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Covid-19 / Impfung

Veröffentlicht:
21.12.2020
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Kindes- und Erwachsenenschutz

Der erste Impfstoff hat die Zulassung durch Swissmedic erhalten. Swissmedic geht davon aus, dass aufgrund der Daten zu Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität der Impfstoff ohne Alterseinschränkung für alle Erwachsenen ab 16 Jahren geeignet ist. In vielen Kanton beginnen nun Impfungen. In einer ersten Phase werden besonders gefährdeten Personen geimpft (z.B. in Pflegeheimen). Im Rahmen von Beistandschaften betreuen wir Personen, welche nicht mehr urteils- und handlungsfähig sind und nicht  selber eine Aussage zu einer Impfung machen können. Gegebenenfalls braucht es die Zustimmung der Beistandsperson, resp. wir werden darum ersucht. Patientenverfügungen liegen nicht immer vor, der mutmassliche Wille ist nicht immer bekannt. Bei einer Impfung geht es ja nicht nur um den Schutz der betroffenen Person, sondern auch um den Schutz von Mitbewohnenden und vom Pflegepersonal. 

Auf was habe ich als Beistandsperson bei der Zustimmung zu einer Impfung zu achten?

Frage beantwortet am

Karin Anderer

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Sehr geehrter Herr Zahno

In einem jüngsten Entscheid (BGer 5A_789/2019 vom 16.6.2020) hatte sich das Bundesgericht mit der Masernimpfung von drei noch nicht urteilsfähigen Minderjährigen zu befassen, deren geschiedene Eltern als gemeinsame Inhaber der elterlichen Sorge sich über die Vorsorgemassnahme nicht einig wurden. Das Bundesgericht gelangte zum Schluss, angesichts der gesundheitlichen Risiken und Gefahren, denen ein Kind ohne Impfschutz gegen Masern ausgesetzt ist, ertrage die Frage, ob eine Masernimpfung durchzuführen sei oder nicht, unter den Eltern keine Pattsituation. Dies ergebe sich aus der besonderen Stellung, die dem Schutz der Gesundheit des Kindes als Grundvoraussetzung für eine möglichst gute Entwicklung zukomme. Könnten sich die sorgeberechtigten Eltern über diese Massnahme zum Schutz der Gesundheit des Kindes nicht einigen, liege mithin ein Anwendungsfall von Art. 307 Abs. 1 ZGB vor (Gefährdung des Kindeswohls). Das bedeutet, dass die zuständige Behörde berufen ist, in dieser Frage anstelle der Eltern zu entscheiden. Dabei hat sie in pflichtgemässer Ausübung ihres Ermessens alle für die Beurteilung wesentlichen Elemente in Betracht zu ziehen. Empfiehlt das Bundesamt für Gesundheit (BAG) als fachkompetente eidgenössische Behörde die Durchführung der Masernimpfung, so soll diese Empfehlung für den Entscheid der Behörde Richtschnur sein. Eine Abweichung davon sei nur dort am Platz, wo sich die Masernimpfung aufgrund der besonderen Umstände des konkreten Falles nicht mit dem Kindeswohl verträgt.

Auf die mittlerweile möglich gewordene Covid-19-Impfung übertragen darf aus dem bundesgerichtlichen Leiturteil geschlossen werden, dass die Einhaltung von Impf-Empfehlungen des BAG und der Eidgenössischen Kommission für Impffragen (EKIF) durch Schutzbeauftragte und gesetzliche Vertretungen einen Sorgfaltsmassstab darstellen können.

