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Bussen/drohende Inhaftierung

Veröffentlicht:
06.11.2017
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Guten Tag liebes Expertenteam
ich gelange mit einer sozialhilferechtlichen Anfrage aus dem Kanton Bern an Sie:
Wir betreuen eine Familie in der Sozialhilfe. Die Frau arbeitet Teilzeit, er geht keiner Erwerbstätigkeit nach. Integrationsversuche sind gescheitert. Der Klient hat eine Busse in Höhe von Fr. 11.000.- offen. Dies ist eine Busse vom Betreibungsamt, da er 2015 dort nicht angegeben hat, dass er eine Arbeit hat. Die Familie hat damals eine Stundung bis Ende 2017 beantragt. Es ist nicht mehr möglich, die Busse in gemeinnützige Arbeit umzuwandeln, oder eine Ratenzahlung anzubieten. Es steht eine Haftstrafe von rund einem Jahr an.
Die Familie hat der Mittelschicht angehört und hat ohnehin mit ihrem sozialen Abstieg sehr viel Mühe. Seine Sozialkompetenzen sind sehr eingeschränkt, was sich in den versuchten Integrationsprogrammen zeigte. Er ist sehr verbittert und sieht die Schuld für seine nicht gelingende Integration bei allen anderen. Eine Inhaftierung würde aus meiner Sicht die Situation noch verschärfen und eine anschliessende Integration nahezu verunmöglichen. Des Weiteren sehe die Gefahr, dass der Klient von den Mitinsassen schikaniert wird. Er macht sich mit seinen Verhaltensweisen leicht zum Opfer. Er ist nervlich nicht belastbar.
Der Klient hat ein Erbe in Höhe von Fr. 6000.- in Aussicht.
Kann er dieses Erbe dazu verwenden einen Teil der Busse zu bezahlen?
Unter welchen Bedingungen kann der Sozialdienst den Rest der Busse bevorschussen? Müsste eine Anfrage vom Kantonalen Sozialamt gemacht werden?
Welche anderen Lösungsmöglichkeiten gibt es?
Besten Dank für Ihre Bemühungen.
Freundliche Grüsse
Sabine Bauer

