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Eheliches Vertretungsrecht

Veröffentlicht:
27.08.2020
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Kindes- und Erwachsenenschutz

Grüezi

Folgender Sachverhalt präsentiert sich: Ein Ehepaar, verheiratet, wohnt zusammen in derselben Wohnung. Die Ehefrau, obwohl noch jung (Jhg. 1967) hat eine dementielle Entwicklung. Der Ehemann kümmert sich um seine Frau und schaut ihr. Da er selber mit der Erledigung seiner finanzell/admini. Angelegenheiten überfordert ist, hat die Gemeinde dafür gesorgt, dass er Unterstützung durch die Bürospitex erhält. Er hat diese Hilfe angenommen und den entsprechenden Vertrag unterzeichnet. Gemäss Aussagen Bürospitex ist die Ehefrau mangels Urteilsfähigkeit nicht mehr in der Lage, den Auftrag für ihre Angelegenheiten zu unterzeichnen. Die finanzielle Lage präsentiert sich einfach (AHV, EL, kaum Vermögen).

Frage: Kann der Ehemann im Rahmen des gesetzlichen Vertretungsrecht den Auftrag gegenüber der Bürospitex für seine Ehefrau erteilen? Die Lehre erscheint hier nicht eindeutig.

Zudem erscheint es nicht sehr sinnvoll, bei einer wirtschaftlichen Einheit, welche die beiden bilden, den einen Teil der Finanzen über die Bürospitex und den anderen über eine Beistandschaft abzuwickeln.

Besten Dank für Ihre geschätzte Antwort!

N. Giger

Frage beantwortet am

Urs Vogel

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Erwägungen

Art. 374 ff. ZGB räumt dem Ehegatten ein beschränktes gesetzliches Vertretungsrecht in Bezug auf bestimmte Aufgabenbereiche ein, wenn der andere Ehegatte infolge Urteilsunfähigkeit nicht mehr in der Lage ist, diese Aufgabenbereiche selber zu besorgen. Voraussetzung ist, dass kein Vorsorgeauftrag besteht oder eine Vollmacht über den Verlust der Handlungsfähigkeit (Art. 35 Abs. 1 OR) erteilt wurde. Zudem muss ein gemeinsamer Haushalt der Ehegatten bestehen. Die Voraussetzungen für das gesetzliche Vertretungsrecht sind somit gemäss Darstellung im Sachverhalt gegeben.

Für die Ausübung verweist Art. 375 ZGB auf die sinngemässe Anwendung der Regelungen des Auftrages gemäss Obligationenrecht. In sinngemässer Anwendung von Art. 398 Abs. 3 OR hat der Ehegatte das Vertretungsrecht somit persönlich auszuüben. Eine Substitution, also eine auf Dauer ausgerichtete vollumfängliche Übertragung dieses Vertretungsrechtes ist gemäss einhelliger Lehre ausgeschlossen (siehe dazu ZK-Boente, Art. 375 N 33/34; BSK ZGB-Reusser, Art. 375 N 12 m.w.H.).

Gemäss Sachverhalt ist der Ehegatte mit der Erledigung der finanziellen und administrativen Angelegenheiten für sich und somit auch für seine urteilsunfähige Ehefrau überfordert und benötigt Unterstützung durch die Bürospitex. Er ist aber bereit und in der Lage, mit der Bürospitex zusammen zu arbeiten. Es stellt sich somit die Frage, ob die Unterstützung der Bürospitex als Beizug von Hilfspersonen zu interpretieren ist oder ob es sich um eine Substitution handelt. Tendenziell ist von einer Substitution auszugehen, da die Mehrheit der Aufgaben aus der gesetzlichen Vertretungsbefugnis (Rechthandlungen zur Deckung des Unterhalts, ordentliche Einkommens- und Vermögensverwaltung) mittels Auftrag an die Bürospitex übertragen würden, mit Ausnahme wohl der Postöffnungsbefugnis, und die Bürospitex  direkt die urteilsunfähige Frau vertreten würde.

Zu prüfen ist daher nach meiner Beurteilung, da gemäss Sachverhalt kaum Vermögen vorhanden ist und es sich hauptsächlich um die Verwaltung der Sozialversicherungsleistungen handelt, ob im Rahmen von Art. 392 ZGB eine Lösung gefunden werden kann. So kann die KESB gestützt auf Art. 392 Ziff. 2 ZGB Dritten für einzelne Aufgaben einen Auftrag erteilen, wenn die Errichtung einer Beistandschaft offensichtlich unverhältnismässig wäre. Biderbost/Henkel führen in ihrer Kommentierung das Beispiel an, dass die KESB gestützt auf Art. 392 Ziff. 2 ZGB dem Treuhanddienst der Pro Senectute in bestimmten Fällen einen Auftrag zur Verwaltung von AHV und Ergänzungsleistungen als abgeschlossene Aufgabe erteilen kann (BSK ZGB-Biderbost/Henkel, Art. 392 N 22).

Vorliegend verwaltet der urteilsfähige Ehegatte seinen Teil der Finanzen mit der Unterstützung der Bürospitex. Da er mit seiner urteilsunfähigen Ehefrau zusammenlebt, bilden sie im Alltag eine wirtschaftliche Gemeinschaft. Die Errichtung einer Beistandschaft nur für die Ehefrau kann als offensichtlich unverhältnismässig beurteilt werden, wenn wie vorliegend, sich die finanzielle Situation als übersichtlich und einfach präsentiert, wohl ein gemeinsames Budget besteht und der Unterhalt von beiden Personen aus den gemeinsamen Einkünften bestritten wird. Anders wäre es, wenn die urteilsunfähige Person sich in einer betreuten Institution befinden würde. In diesem Fall müsste die Errichtung einer Beistandschaft erwogen werden.

Aus meiner Sicht steht somit eine Auftragserteilung gestützt auf Art. 392 Ziff. 2 ZGB durch die KESB an die Bürospitex nichts entgegen. Verbinden könnte man diese Auftragserteilung mit der Verpflichtung an die Bürospitex, sich bei relevanten Veränderungen der Situation (z.B. Eintritt der urteilsunfähigen Frau in eine Pflegeinstitution) sofort bei der KESB zu melden (siehe dazu auch BGer 5A_110/2014; CHK ZGB-Fountoulakis, Art. 392 N 6).

Kulmerau, 29.8.2020

Urs Vogel