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Darf die ALV auf das IV Taggeld bezug nehmen?

Veröffentlicht:
19.04.2023
Kanton:
Zürich
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialversicherungsrecht

Liebes Expertenteam

Ich habe folgenden Sachverhalt

Ein Lifttechniker mit einer chronischen Erkrankung stellt mit dem Arbeitgeber einen IV Antrag. Danach verliert er den Job, da er als Techniker nicht mehr in Frage kommt. Obwohl der Klient schon Ü50 ist und die chronische Erkrankung priogredient, bezahlt die IV Stelle eine Umschulung als Fahrlerer. Die IV Taggelder werden nur bis zum letzten Tag der Ausbildung bezahlt, nicht aber bis die Prüfungsergebnisse vorliegen. Die Prüfung hat der Klient leider nicht bestanden, darum musste er sich nun bei der ALV anmelden. Die ALV bezahlt die ALV Taggelder und stellt dabei nicht auf den Lohn als Lifttechniker ab, sondern auf die bezogenen IV Taggelder wärend dem Praktikum. Der Klient ist aber noch in einem laufenden IV Verfahren, da er immer noch zu 60% AUF geschrieben ist.

Aus meiner Sicht müsste die ALV 70% vom Lohn des Lifttechnikers bezahlen. Die IV Taggelder waren 80% vom Lohn die AlV sind nund 70% von 80%. Müsste die ALV nicht aufgrund der Vorleistungspflicht 70-80% vom Lifttechnikerlohn bezahlen da der Prozess bei der IV ja noch nicht abgeschlossen ist?

Vielen Dank für Ihre Bemühungen im Voraus

Frage beantwortet am

Peter Mösch Payot

Expert*in Sozialversicherungsrecht

Gerne beantworte ich Ihre Anfrage.

A) Sie halten in Ihrer Anfrage richtig fest, dass die ALV in Fällen, wo ein IV-Verfahren noch offen ist, vorleistungspflichtig sein kann, wenn keine offensichtliche Vermittlungsunfähigkeit vorliegt (vgl. Art. 70 Abs. 2 lit. b ATSG; Art. 15 AVIG, Art. 15 AVIV). Das bedeutet, dass in diesem Fall eine Vermittlungsfähigkeit auch dann angenommen werden muss, wenn eine Person nur zu 20% restarbeitsfähig ist.

Im Weiteren müssen auch bei Vorleistungsfällen die übrigen Anspruchsvoraussetzungen (namentlich die Beitragszeit) für den Leistungsbezug  trotzdem bestehen.

Unabhängig von dieser Frage nach dem Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen ist die Frage der Bemessung der Arbeitslosentaggelder zu beantworten. Das scheint hier die entscheidende Frage.

 

B)  Die Berechnung des Taggeldes erfolgt nach dem versicherten Verdienst.

Als versicherter Verdienst gilt der im Sinne der AHV-Gesetzgebung massgebende Lohn, der während eines Bemessungszeitraumes aus einem oder mehreren Arbeitsverhältnissen normalerweise erzielt wurde. Massgebend ist in der Regel der arbeitsvertraglich festgelegte Lohn, soweit dieser auch tatsächlich realisiert worden ist. (vgl. Art. 23 AVIG; Art. 37, 39, 40, 40a, 40b, 40c und 41 AVIV; siehe auch Ziff. C 1 ff. AVIG Praxis ALE; siehe unter  https://www.arbeit.swiss/secoalv/de/home/service/publikationen/kreisschreiben---avig-praxis.html

Taggelder von Sozialversicherungen sind für die Ermittlung des versicherten Verdienstes heranzuziehen, wenn diese beitragspflichtig sind. Das ist bei IV-Taggeldern der Fall, wenn die versicherte Person vor dem Bezug der Taggelder angestellt war und massgebenden Lohn erzielte. Das bedeutet, dass von der IV während der Eingliederung eines zuvor als Arbeitnehmer tätig gewesenen Versicherten ausbezahlte Taggeld grundsätzlich als massgebender Lohn gilt (vgl. dazu BGE 123 V 223).

 

C) Wenn der massgebliche versicherte Verdienst sich VOR der Anmeldung bei der ALV verändert hat (wie bei Ersatz von früherem Lohn durch IV-Taggeld) ist Art. 37 Abs. 1 und 2 AVIV zu beachten:

Der versicherte Verdienst bemisst sich nach dem Durchschnittslohn der letzten sechs Beitragsmonate vor Beginn der Rahmenfrist für den Leistungsbezug, also in der Regel vor der ALV-Anmeldung. Fällt der Durchschnittslohn aus den letzten 12 Beitragsmonaten höher aus als jener aus 6 Monaten, ist dieser massgebend. Siehe dazu für Weiteres C 15ff. AVIG-Praxis ALE).

 

D) Soll der versicherte Verdienst innerhalb der Rahmenfrist für den Leistungsbezug geändert werden so ist Art. 37 Abs. 4 AVIV massgeblich. Siehe dazu auch C 24 AVIG-Praxis ALE:

Es gilt dabei, dass sich der zu Beginn der Rahmenfrist festgelegte versicherte Verdienst während der Rahmenfrist für den Leistungsbezug NICHT verändert.

Der versicherte Verdienst wird aber ausnahmsweise unmittelbar, und nicht erst in einer nächsten Kontrollperiode (also bei Beginn einer neuen Rahmenfrist, neu festgelegt in folgenden Konstellationen:

• Wenn der Grad der Vermittelbarkeit / der anrechenbare Arbeitsausfall der betroffenen Person sich verändert; oder

• wenn die versicherte Person während mindestens sechs Monaten ununterbrochen eine Beschäftigung zu einem Lohn ausgeübt hat, der über dem versicherten Verdienst liegt und sie erneut arbeitslos wird. Als Unterbruch gilt dabei jeder Bezug von ALE, inkl. Warte- und Einstelltage.

Mit Blick auf die Koordination von ALE und IV-Taggeldern ist dabei zu beachten, dass die IV-Taggelder immer in dem Ausmass wegfallen, als ein Anspruch auf Taggelder der ALV noch besteht (siehe Urteil des BGer 8C_27/2017, Urteil des BGer 9C_942/2009).  

 

Fazit für Ihre Frage: Aus den genannten Regeln ergibt sich Folgendes zur hier interessierenden Frage des Abstellens auf das IV-Taggeld bzgl. massgebendem Lohn

  • Wenn NACH einer Anmeldung für ALV-Taggeld einige Zeit IV-Taggelder bezogen werden führt dies NICHT zu einer Änderung der Bemessung des ALV-Taggeldes
  • Wenn aber VOR der Anmeldung für ALV-Taggelder IV-Taggelder bezogen wurden, so können sie als Grundlage für die Berechnung der ALV-Taggelder relevant sein. Insb. wenn sie während der sechs Monate vor der ALV-Anmeldung gewährt wurden (siehe oben unter lit. C).

 

Ich hoffe, das dient Ihnen.

 

Prof. Peter Mösch Payot