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Deutsche Vormunde die bisher keinen finanziellen Support erhalten

Veröffentlicht:
06.02.2019
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Guten Tag
Ich bin Erziehungsaufsicht bei 2 Vormunden (Grosseltern /GE mütterlicherseits) die sich um ihren Enkel (14 J.) wie um ihren eigenen Sohn kümmern. Diese sind seit 3 Jahren in der CH wohnhaft und kamen ursprünglich von Lörrach (D) her. Die Kindsmutter ist in D, bezieht Hartz 4 und hat 3 weitere Kinder. Sie hat den Sohn, ab Geburt in Hand ihrer Eltern gegeben, zumal sie noch minderjährig war, als sie ihn gebar. Vom Vater fehlt jede Spur.
Der Junge zeigt viele Psychopathologien und eine Schizophrenie ist wahrscheinlich. Er kann nicht regulär beschult werden und ist seit gut 8 Jahren in div. Heimen unterwegs.
Eine Abklärung des Familiengerichts ergab, dass die GE sehr gute Unterstützungspersonen für den Jungen sind und in ihrer Rolle gestärkt werden sollen.
Diese berichten mir, dass sie in D Unterstütztungsbeiträge erhielten, zumal sie für Erziehung, Pflege u.a. des Enkels aufkommen. Ich bin mir unsicher, wie dies in der CH nun zu beantragen ist. Aktuell bezahlt die Gemeinde Teile des Schulgeldes, zumal die GM arbeitet und der GV aktuell arbeitslos ist. Erspartes sei nicht vorhanden und folglich frage ich mich, ob die Vormunde Anrecht auf etwaige Sozialhilfe hätten? Oder gibt es für ihren Fall sonstige Unterstützung? Beide sind Bürger mit B Ausweisen. Existiert allenfalls für die Gemeinde die Möglichkeit, die Kosten über Deutschland einzuholen?

