Guten Tag
Die IV-Stelle hat meiner Klientin den Anspruch auf eine Invalidenrente abgelehnt, weil der zur Invalidität führende Gesundheitsschaden sich in Deutschland ereignete und sie die versicherungsmässigen Voraussetzungen in der Schweiz nicht erfüllt. Seitens der IV-Stelle wurden ihr empfohlen, den Anspruch auf Ergänzungsleistungen zu prüfen, was wir auch in die Wege geleitet haben. Ich nehme an, die IV-Stelle bezieht sich hier auf den Art. 4 Abs. 1 lit d. ELG (Personen, die einen Invaliditätsgrad zu mindestens 40% ausweisen, jedoch die Mindestbeitragsdauer für eine IV-Rente nicht erfüllt haben). Kann sich meine Klientin auch für einen IV-geschützten Arbeitsplatz anmelden?
Etwas stutzig machte mich die Aussage der IV-Stelle, dass sie das E-Formular (207) und die IV-Akten nicht nach Deutschland weiterleiten um einen allfälligen IV-Rentenanspruch in Deutschland prüfen zu lassen. Dies würden sie nur machen, wenn sie auch in der Schweiz einen IV-Rentenanspruch erwirkt hätte. Von der deutschen Rentenversicherung habe ich die gegenteilige Beratung erhalten, dass gemäss EU-Gesetzgebung / bilateralem Abkommen unabhängig des Rentenanspruchs die Akten hätten nach Deutschland weitergeleitet werden sollen. Nun habe ich die gesamten IV-Akten inkl. psych. Gutachten und E-Formular an die Deutsche Rentenversicherung weitergeleitet. Welche Rechtsgrundlagen gelten in solchen Fällen?
Falls sie Ergänzungsleistungen bekäme, würden diese rückwirkend ab Eingang der Anmeldung oder ab Verfügungsdatum der IV-Stelle ausgerichtet?
Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Ausführungen und grüsse Sie freundlich.
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Guten Tag.
a) Für den Anspruch auf eine ordentliche IV-Rente muss jemand mindestens drei Jahre versichert sein, bevor die Invalidität eintritt.
Ist eine Person bei der erstmaligen Einreise in die Schweiz bereits 40% invalid, ist der rentenspezifische Versicherungsfall bereits eingetreten. Nehmen mit der Zeit die Beeinträchtigungen zu und schwindet die Erwerbsfähigkeit, liegt nach der Rechtsprechung kein neuer Versicherungsfall vor, wenn die Erhöhung des Invaliditätsgrades eine Folge einer Verschlimmerung der ursprünglichen Gesundheitsbeeinträchtigung ist. Siehe dazu BGE vom 30. Mai 2006; I 76/05; BGE vom 21. November 2006; I 620/05, BGE 136 V 369.
Das bedeutet, dass in einem Fall, wo die Invalidität in Deutschland eingetreten ist, kein Anspruch auf eine ordentliche Rente eintreten kann.
b) Allerdings besteht, wie Sie richtig anführen, die Möglichkeit auf eine so genannte rentenlose Ergänzungsleistung (Art. 4 Abs. 1 lit. d ELG), wenn die materiellen Voraussetzungen (40% Invalidität) bestehen, und wenn gleichzeitig die wirtschafltichen Voraussetzungen für eine EL bestehen würden. Vgl. 9C_710/2017 Urteil vom 13. Dezember 2017.
Die EL ist zu gewähren ab dem Zeitpunkt, ab dem bei einer ordentlichen IV eine EL zu gewähren wäre. Also gemäss Art. 28 und Art. 29 IVG frühestens ab dem Zeitpunkt, in dem jemand ein Jahr arbeitsunfähig war und für sechs Monate nach der Anmeldung bei der IV. Es ist zu raten, den entsprechenden Antrag auf EL so schnell als möglich zu stellen, weil diese rückwirkende Berechnung nur erfolgt, wenn der Antrag auf EL spätestens ein halbes Jahr nach der IV-Verfügung gestellt wird.
c) Je nach Konstellation kann auch bei Anspruch auf eine rentenlose EL in der Schweiz gleichzeitig ein Anspruch auf eine Renten der Deutschen Rentenversicherung bestehen. Das ist im Prinzip auch möglich, wenn der Wohnsitz in der Schweiz besteht.
Vor diesem Hintergrund ist es korrekt, dass die Unterlagen der Deutschen Rentenversicherung weitergeleitet wurden zur Prüfung eines allfälligen Anspruchs auf eine deutsche Rentenleistung.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Prof. Peter Mösch Payot