Guten Tag
Eine Klientin (25 Jahre und CH-Bürgerin) hatte bei einer Familie für Total 9 Monate als Aupair gearbeitet und dort gewohnt. Gemäss Arbeitsvetrag kamen ihre Arbeitgeber für Kost und Logis auf und einen monatlichen Barlohn von Fr. 650.--; im Arbeitsvertrag als "Taschengeld" bezeichnet. Diesen Lohn hat sie jeden Monat erhalten, eine Lohnabrechnung jedoch nicht.
Da auf dem Lohnausweis 2021 keine Sozialversicherungsleistungen aufgeführt waren, erkundigte sich die Klientin bei ihren ehemaligen Arbeitgebern, ob sie die Abgaben für die Sozialversicherungen (AHV, IV, EO, ALV) geleistet hätten. Wie sich herausstellte, war dies nicht der Fall. Die Arbeitgeber haben dies nun nachgeholt.
In einer Mail an meine Klientin, fordern die Arbeitgeber sie nun auf, ihnen den Anteil Arbeitnehmer für die Sozialversicherungsleistungen (ca. 5%) zurück zu erstatten. Meiner Ansicht nach, können Sie das nicht verlangen. Ist das korrekt? Und wie kann meine Klientin das gegenüber den Arbeitgebern klar begründen?
Ich danke für Ihre geschätzte Antwort.
Freundliche Grüsse
Frage beantwortet am
Kurt Pärli
Expert*in Arbeitsrecht
Guten Tag
Gerne beantworte ich Ihre Fragen wie folgt:
Bei der Tätigkeit ihrer Klientin handelt es sich um unselbständige Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmerin. Folglich ist die Arbeitgeberin verpflichtet, die gesetzlichen Beiträge an die Sozialversicherungen zu entrichten. Es handelt sich hier insbesondere auch nicht um eine Konstellation, die zu einer Befreiung der Sozialversicherungsbeiträge führt. Dies ist möglich für Kinderhüte-Jobs von Personen unter 25ig mit einem Einkommen von bis zu 750 Franken pro Jahr. Vorliegend sprechen wir indes von einem viel höheren Einkommen, Kost & Logis plus 650 Franken pro Monat.
Im vorliegenden Fall wurde zwischen der Arbeitgeberin und der Arbeitnehmerin ein Vertrag abgeschlossen und das Entgelt wurde als "Taschengeld" bezeichnet. Die Parteien gingen offensichtlich (fälschlicherweise) davon aus, dass keine Sozialversicherungspflicht vorliegen würde. Dem ist indes nicht so. Die Arbeitgeberin steht in der Pflicht, die ausstehenden Beiträge rückwirkend (bis zur Verjährungsfrist von fünf Jahren) an die Ausgleichskasse zu entrichten.
Die Bezahlung der Beiträge führt auch dazu, dass Ihre Klientin ihre Anwartschaften aus spätere Leistungen der Sozialversicherungen gewahrt hat. Auzs dieser Perspektive betrachtet erscheint die Position der Arbeitgeberin, wonach die Arbeitnehmerin ihren Anteil der Arbeitgeberin zurückzuerstatten hat, nachvollziehbar. Die gleiche Situation wäre auch eingetreten, wenn die Arbeitgeberin ihren Pflichten von Anfang an nachgekommen wäre.
Nun verlangt die Arbeitgeberin die Rückerstattung. Nach Lehre und Rechtsprechung verhält es sich so, dass die Rückforderung von dem Arbeitnehmer irrtümlich nicht belasteten Sozialversicherungsbeiträgen grundsätzlich zulässig ist. Die Rückforderungs- oder Verrechnungsansprüche der Arbeitgeberin können aber verwirkt sein, was dann der Fall ist, wenn die Arbeitgeberin hätte wissen müssen, das Sozialversicherungs-Abzüge auf dem Bruttolohn vorzunehmen sind.
Für den vorliegenden Fall bedeutet dies: Es hätte der ARbeitgeberin bewusst sein müssen, dass sie die Sozialversicherungsbeiträge abführen muss. Folglich kann sie den Arbeitnehmeranteil nicht rückwirkend der ARbeitnehmerin belasten.