Frage beantwortet am

Ruth Schnyder

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrter Herr Bruni
Gerne beantworte ich Ihre Anfrage.
(1) Die Sozialhilfe beurteilt einen allfälligen Anspruch auf wirtschaftliche Unterstützung aufgrund der finanziellen Verhältnisse der hilfsbedürftigen Personen. Sie beurteilt dies bei Ehegatten aufgrund ihres gemeinsamen Bedarfes und ihrer gesamten finanziellen Verhältnisse, da sie eine sog. Unterstützungseinheit bilden. Kinder werden in die Anspruchsermittlung einbezogen, wenn sie minderjährig sind, im gleichen Haushalt wohnen und leibliche oder adoptierte Kinder sind. Insoweit muss ein Kindesverhältnis nach Art. 252 ZGB bestehen mit Folge, dass eine Unterhaltspflicht nach Art. 276 ZGB besteht, wobei es ausreichend ist, dass das Kindesverhältnis zu einem Ehegatten besteht und der andere Ehegatte Stiefvater oder –mutter ist. In diesem Sinne ist auch § 32 der Aargauer Sozialhilfe- und Präventionsverordnung (SPV) zu verstehen, wonach Ehepaare sowie Familien im gleichen Haushalt als Unterstützungseinheit gelten. Im Aargauer Handbuch Soziales Kapitel 5.1 (https://www.ag.ch/de/dgs/gesellschaft/soziales/handbuchsoziales/handbuchsoziales_1.jsp) wird zwar von gegenseitigem Beistand gesprochen, womit meiner Meinung nach aber insbesondere der finanzielle Beistand gemeint sein muss.
(2) Die Vormundschaft führt zwar dazu, dass der Vormund die gleichen Elternrechte (Art. 327c ZGB) nachgebildet der elterlichen Sorge erhält, aber keine Unterhaltsverpflichtung besteht (Yvo Biderbost, in: CHK - Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, Personen- und Familienrecht – Partnerschaftsgesetz, Art. 1-456 ZGB – PartG, 2016, Art. 327a-327c, Rz. 13). Kinder die unter Vormundschaft einer Person stehen, können demnach nicht zur Unterstützungseinheit gehören, vielmehr bilden diese Kinder eine eigene Unterstützungseinheit. Das gilt umso mehr, wenn das Kind im Heim lebt und die Grosseltern sich einfach um das Kind kümmern.
Ist das Kind bei den Grosseltern untergebracht, muss gleichzeitig von einer (bewilligungspflichtigen, § 1 Pflegekindverordnung [PAVO]) Pflegelternschaft nach Art. 294 ZGB ausgegangen werden. Aber auch diese ändert nichts an der eigenständigen Unterstützungseinheit, da auch hier keine Unterhaltsverpflichtung entsteht (im Grundsatz, Ausnahme Abschnitt 5). Die Grosseltern haben vielmehr Anspruch auf ein Pflegegeld (Art. 294 ZGB). Dafür sind nach wie vor die Eltern zuständig (Art. 276 Abs. 2 ZGB).
(3) Kann aber der Unterhalt des Kindes durch seine Einnahmen einschliesslich elterlicher Kindesunterhalt (Art. 276 Abs. 2) nicht finanziert werden, muss für das Kind ein Unterstützungsgesuch beim zuständigen Sozialdienst gestellt werden. Massgebend ist der Unterstützungswohnsitz des Kindes (vgl. § 6 Abs. 3 SPG i.V.m. Art. 7 Abs. 3 lit. a ZUG i.V.m. § 22 EG ZGB Kanton AG). Die Sozialhilfe hat anschliessend auf Basis des massgebenden Aargauer Sozialhilferechts (Sozialhilfe- und Präventionsgesetz, SPG) die Bedürftigkeit für das Kind festzustellen und dessen Anspruch zu ermitteln – ohne Einbezug der finanziellen Mittel der Grosseltern. D.h. es ist so vorzugehen wie in anderen Fremdplatzierungsfällen, wo ein Kind dauernd in einer Pflegefamilie oder im Heim untergebracht ist. Dazu verweise ich auf Kapitel 14 des oben erwähnten Handbuchs. Nicht ganz klar aufgrund ihrer Schilderungen ist, ob das Kind dauernd in einem Heim platziert ist, oder ob es bei seinen Grosseltern lebt. Im letzteren Fall wären die Grosseltern wie Pflegeltern zu betrachten mit einem grundsätzlichen Pflegegeldanspruch.
(4) Kosten im Zusammenhang mit seiner (noch unklaren psychischen) Erkrankung müssten über das KVG oder vorrangig allenfalls über die IV (medizinische Massnahmen) finanziert werden, wobei die Sozialhilfe den KVG-Selbstbehalt übernehmen müsste. Falls es aufgrund seiner Erkrankung hilflos ist (Bedarf an Überwachung, Pflege und/oder Unterstützung bei alltäglichen Lebensverrichtungen), wäre die IV anzugehen (Hilflosenentschädigung etc.). Die Sozialhilfe hätte Leistungen im Zusammenhang mit der Hilflosigkeit allenfalls bevorschussend zu unterstützen.
(5) Für die Kosten, die die Sozialhilfe für das Kind erbringt, kann sie nach Schweizer Recht auf die Eltern Rückgriff nehmen, da sie in den Unterhaltsanspruch des Kindes eintritt (Art. 289 Abs. 2 ZGB). Aufgrund der finanziellen Situation der Mutter dürfte dies jedoch nicht aussichtsreich sein. Immerhin wäre bei ihr zu klären, ob sie für dieses Kind von Deutschland Unterstützungsbeiträge bezieht bzw. beziehen kann, die sie in die Schweiz weiterleiten müsste. Wie oben erwähnt, sind Pflegeeltern grundsätzlich nicht verpflichtet, Unterhalt zu leisten. Art. 6 Abs. 3 PAVO sieht jedoch eine schriftliche Verpflichtung der Pflegeeltern bei Aufnahme ausländischer Kinder vor. Danach müssen sich Pflegeeltern schriftlich verpflichten, ohne Rücksicht auf die Entwicklung des Pflegeverhältnisses für den Unterhalt des Kindes in der Schweiz wie für den eines eigenen aufzukommen und dem Gemeinwesen die Kosten zu ersetzen, die es an ihrer Stelle für den Unterhalt des Kindes getragen hat. Liegt eine solche schriftliche Verpflichtung in dem von Ihnen geschilderten Fall vor, kämen die Pflegeeltern (Grosseltern) über diese in die Pflicht, die Kosten zu tragen. Sie könnten meiner Ansicht nach jedoch nur gleich belangt werden wie Eltern, deren Kind fremdplatziert wird. Sind die Eltern bzw. Pflegeeltern nicht leistungsfähig müsste das Gemeinwesen vorrangig die Kosten tragen. Demnach gilt es zu klären, wie die Verhältnisse bei Einreise seitens der Behörden geprüft wurde, wie es sich mit der Pflegeplatzbewilligung und einer solchen schriftlichen Verpflichtung nach PAVO verhält.
Offengelassen werden muss, ob das Kind bei einer solchen schriftlichen Verpflichtung zur gleichen Unterstützungseinheit wie die Pflegeeltern zu zählen wäre, falls es bei ihnen leben würde, also nicht dauernd im Heim unterbracht wäre. Falls sich diese Frage bei Ihnen stellt, bitte ich Sie, sich nochmals zu melden.
(6) Nach dem Gesagten sind meiner Meinung nach die finanziellen Engpässe der Grosseltern primär über das Kind anzugehen. Wie es sich mit einer Mandatsentschädigung für die Vormundschaftstätigkeit der Grosseltern verhält (§ 13 f. V KESR des Kantons Aargaus) wäre mit der zuständigen KESB zu klären, falls keine solche gleistet wird. Bringt all dies nicht die nötige Entlastung, ist zu empfehlen, dass auch die Grosseltern den für sie zuständigen Sozialdienst um Unterstützung ersuchen.
Auch einer weiteren Frage empfehle ich Ihnen nachzugehen: Inwieweit die Grossmutter als Erwerbstätige Anspruch auf Kinderzulagen nach FamZG für das Pflegekind hat, falls sie keine solchen Zulagen bezieht.
(7) Abschliessend sei darauf hingewiesen, dass der Sozialhilfebezug der Grosseltern, aber wohl auch des Kindes (dazu machen Sie keine Angaben) migrationsrechtlich eine Relevanz haben kann. Dies ist abhängig von ihrer Bewilligung. Siehe etwa Art. 61a Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG) bei Aufenthaltsbewilligung B zwecks unselbständiger Erwerbstätigkeit, wenn die Arbeitnehmereigenschaft nicht mehr gegeben ist. Bei diesbezüglichen Fragen wollen Sie sich an spezialisierte Stellen wenden.
Für weitere Informationen zum Thema Aufnahme eines ausländischen Kindes zur Pflege kann ich Sie auf den Forumsbeitrag von Karin Anderer im Kindes- und Erwachsenenschutzforum unter dem Titel "Zuständigkeiten klären D oder CH bei FU" vom 12.7.2018 hinweisen, welcher einen ähnlichen Fall betrifft.
Ich hoffe, die Antwort hilft Ihnen weiter, die weiteren Schritte einzuleiten.
Freundliche Grüsse, Ruth Schnyder