfe nur gewährt werden soll, wenn und soweit eine bedürftige Person sich nicht selbst helfen kann oder wenn Hilfe nicht rechtzeitig erhältlich ist (Art. 9 Sozialhilfegesetz Bern [SHG, SG 860.1]). Die Gewährung der Hilfe ist deshalb nach Art. 27 Abs. 2 SHG mit Weisungen zu verbinden, soweit dadurch die Bedürftigkeit vermieden, behoben oder vermindert oder eigenverantwortliches Handeln gefördert wird. Diese Weisungen des Sozialdienstes sind nicht nur zu befolgen, sondern die unterstützten Personen haben das zur Vermeidung, Behebung oder Verminderung der Bedürftigkeit Erforderliche selbst vorzukehren und müssen eine ihrem Gesundheitszustand und weiteren Voraussetzungen angemessene Arbeit annehmen (Art. 28 Abs. 2 SHG). Werden Weisungen bzw. Pflichten verletzt, wird die die wirtschaftliche Hilfe gekürzt (Art. 36 SHG). Diese Pflichten lassen sich auch aus den SKOS-Richtlinien, die im Kanton Bern für die Bemessung der wirtschaftlichen Hilfe massgebend sind (Art. 8 Sozialhilfeverordnung, SHV, SG 860.111), herauslesen (SKOS-RL A.4.1 und F.1). Im Handbuch Sozialhilfe der BKSE werden die Pflichten unter dem Eintrag «Rechte und Pflichten» präzisiert. Bedürftige Personen haben die Pflicht, ihre Situation zu verbessern und ihre Bedürftigkeit zu mindern, wenn sie dazu in der Lage sind. Sie können mittels Weisung u.a. aufgefordert werden, mit Ärzten zusammenzuarbeiten, wenn dies dazu beiträgt, die Bedürftigkeit direkt oder indirekt zu vermindern oder die soziale/berufliche Integration zu fördern. Gemäss Handbuch Sozialhilfe der BKSE Eintrag «Weisung, Mahnung, Verfügung» stehen gegen Weisungen und Mahnungen keine Rechtsmittel offen, da diese noch nicht in den Leistungsanspruch eingreifen. Die Klientel kann erst die gestützt darauf erlassene Verfügung, welche die Konsequenzen bei Nichtbeachtung der Weisung/Mahnung festlegt, anfechten.
Aus dem oben Gesagten lässt sich folgern, dass die Sozialhilfe von Ihrem Klienten mittels Weisung das Einreichen eines detaillierten Arztberichtes dann anfordern kann, wenn sie damit einschätzen will, inwieweit dem Klienten die berufliche Eingliederung möglich ist oder welche Schritte unternommen werden müssen, damit der Klient wieder ins Berufsleben eingegliedert werden kann und damit seine Bedürftigkeit verringert wird. Zwar finde ich es schwierig, wenn die Sozialhilfe die Weisung nicht begründet, weil sie dann für den Klienten schwierig nachvollziehbar und der Zusammenhang mit der Minderung der Bedürftigkeit nicht ohne weiteres erkennbar ist. Allerdings kann der Klient die Weisung, die nicht in Verfügungsform ergangen ist, nicht anfechten. Erst im Zeitpunkt einer allfälligen Kürzung wird die Sozialhilfe nach Art. 51 SHG eine Verfügung erlassen.
Reicht der Klient ein Arztzeugnis ein, aus dem ersichtlich ist, dass er nicht arbeitsfähig ist, ist ihm die Suche und Aufnahme einer Arbeit grundsätzlich nicht zumutbar, weshalb die Sozialhilfe dann voraussichtlich weder Arbeitsbemühungen noch die Annahme einer Arbeit verlangen wird. In diesem Sinn hilft ein solches Arztzeugnis dem Klienten allenfalls, dass seine gesundheitliche Situation Berücksichtigung findet und er keine Arbeit suchen muss und/oder Unterstützung bei der Eingliederung erhält. Will der Klient dennoch kein Arztzeugnis einreichen oder ist der Meinung, dass er arbeitsfähig ist und keiner Unterstützung bedarf, dann macht es Sinn, wenn er dies der Sozialhilfe mitteilt und auseinandersetzt. Er könnte auch versuchen, die Weisung in Form einer anfechtbaren Verfügung zu verlangen mit der Begründung, auch eine Weisung sei in Verfügungsform zu erlassen (Art. 51 SHG). Diese könnte er anfechten und geltend machen, ein Arztzeugnis sei in seinem konreten Fall nicht dienlich, um seine Bedürftigkeit direkt oder indirekt zu mindern. Hält die Sozialhilfe weiter an ihrer Weisung ohne Verfügung fest und kürzt die Unterstützungsleistungen wegen Verletzung der Pflichten, kann er die entsprechende Kürzungsverfügung anfechten und geltend machen, die Weisung ein Arztzeugnis einzureichen, sei in seinem Fall nicht zielführend (keine direkte oder indirekte Verminderung der Bedürftigkeit), weshalb die Kürzung nicht angezeigt sei.
Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort weiterhelfen zu können.
Freundliche Grüsse
Anja Loosli Brendebach
Sehr geehrte Frau Brendebach
Herzlichen Dank für Ihre Bemühungen und die Beantwortung meiner Frage, welche für mich sehr hilfreich ist. Bei meinem Klienten ist es so, dass er seine Arbeitsunfähigkeit gegenüber der Sozialhilfe grundsätzlich geltend machen möchte. Ich lese aus Ihrer Antwort, dass es für ihn daher sinnvoll ist, ein entsprechendes Arztzeugnis einzureichen. Danke auch für die Erläuterung der möglichen rechtlichen Schritte.
Freundliche Grüsse