Anhang:
- hier ein Urteil, in dem die Rückforderung zulässig war
https://www.gerichte-zh.ch/fileadmin/user_upload/entscheide/oeffentlich/LA150006-O7.pdf
siehe dazu auch diesen Beitrag:
https://www.hrtoday.ch/de/article/rueckforderung-von-arbeitnehmerbeitraegen
Senti Christoph, Rückforderung oder Verrechnung zu viel bezahlter Leistungen durch den Arbeitgeber, AJP 2014 S. 40 ff., 40)
Auszug aus dem Beitrag:
(Senti Christoph, Rückforderung oder Verrechnung zu viel bezahlter Leistungen durch den Arbeitgeber, AJP 2014 S. 40 ff., 48)
4. Nachforderung von Lohnabzügen
Lohnabzüge werden erstaunlich häufig nicht in der richtigen Höhe abgezogen, womit die Arbeitgeberin später eine Nachzahlung oder, bei anfänglich zu tiefen Abzügen, eine Verrechnung oder gar Rückforderung vornehmen muss. Solche Lohnabzüge betreffen nicht nur die üblichen sozialversicherungsrechtlichen Beiträge wie AHV, IV, Arbeitslosenversicherung oder berufliche Vorsorge, sondern auch Quellensteuer oder Vollzugsbeiträge für Gesamtarbeitsverträge.
"Die Rückforderung von irrtümlich bezahlten bzw. dem Arbeitnehmer irrtümlich nicht belasteten Sozialversicherungsbeiträgen ist (…) prinzipiell zulässig (…)". Allgemein wird davon ausgegangen, dass irrtümlich erfolgte Zahlungen nach den Bestimmungen des Bereicherungsrechts zurückzuerstatten sind. Eine vertragliche Anspruchsgrundlage kommt nach Auffassung von Portmann nur dann in Betracht, wenn die Rückerstattung irrtümlicher Zahlungen vertraglich vereinbart wurde.
Bei der nachträglichen Geltendmachung von Sozialabzügen ist darüber zu entscheiden, ob Rückforderungs- oder Verrechnungsansprüche der Arbeitgeberin nicht deshalb verwirkt sind, weil sie wusste oder hätte wissen müssen, das solche Abzüge auf dem Bruttolohn vorzunehmen sind. Im Sinne einer Verwirkung entschied das Arbeitsgericht Zürich, der Entscheid wurde von der Rechtsmittelinstanz jedoch aufgehoben, und die Arbeitgeberin durfte die vom Arbeitnehmer geltend gemachte Restforderung mit nachträglich in Rechnung gestellten BVG-Abzügen verrechnen. Aber auch bei der nachträglichen Rückforderung oder Verrechnung von Sozialabzügen ist die Gerichtspraxis uneinheitlich: Von einer stillschweigenden Lohnerhöhung ging das Gewerbegericht Zürich aus, nachdem es der Arbeitgeber während vier Jahren versäumt hatte, AHVBeiträge für die durch den Arbeitnehmer genutzte Dienstwohnung abzuziehen und auf den Lohnabrechnungen keine Vorbehalte anbrachte. Ebenso abgelehnt wurde ein nachträglich vorgenommener AHV-Abzug durch Verrechnung, weil der anwendbare GAV des Gastgewerbes für ein solches Vorgehen eine schriftliche Vereinbarung verlangte. Ohne eine solche Abrede war ein nachträglicher Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen nach mehr als drei Monaten verwirkt. Zum Teil wurden solche nachträglichen Abzüge jedoch unter Anwendung der Grundsätze des Bereicherungsrechts zugelassen.
Rückforderungen oder Nachbelastungen im Zusammenhang mit Quellensteuern sind ebenfalls nach Bereicherungsrecht abzuwickeln, weshalb (Rück-)Forderungen aus diesem Grund ebenfalls einer einjährigen Verjährungsfrist unterliegen.