Sehr geehrte Damen und Herren
Ich habe einige Fragen betr. Bezug der Freizügigkeitsleistung.
Darf die Sozialhilfe bei einer Ablösung aufgrund von einem Kapitalbezug der Freizügigkeitsleistung (welcher nach mir für die Zukunft gedacht ist) die Rückerstattung prüfen/geltend machen? Und wenn ja aufgrund welcher gesetzlichen Grundlage? Dazu muss ich noch sagen, dass der Bezug der Freizügigkeitsleistung vor dem ordentlichen Rentenalter erfolgt.
Wie verhält sich die EL, sollte mit dem Kapitalbezug ein Teil der Sozialhilfeschuld zurückbezahlt werden?
Besten Dank für Ihre Rückmeldung und gute Gesundheit.
Frage beantwortet am
Ruth Schnyder
Expert*in Sozialhilferecht
Sehr geehrte Frau Schneeberger
Gerne beantworte ich Ihre Anfrage. Die Rückerstattung von Unterstützungsleistungen ist in Art. 27 SHG AR geregelt. Handelt es sich nicht um einen unrechtmässigen Bezug, sondern um die Rückerstattung rechtmässig bezogener Leistungen sind zwei Ausgangslagen für die Rückerstattung geregelt:
- Wenn sich die finanziellen Verhältnisse wesentlich verbessert haben (Abs. 1)
- Wenn von Beginn weg vorhandenes Vermögen später liquid wird (Abs. 2)
In beiden Fällen muss nach Art. 27 Abs. 1 und 2 SHG die Rückerstattung zudem zumutbar sein.
Wie es sich mit ausgelöster Freizügigkeitsleistung verhält, ergibt sich weder aus dem SHG noch der SHV AR. Die SKOS-Richtlinien, welche für die Bemessung der wirtschaftlichen Hilfe im Kanton Appenzell Ausserrhoden verbindlich sind (Art. 3 Abs. 1 SHV AR), halten in Kap. E.2.5 SKOS-RL fest, dass die ausgelösten Freizügigkeitsleistungen für den künftigen Lebensunterhalt zu verwenden sind. Im Kapitel zur Rückerstattung wird nichts erwähnt (E.3). Daraus kann abgeleitet werden, dass das Freizügigkeitskapital nicht für den vergangenen Lebensbedarf einzusetzen ist und demnach auch von der Rückerstattung ausgenommen ist. Dies deckt sich auch mit dem Zweck der Freizügigkeitsleistungen, der die Sicherstellung der finanziellen Mittel bei Eintritt der Risiken Alter, Invalidität und Tod zum Ziel hat – sei dies durch die Übertragung/Rückführung (Art. 3 Freizügigkeitsgesetz [FZG]- des Bundes) in ein Vorsorgeverhältnis bei einer Pensionskasse oder wenn die nach Art. 16 Freizügigkeitsverordnung (FZV) bestimmten Auszahlungsgründe Alter (5 Jahre davor und danach) und Invalidität (volle) sowie - nach Art. 13 f. FZV - Tod zum Tragen kommen. Der Vollständigkeit halber ist zu erwähnen, dass mit den Barauszahlungsgründen nach Art. 5 FZG abschliessend definierte Ausnahmen gibt wie das Auslösen des Kapitals zur Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit.
Die für den Kanton Appenzell Ausserrhoden verbindlichen SKOS-Richtlinien und die Zielsetzung der 2. Säule (siehe dazu auch Guido Wizent, Sozialhilferecht, alphaius, Dike 2020, S. 298) mit der darauf ausgerichteten Freizügigkeit spricht aus meiner Sicht klarerweise gegen die Zumutbarkeit einer Rückerstattung. Der einzige Grund, den ich sehe, wäre, wenn die Sozialhilfe ihre ab Beginn der Invalidität ausgerichteten Unterstützungsleistungen nicht mit nachbezahlten Renten und Ergänzungsleistungen gedeckt bekommt. Beim Risiko Alter könnte ich mir das gleiche vorstellen, wenn die Auszahlung der Altersrente sich verzögert und die Nachzahlungen die erbrachten Unterstützungsleistungen nicht decken. In beiden Fällen wäre dann eine Rückerstattung aus Freizügigkeitsleistungen aus meiner Sicht zulässig, jedoch nur für die Zeit ab Eintritt des Risikos – nicht weiter zurück. Soweit ich die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts AR online abrufen kann, musste es diese Frage noch nicht entscheiden. D.h. bleibt die Gemeinde dabei, die Rückerstattung zu verlangen, sollte der Rechtsweg geprüft werden.
Zu Ihrer zweiten Frage: Ich gehe davon aus, dass Sie damit die Frage der Anrechnung eines Vermögensverzichts (Art. 11 Abs. 1 Bst. g Bundesgesetz über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung [ELG]) ansprechen. Ich gehe davon aus, dass die Anrechnung eines Vermögensverzichts nicht zulässig wäre, da die betreffende Person ja eine adäquate Gegenleistung, nämlich Unterstützungsleistungen der Sozialhilfe, erhalten hat und zur Rückerstattung gesetzlich verpflichtet ist. Insofern ist die Grundvoraussetzung für die Anrechnung eines Vermögensverzichts nicht erfüllt. Ob sich die EL auf den Standpunkt stellen könnte, dass diese Rückerstattungsforderung rechtlich hätte überprüft werden müssen, das scheint doch eher unwahrscheinlich zu sein. Aber auch unter diesem Gesichtspunkt lohnt es sich, die Rechtmässigkeit einer allfälligen Rückerstattung der Sozialhilfe zu überprüfen.
Ich hoffe, Ihnen damit Ihre Fragen beantwortet zu haben.
Freundliche Grüsse
Ruth Schnyder