Der Website des BAG ist Folgendes zu entnehmen: Die Impfstrategie bildet die Grundlage für die Impfempfehlungen. Die Impfempfehlungen werden in der Schweiz von der Eidgenössischen Kommission für Impffragen EKIF in Zusammenarbeit mit dem BAG erarbeitet. Die Impfempfehlungen können sich unterscheiden, da jeder Impfstoff unterschiedliche Eigenschaften hat, die je nach Zielgruppe (z.B. besonders gefährdete Personen, Alter) möglicherweise anders wirken. Die erste Impfempfehlung zum Impfstoff Comirnaty® von Pfizer/BioNTech liegt seit dem 22. Dezember 2020 vor. Diese Empfehlung beinhaltet unter anderem, wer gemäss Impfstrategie zuerst geimpft wird und welche Zielgruppen bei begrenzten Impfstoffmengen eine Impfung erhalten. In der Rubrik Wer soll sich impfen lassen? lassen sich weitere Informationen finden.

Nicht impfen lassen sollten sich

  • Menschen mit einer schweren bestätigten Allergie auf einen Bestandteil des Impfstoffs (insbesondere PEG)
  • Schwangeren Frauen.
  • Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren

(Quelle: BAG, Allgemeine Informationen zur Covid-19-Impfung, aktualisiert am 22. 12.2020).

Die Beistandsperson untersteht der Pflicht zur bestmöglichen individuellen Interessenwahrung (Art. 388 Abs. 1 und Art. 406 Abs. 1 ZGB). Das bedeutet, dass einerseits gestützt auf Art. 9 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 1 Epidemiengesetz (SR 818.101) erlassene behördliche Empfehlungen eine Richtschnur darstellen, dass dabei aber alle für die Beurteilung wesentlichen Elemente in Betracht zu ziehen sind. Dazu ist eine Beurteilung des Vertrauens- bzw. Hausarztes der verbeiständeten Person beizuziehen, welche sich namentlich zur Frage äussert, ob Gründe vorliegen, dass sich der Patient oder die Patientin nicht impfen lassen sollte oder nach der Impfung eine ärztliche Überwachung angezeigt ist. Der Vertrauens- bzw. Hausarzt klärt die Beistandsperson über die Impfung auf.

Hinweis: Die Kantone arbeiten zur Zeit Abläufe aus, wie die Impfungen durchgeführt werden. Im Kanton Zürich (für die Alters-und Pflegeheime) macht das z.B. der Kantonsärztliche Dienst in Zusammenarbeit mit Curaviva Zürich und der Ärztegesellschaft des Kantons Zürich. Briefvorlagen und eine Vorlage für die Impfaufklärung wurden für die Ärzteschaft und die Alters-und Pflegeheime vorbereitet.

Zusammenfassung

Ist eine Beistandsperson für die Vertretung in medizinischen Massnahmen zuständig, die betroffene Person hinsichtlich der Impffrage urteilsunfähig, und können weder Angaben einer Patientenverfügung entnommen, noch ein mutmasslicher Wille eruiert werden, wird eine Impfung empfohlen, sofern die verbeiständete Person nicht unter die noch nicht zu impfenden Personenkategorien fällt. Der Vertrauens- bzw. Hausarzt der verbeiständeten Person ist vorgängig zu konsultieren.

Die Impfempfehlungen der EKIF und des BAG sind ein ausschlaggebendes Kriterium der Sorgfaltspflicht einer Beistandsperson. Verweigert sie die Impfung, ohne überwiegende Interessen oder den klarerweise entgegenstehenden Willen der betroffenen Person (z.B. aufgrund ihres bisherigen Verhaltens und ihrer gefestigten weltanschaulichen Überzeugung) geltend machen zu können, riskiert sie einen Betreuungs- und damit einen haftpflichtigen Personenschaden. Aufgrund des heutigen Wissensstandes und der vom Bund gestützt auf Art. 20 Epidemiengesetz geschaffenen Rechtslage können die in sozialen Medien verbreiteten Bedenken gegen die Covid-19-Impfung für eine Beistandsperson keine sorgfaltspflichtrelevante Entscheidungsgrundlage bieten.

Ich hoffe, die Angaben sind nützlich und ich grüsse Sie freundlich. Alles Gute im 2021 und bleiben Sie gesund.

 

Luzern, 2.1.2021

Karin Anderer