Guten Tag
Ein Ehepaar wird durch uns sozialhilferechtlich unterstützt. Bei der jährlichen Revision/Überprüfung wurde festgestellt, dass auf dem Bankkonto des Klienten regelmässig Eingänge des Sohnes eingetroffen sind. Gemäss der Stellungnahme des Ehepaars handelt es sich um ein Darlehen vom Sohn, damit die Kreditkartenschulden abbezahlt werden können. Dies ist auch dem Kontoauszug ersichtlich. Der Klient hat jeweils nach Eingang der Zahlung von Sohn eine weitere Zahlung an die Kreditkartenfirma getätigt.
Gemäss BKSE-Stichwort gilt folgendes: Freiwillige Leistungen Dritter, die im Interesse der Sozialhilfe sind (Zweckübereinstimmung), werden vom Sozialdienst akzeptiert, d.h. in kostenneutraler Weise (sowohl auf der Einnahmen- wie auch auf der Ausgabenseite) im Budget angerechnet.
Wir sind uns nun uneinig, ob das Darlehen vom Sohn als zweckgebundene Leistung akzeptiert werden soll oder als freiwillige Leistung Dritter im Budget abgezogen werden muss, da der Klient sonst bevorzugt wird.
Können Sie uns weiterhelfen?
Freundliche Grüsse
S. Matter, Kanton Bern
Frage beantwortet am
Anja Loosli Brendebach
Expert*in Sozialhilferecht
Sehr geehrter Frau Matter
Vielen Dank für Ihre Frage. Ich beantworte diese gerne wie folgt:
In Art. 9 des Sozialhilfegesetzes des Kantons Bern (SHG BE) wird das Prinzip der Subsidiarität festgehalten. Dieses besagt, dass Sozialhilfeleistungen nur gewährt werden, wenn die bedürftige Person die Notlage nicht aus eigener Kraft beheben kann, oder wenn Mittel aus Leistungen Dritter nicht oder nicht rechtzeitig verfügbar sind. Sozialhilfeleistungen sind auch subsidiär gegenüber Leistungen Dritter, welche ohne rechtliche Verpflichtung erfolgen, wie beispielsweise Beiträge von privaten oder kirchlichen Sozialwerken oder freiwillige Leistungen von Angehörigen. Es besteht kein Wahlrecht zwischen der öffentlichen Sozialhilfe und privater Unterstützung, selbst wenn sie ohne rechtliche Verpflichtung geleistet wird. Deshalb sind Zuwendungen Dritter, welche tatsächlich erbracht werden oder aufgrund von Zusicherungen ohne weiteres erhältlich sind, bei der Bemessung der Unterstützung zu berücksichtigen (Art. 9 und 23 SHG, Handbuch Sozialhilfe BKSE, Eintrag „freiwillige Leistungen Dritter“). Zu den freiwilligen Leistungen von Dritten gehören auch Darlehen (siehe Entscheid des Verwaltungsgerichts Bern vom 21.12.2016, 200 16 697 SH). Freiwillige Leistungen Dritter, die im Interesse der Sozialhilfe sind (Zweckübereinstimmung), werden vom Sozialdienst dagegen akzeptiert, d.h. in kostenneutraler Weise (sowohl auf der Einnahmen- wie auch auf der Ausgabenseite) im Budget angerechnet (Handbuch Sozialhilfe BKSE, Eintrag „freiwillige Leistungen Dritter“). Dies gilt nach dem Entscheid des Verwaltungsgerichts Bern vom 21.12.2016 (200 16 697 SH) aber auch dann nur für Zuwendungen, die relativ bescheiden sind (total 20% des monatlichen Grundbedarfs) und ausdrücklich zusätzlich zu den Sozialhilfeleistungen (allenfalls mit einem bestimmten Zweck) erbracht werden.
