Guten Tag
Mein Klient wird im Oktober 2021 64 Jahr alt, ist mit einem Arbeitsvertrag zu 100% angestellt, ist zu 60% krankgeschrieben und möchte spätestens im Oktober 2021 in Frühpension. Die gesundheitliche Einschränkungen bestehen aufgrund Krankheit; der IV Entscheid steht noch aus (Prognose Case Manager: es sei mit einem negativen Entscheid zu rechnen)
- Gemäss Auskunft der Krankentaggeldversicherung läuft das Taggeld am 29.06.2021 ab.
- Der IV Entscheid sollte gemäss Auskunft der IV Stelle Ende Mai vorliegen, sofern die Unterlagen «entscheidungsvollständig» sind
- Sollte der IV Entscheid innerhalb Mai bis Juli vorliegen und eine 100% Arbeitsfähigkeit ausweisen, möchte der Klient ab 01.08.2021 in Frühpension. Diese Anmeldung wurde bei der PK eingereicht.
- der Klient und der Arbeitgeber würden eine gegenseitige «Aufhebungsvereinbarung» unterzeichnen, sollte der IV Entscheid erst im Juli vorliegen (Aufheben Kündigungsfrist, damit PK ab August die Rente zahlen kann)
Die Problematik entsteht, wenn die IV Stelle nicht vor August und der möglichen Frühpensionierung entscheidet:
- Gemäss Auskunft der IV Stelle; Sollten die Unterlagen nach der internen Prüfung weitere Fragen offenlegen, könnte sich der Entscheid bis Spätsommer hinauszögern.
- Die PK überweist Rente und Kapital erst ab dem Zeitpunkt, wo der IV Entscheid definitiv vorliegt.
- Sollte der IV Entscheid nicht vor August verfügbar und kein Einkommen seitens Klient vorhanden sein, hat das Ehepaar ein finanzielles «Überbrückungsproblem». Das Ersparte reicht nicht aus um die PK- Leistungen zu bevorschussen.
- Der Klient denkt "weiterarbeiten zu müssen" (mit Leistungslohn von 60%) bis der IV Entscheid vorliegt und er PK Leistungen beziehen kann. (Anmeldung Arbeitslosenversicherung möchte er umgehen, da er sich nicht um andere Stellen bewerben will)
Mal angenommen, der Klient/ der Arbeitbeber gehen wie folgt vor:
- Frühpensionierung per 01.08.2021 ist bei der PK vorangemeldet
- (Teil-) Kündigung Arbeitgeber per 01.08.2021
- Arbeitslosentaggeld (Vorleistungspflicht 70% vom versicherten Lohn) ab dem 01.08.2021 bis der IV Entscheid vorliegt, als Überbrückung bis die PK zahlt: rückwirkend per 01.08.2021.
Meine Fragen zu diesem Vorgehen:
Bevorschusst die ALT die Leistungen vom BVG, wenn die IV noch nicht entschieden hat und die BVG deshalb noch nicht auszahlt?
Sind diese ALT Leistungen ganz oder teilweise rückerstattungspflichtig, wenn die BVG ihre Leistungen rückwirkend per 01.08.2021 zahlt (und kein Anspruch auf eine IV Rente besteht)?
Vielen Dank für die Bearbeitung meiner Anfrage.
Herzliche Grüsse
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Sehr geehrte Frau W
1. Für vorzeitig pensionierte Personen nach BVG geltend Besonderheiten bzgl. der Anrechnung der beitragspflichtigen Beschäftigung als Beitragszeit (siehe Art. 12 Abs. 1 und AVIV).