Frage beantwortet am

Cathrin Habersaat-Hüsser

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrte Frau Bauer
Es stellt sich die Grundfrage, ob Schulden durch die Sozialhilfe übernommen werden können. Das Gesetz über die öffentliche Sozialhilfe (SHG BE) legt in Art. 30 Abs. 4 fest, dass in der Regel für das Tilgen von Schulden keine wirtschaftliche Hilfe gewährt wird. So auch die SKOS Richtlinien, welche aufgrund Art. 8 Abs. 1 der Verordnung über die öffentliche Sozialhilfe (SHV BE) Gültigkeit haben (sofern SHG und SHV keine abweichende Regelung vorsehen), unter A.4 Bedarfsdeckung: "Sozialhilfeleistungen werden nur für die Gegenwart und (sofern die Notlage anhält) für die Zukunft ausgerichtet, nicht jedoch für die Vergangenheit." Auch die Angemessenheit der Hilfe kann angeführt werden, wonach Personen mit Unterstützung nicht besser zu stellen sind als solche, die in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen leben aber keine Unterstützung mit wirtschaftlicher Hilfe erhalten. Im Art. 10 Abs. 2 SHV BE ist genaueres zu finden:
"Schulden können bei der Bemessung der wirtschaftlichen Hilfe ausnahmsweise berücksichtigt und getilgt werden, wenn dadurch eine bestehende oder drohende Notlage behoben oder vermieden werden kann."
Im Handbuch ist unter dem Stichwort Schulden aufgeführt, wann eine Ausnahme gemäss Art. 10 Abs. 2 SHV BE vorliegt: "Dies ist der Fall, wenn eine Verschlechterung der Lebenssituation im Sinne einer Verarmung, Obdachlosigkeit oder der Verlust medizinischer Versorgung droht. So kann beispielsweise die Übernahme von ausstehenden Mietzinsen sinnvoll sein, wenn dadurch günstiger Wohnraum gesichert werden kann." Es wird weiter ausgeführt, dass die Kosten für Abklärungen hinsichtlich einer Schuldensanierung vom Sozialdienst übernommen werden können, jedoch der Einsatz von öffentlichen Mitteln für die Sanierung selbst oder den Kostenvorschuss unzulässig sei. Als Ausweg wird darauf verwiesen, dass allenfalls Fonds oder Stiftungen angefragt werden können.
Es gibt einen Entscheid des Regierungsstatthalteramtes Bern-Mittelland vom 12.4.16 (200 16 470) in dem ebenfalls konkretisiert wird:
"Die Sozialhilfe erstreckt sich nicht auf bereits überwundene Notlagen, weshalb eine Sozialhilfe beziehende Person grundsätzlich nicht verlangen kann, dass ihr Sozialhilfeleistungen rückwirkend ausgerichtet werden, auch wenn die Voraussetzungen hierfür bestanden hätten (VGE 2011/231 vom 6. Oktober 2011, E. 2; zum Ganzen: Felix Wolffers, Grundriss des Sozialhilferechts, 2. unveränderte Aufl. 1999, S. 74). Ausnahme hiervon stellt die Übernahme von Schulden dar, wenn durch deren Nichtbezahlung eine neue Notlage herbeigeführt werden würde (Wolffers, a.a.O., S. 152)" (E.2.3).
Die Sozialgesetzgebung im Kanton Zürich kennt ebenfalls eine ähnliche Regelung bezüglich Übernahme von Schulden wie Bern und das Verwaltungsgericht Kanton Zürich hat sich im Urteil VB.2008.00057 mit Konkretisierungen befasst und festgehalten, dass die Voraussetzung zur ausnahmsweisen Übernahme von Schulden zum Beispiel bei Mietausständen oder Krankenversicherungsprämien erfüllt sind, wenn dadurch das Mietverhältnis oder der Versicherungsschutz aufrechterhalten werden kann. Hingegen seien weder Steuern noch Kreditschulden in der Bedarfsrechnung zu berücksichtigen, denn sie dienten nicht der Sicherung des Lebensunterhalts von Bedürftigen (E. 2.3).
Im geschilderten Fall liegt wohl eher keine Verschlechterung der Lebenssituation im Sinne einer Verarmung, Obdachlosigkeit oder der Verlust medizinischer Versorgung vor, weswegen eine (Teil)Übernahme der Busse wohl ausgeschlossen ist. Hier wäre eher zu klären, ob es Fonds und Stiftungen gibt, die den Betrag übernehmen würden oder ob eine erneute Stundung aufgrund der laufenden Unterstützung mit wirtschaftlicher Hilfe möglich wäre.
Nun zum Erbe:
Art. 40 Abs. 1 SHG BE besagt, dass Personen zur Rückerstattung von wirtschaftlicher Hilfe verpflichtet sind, sobald sich die wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich verbessert haben. Für die Konkretisierung der wirtschaftlichen Verhältnisse verweist Art. 11b der SHV BE auf die in Kapitel E.3.1 der SKOS Richtlinien festgelegten Beträge für Vermögen. Die in Aussicht stehenden Fr. 6000.00 sind deutlich unter diesen Beträgen.