Oder mit anderen Worten: Würde die Sozialhilfe die Aufwendungen, für die die Leistungen Dritter erbracht werden, voraussichtlich selbst bezahlen , wenn sie kein Dritter zahlt oder kann es als Zweck der Sozialhilfe gesehen werden, Klienten schuldenfrei zu machen, sind die Einnahmen bzw. vorliegend das monatliche Darlehen des Sohnes kostenneutral zu verbuchen, falls die Zuwendungen als bescheiden gelten können.
Es ist deshalb in einem nächsten Schritt zu klären, ob die Tilgung der Kreditkartenschulden als im Interesse der Sozialhilfe gelten kann oder gar von dieser übernommen würde, wenn der Sohn die Schulden mittels Darlehen nicht begleichen würde.
In Art. 30 Abs. 4 SHG wird ausdrücklich festgehalten, dass für die Tilgung von Schulden grundsätzlich keine wirtschaftliche Hilfe gewährt wird. Dieses Prinzip wird nochmals in Art. 10 Abs. 1 der Sozialhilfeverordnung (SHV BE) festgehalten. Diese Regelungen resultieren aus dem Bedarfsdeckungsprinzip (Kapitel A.4 SKOS-Richtlinien). Nur der aktuelle und nicht der vergangene Bedarf ist von der Sozialhilfe zu decken. Die Ausnahmen von Grundsatz, keine Schulden zu übernehmen, werden in Abs. 2 festgehalten. Vom Grundsatz kann demnach abgewichen werden, wenn dadurch eine bestehende oder drohende Notlage behoben oder vermieden werden kann. Dies ist der Fall, wenn eine Verschlechterung der Lebenssituation im Sinne einer Verarmung, Obdachlosigkeit oder der Verlust medizinischer Versorgung droht. So kann beispielsweise die Übernahme von ausstehenden Mietzinsen sinnvoll sein, wenn dadurch günstiger Wohnraum gesichert werden kann.
Damit steht fest, dass es grundsätzlich nicht im Interesse der Sozialhilfe liegt, Schulden und folglich auch Kreditkartenschulden zu übernehmen. Vorliegend scheint mir auch keine Ausnahme nach Art. 10 Abs. 2 SHV BE gegeben zu sein, da mit der Kreditkarte üblicherweise keine Mietkosten und auch keine Krankenkassenprämien oder Gesundheitskosten bezahlt werden, die die Übernahme der Schulden als im Sinne der Sozialhilfe erscheinen lassen.
Anders sieht es auch nicht aus, wenn die Kreditkartenschulden nicht vor sondern während der Unterstützung angefallen sind. Dadurch, dass sie noch nicht bezahlt sind, stellen sie Schulden im Sinne des SHG BE bzw. der SHV BE dar.
Anders würde es nur dann aussehen, wenn mit der Kreditkarte Ausgaben finanziert worden sind, die unter den Ausnahmegrund von Art. 10 Abs. 2 SHV BE fallen und z.B. der Verlust der Wohnung drohen würde, wenn sie nicht bezahlt werden.
Fazit: Die monatlichen Darlehen des Sohnes für die Tilgung von Kreditkartenschulden sind deshalb als Einnahmen anzurechnen. Davon abzusehen ist nur, wenn sich aufgrund vertiefter Sachverhaltsabklärung herausstellt, dass der Ausnahmetatbestand von Art. 10 Abs. 2 SHV BE erfüllt ist (Davon gehe ich aufgrund des Einsatzgebiets von Kreditkarten aber nicht aus).
Ergänzend ist festzuhalten, dass mit der Anrechnung aufzuhören ist, sobald der Sohn die Zahlungen stoppt.
Es macht meiner Ansicht nach zudem Sinn und ist im Unterstützungsauftrag der Sozialhilfe vorgesehen, die Klienten zu unterstützen in ihrer sicher schwierigen Situation mit ihren Schulden. Eine Anmeldung bei der Berner Schuldenberatung www.schuldeninfo.ch/links-beratungsstellen.htm scheint mir deshalb notwendig zu sein.
Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort weiterhelfen zu können.
Freundliche Grüsse
Anja Loosli Brendebach