Als vorzeitig pensioniert gelten versicherte Personen, die vor Erreichen des ordentlichen AHV-Rentenalters eine Altersleistung beziehen. Nicht als Altersleistungen gelten Austrittsleistungen nach Art. 2 ff. des Freizügigkeitsgesetzes. Freiwillige vorzeitige Pensionierung
Dabei gilt, dass jemand, der vor Erreichen des ordentlichen Rentenalters der AHV im Rahmen der beruflichen Vorsorge freiwillig vorzeitig zu 100 % pensioniert wurde, keine Beitragszeit nach Art. 13 Abs. 1 AVIG angerechnet werden. Es darf also gemäss Art. 13 Abs. 3 AVIG der versicherten Person nur jene beitragspflichtige Beschäftigung als Beitragszeit angerechnet werden, die sie nach der Pensionierung ausgeübt hat. Freiwillig ist dabei jede Pensionierung, wenn sie nicht nach einem in Art. 12 Abs. 2 lit. a AVIV erwähnten Gründen aufgrund einer Entlassung des Arbeitgebers erfolgt (vgl. BGE 129 V 327)..
Das gilt dann nicht, wenn die Pensionierung unfreiwillig aus wirtschaftlichen Gründen oder aufgrund von zwingenden Regelungen vor Erreichen des ordentlichen Rentenalters der AHV im Rahmen der beruflichen Vorsorge erfolgt. Dann sind uach die Beitragszeiten für vor der vorzeitigen Pensionierung ausgeübten beitragspflichtigen Beschäftigungen als Beitragszeit anzurechnen.
2. Hingegen wird bei jemandem, der, wie vorliegend eventuell geplant, vor Erreichen des ordentlichen Rentenalters der AHV im Rahmen der beruflichen Vorsorge freiwillig vorzeitig teilpensioniert wurde, nach Art. 13 Abs. 3 AVIG nur im Umfang der Teilpensionierung KEINE Beitragszeit vor der Pensionierung angerechnet werden. Für das Teilpensum, welches nicht durch die BVG-Rente gedeckt ist, weist die versicherte Person einen anrechenbaren Arbeitsausfall auf und die Voraussetzung für die Beitragszeit wird nach den üblichen Regeln beurteilt (Art. 13 Abs. 1 AVIG)
Siehe dazu B 171ff. AVIG-Praxis ALE, Stand 1.1.2021 (siehe https://www.arbeit.swiss/secoalv/de/home/service/publikationen/kreisschreiben---avig-praxis.html)
Ebenfalls von einer unfreiwilligen vorzeitigen Pensionierung ist auszugehen, wenn die versicherte Person im Laufe der Rahmenfrist für den Leistungsbezug die Ausrichtung einer Altersleistung verlangt.
3. Es ist zu beachten, dass die Altersleistungen der PK von der ALE abzuziehen sind. (Siehe Art. 18c AVIG; Art. 32 AVIV und BGer 8C_188/2011 vom 8.6.2011)
Bei Teilpensionierungen gilt das nur anteilmässig entsprechend dem Umfang, für den sich die versicherte Person dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen will.
Beträgt also das Teilpensum, für welches eine Arbeitslosigkeit noch besteht 40 % (und wird man also zu 60% teilpensioniert), so sind die Altersleistungen lediglich im Umfang von 40 % von der ALE abzuziehen
(vgl. C159 und C 162 ff. AVIG-Praxis ALE, Stand 1.1.2021 (siehe https://www.arbeit.swiss/secoalv/de/home/service/publikationen/kreisschreiben---avig-praxis.html, mit Rechnungsbeispielen.
4. Die Koordination wird bei Teilpensionierungen also direkt bei der Berechnung des Anspruchs auf ALE vorgenommen. Im Übrigen wird insoweit seitens der ALV keine Kürzung wegen einer möglichen späteren BVG-Leistung vorgenommen..
Allerdings kann unter Umständen seitens der Pensionskasse bei der rückwirkenden Berechnung und zur Vermeidung einer Überentschädigung die bezogene ALV in Abzug gebracht werden, weil insoweit kein Erwerbsausfall vorlag bzw. -liegt (vgl. Art. 34a BVG). Bezüglich überobligatorischer Leistungen wäre dies nach Massgabe des BVG-Reglementes zu überprüfen.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Prof. Peter Mösch Payot