Das Handbuch führt unter dem Stichwort Erbschaften auf, dass bei Bargelderbe die Ablösung von der Sozialhilfe zu prüfen ist, wenn die Bedürftigkeit gemäss Art. 23 Abs. 2 SHG BE nicht mehr gegeben ist, das Geld somit konkret vorhanden ist. Wenn dann nach erfolgter Ablösung ein erneutes Gesuch gestellt wird, ist zu prüfen, ob die Bedürftigkeit selbstverschuldet ist. Art. 36 SHG BE legt nämlich fest, dass die wirtschaftliche Hilfe bei selbstverschuldeter Bedürftigkeit grundsätzlich zu kürzen sei, ausser es handelt sich um einen leichten, begründeten Fall, dann kann von einer Kürzung abgesehen werden. Abs. 2 besagt, dass die Leistungskürzung dem Fehlverhalten der betroffenen Person angemessen sein muss und den absolut nötigen Existenzbedarf nicht berühren darf. Zudem darf die Kürzung nur die fehlbare Person selber treffen. Nebst dieser Leistungskürzung müssen gemäss Art. 40 Abs. 4 SHG BE Personen, welche ihre Bedürftigkeit in grober Weise selber verschuldet haben, die ihnen deswegen ausgerichtete wirtschaftliche Hilfe rückerstatten. Das Handbuch legt unter dem Stichwort Kürzungen dar, dass die Kürzung und Rückerstattung zu prüfen sei, wenn die Person die Notlage in grober Weise selbstverschuldet hat. Ein grobes Selbstverschulden liegt gemäss Stichwort Rückerstattungspflicht vor, wenn die unterstützte Person die elementare Pflicht zur Verantwortung für sich selbst verletzt hat, indem sie beispielsweise das Vermögen unverhältnismässig verbraucht hat.
Von einer Ablösung der Familie ist abzusehen, wenn die Erbschaft in den Vermögensfreibetrag gemäss den SKOS-Richtlinien E.2.1 fallen würde. Es stellt sich dabei aber die Frage, ob der Vermögensfreibetrag gemäss SKOS E.2.1 während des Sozialhilfebezugs gewährt werden kann. Die SKOS Richtlinien halten dabei fest, dass dieser Freibetrag zu Beginn der Unterstützung oder wenn eine laufende Unterstützung abgelöst wird, zugestanden werden kann. Das Handbuch führt unter dem Stichwort Vermögen aus: «Diese Vermögensfreibeträge sind einer unterstützten Person nur einmal pro Unterstützungsperiode zu gewähren - i.d.R. bei Unterstützungsbeginn. Kommt eine unterstützte Person während der Unterstützung in den Genuss von Vermögen, wird der Vermögensfreibetrag nicht gewährt und das Vermögen voll im Budget angerechnet. Handelt es sich um erhebliches Vermögen, das eine nachhaltige Ablösung vom Sozialdienst ermöglicht, so muss die Klientel abgelöst werden und es ist eine Rückerstattung zu prüfen.»
Im geschilderten Fall ist somit das Erbe voll im Budget anzurechnen und es muss geprüft werden, ob die Familie zwischenzeitlich von der wirtschaftlichen Hilfe abgelöst werden kann. Eine Rückerstattung der bereits bezogenen Sozialhilfe ist jedoch aufgrund des zu geringen Erbes nicht erforderlich. Wenn die Familie abgelöst werden kann und sie das Geld andersweitig als für den Lebensunterhalt verbraucht, so ist eine Kürzung und Rückerstattung der Hilfe bei Vorliegen von grobem Selbstverschulden bei erneuter Anmeldung zu prüfen. D.h. hier steht dem Sozialdient ein gewisses Ermessen zu, ob es ein Selbstverschulden (Kürzung) bzw. grobes Selbstverschulden (dazu noch Rückerstattung) annimmt, dann auch in welchem Umfang die Kürzung angesetzt wird. Letztendlich wären dies aber die Folgen, wenn der Erbanfall zum Abzahlen der Schulden verwendet würde und damit eine vorzeitige Bedürftigkeit herbeigeführt würde.
Noch zu klären ist nun, ob die Sozialhilfe die Schulden bevorschussen kann. Dazu lässt sich weder im Gesetz, der Verordnung, den SKOS Richtlinien noch im Handbuch etwas finden. In der Praxis kommt eine Bevorschussung dennoch teilweise vor. Da jedoch keine rechtliche Regelung vorhanden ist, sollte diese nur sehr zurückhaltend angewendet werden. Zum Beispiel kann es legitim sein, Beiträge zu bevorschussen, die in wenigen Monaten zurückbezahlt werden können, soweit diese zweckmässig und auch im Interesse der Sozialhilfe sind. Dies ist jedoch bei einem Betrag in dieser Höhe nicht mehr gegeben.
Ich hoffe, Ihnen mit diesen Angaben weitergeholfen zu haben.
Freundlich grüsst
Cathrin Hüsser

Guten Tag Frau Hüsser
besten Dank für Ihre sehr ausführliche und präzise Antwort. Wir schätzen diese Unterstützung hier auf dem Dienst sehr.
Beste Grüsse
Sabine Bauer

Frage beantwortet am

Cathrin Habersaat-Hüsser

Expert*in Sozialhilferecht

Guten Abend Frau Bauer
Das freut mich sehr zu lesen, besten Dank für die Rückmeldung.
Freundlich grüsst
Cathrin Hüsser