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Betreuungsentschädigung bei schwer erkranktem Kind

Veröffentlicht:
24.08.2021
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialversicherungsrecht

Guten Tag
Eine Klientin von mir hat ein schwer krankes Kind, welches in bestimmten Abständen immer wieder ins Spital muss. Seit Juli 21 können Mütter/Väter eine Betreuungsentschädigung von 80% des Lohns bei der Ausgleichskasse beantragen. Nun habe ich bei meinen Abklärungen zwei Varianten empfohlen erhalten:

1. Die Eltern nehmen bei der Arbeit unbezahlten Urlaub und beantragen die Betreuungsentschädigung. Dadurch hätten sie aber aus meiner Sicht fehlende Sozialabgaben (PK usw.).

2. Die Eltern nehmen keinen Urlaub, erhalten vollen Lohn und die Betreuungsentschädigung geht an den Arbeitgeber.

Welche Variante ist korrekt?
Herzlichen Dank für die Antwort

Judith Lorenz

Frage beantwortet am

Peter Mösch Payot

Expert*in Sozialversicherungsrecht

Sehr geehrte Frau Lorenz

Die im Juli 2021 eingeführte Betreuungsentschädigung ist für Eltern vorgesehen, deren minderjäh­riges Kind eine schwere gesundheitliche Beeinträchtigung erleidet und da­durch einen erhöhten Bedarf an Begleitung und Pflege hat. Eltern, welche die Anspruchsvoraussetzungen für die Betreuungsentschädigung erfüllen, haben Anspruch auf den damit verbundenen Urlaub bzw. den Erwerbser­satz.

Ich werde zunächst Anspruchsvoraussetzungen und Bemessung darstellen (vgl. dazu Art. 16i bis m EOG). Und komme dann zu Ihrer Frage des Vollzuges unter Buchstabe c:

 

a) Zunächst sollen hier die Anspruchsvoraussetzungen der Betreuungsentschädigung dargestellt werden:

aa) Notwendig ist zunächst eine schwere Beeinträchtigung für das minderjährige Kind (Art. 16o EOG). Diese liegt vor, wenn eine einschneidende Veränderung seines körperlichen oder psychi­schen Zustandes eingetreten ist, bzw. wenn der Verlauf oder der Ausgang dieser Veränderung schwer vorherseh­bar ist oder mit einer bleibenden oder zunehmenden Beeinträchtigung oder dem Tod zu rechnen ist und wenn so ein erhöhter Bedarf an Betreuung durch die Eltern besteht (Art. 16j EOG). Bagatellkrankheiten oder leichtere Unfallfolgen genügen nicht.

bb) Zudem muss mindestens ein Elternteil die Erwerbstätigkeit für die Betreuung des Kindes unterbrechen. Grundsätzlich anspruchsberechtigt sind Elternteile mit einem AHV-pflichtigen Lohn vor dem Anspruch auf Betreuungsurlaub (Art. 16n EOG), sowohl Selbständigerwerbende wie Unselbstständigerwerbende, aber auch Arbeitslose und Arbeitsunfähige, die ein Lohnersatz beziehen (z.B. ein IV-Taggeld. Vgl. dazu Rz. 1056ff. des Kreisschreibens über die Betreuungsentschädigung (KS BUE, Stand 1.7.2021; zu finden unter: https://sozialversicherungen.admin.ch/de/f/5619.

Der Anspruch besteht gegenüber der jeweiligen Arbeitgeberin (Art. 329h OR), ohne dass diese dafür die übrigen Ferien kürzen dürfte (Art. 329b Abs. 3 lit. d OR).

 

b) Die Bemessung des Anspruchs sieht folgendermassen aus:

Der Betreuungsurlaub besteht aus maximal 14 Wochen, die mit 98 Taggel­dern entschädigt werden. Dabei besteht eine Rahmenfrist von 18 Monaten, beginnend mit dem ersten Bezug eines Taggeldes.

Der Betreuungsurlaub kann wochen- oder ein­zeltageweise oder am Stück bezogen werden. Dabei werden die effektiven Urlaubstage nach dem Beschäftigungsgrad bemessen.

Die Eltern können den Urlaub frei unter sich aufteilen.

Die Entschädigung wird als Taggeld in der Höhe von 80 % des durchschnittlichen Erwerbseinkommens, welches unmittel­bar vor dem Bezug der Urlaubstage erzielt wurde, gewährt. Es beträgt höchstens CHF 196 Franken pro Tag, was einem AHV-Lohn von CHF 7350 monatlich entspricht.

 

c) Ihre Fragen betrifft das Verfahren und den Vollzug der Betreuungsentschädigung: Zum Verfahren und Vollzug ist zu beachten, dass pro Elternteil je eine Anmeldung für die gesamte Anspruchsdauer gestellt werden muss. Darin braucht es auch Angaben zum Einkommen, bzw. Bezug des anderen Elternteils und zur allfälligen Aufteilung des Urlaubs zwischen den beiden Elternteilen.

Die weiteren Regeln der Auszahlung sind analog der anderen Formen der Erwerbsersatzordnung (Mutterschafts- und Vaterschaftsentschädigung, EO bei Militärdienst etc.) definiert:

Im Prinzip ist vorgesehen, dass die Arbeitgeberin des Elternteils, der im entsprechenden Monat erwerbstätig war, jeweils per Ende Monat die abgerechneten Urlaubstage und den während des Entschädigungsan­spruchs ausgerichteten Lohn meldet. Dann wird

der Arbeitgeberin, die für die Dauer des An­spruchs Lohnfortzahlungen leistet, die Betreuungs­entschädigung der Arbeitgeberin ausbezahlt.

Allerdings kann die direkte Auszahlung der Betreuungs­entschädigung durch die Ausgleichskasse verlangt werden bei Differenzen mit der Arbeitgeberin oder wenn besondere Umstände, etwa Verzögerungen der entsprechenden Zahlungen, vorliegen.

Werden EO-Leistungen direkt der Arbeitnehmerin bzw. dem Arbeitnehmer gewährt, so werden auch darauf die üblichen Sozialversicherungsabzüge vorgenommen. Es handelt sich um massgeblicher Lohn im Sinne des AHVG (vgl. Art. 37 Abs. 4 EOV). Insoweit besteht also kein Nachteil für die Arbeitnehmerin bei einer Direktauszahlung.

Allerdings ist es möglich, dass arbeitsrechtlich aus dem Einzelarbeitsvertrag oder dem GAV weitergehende Ansprüche bestehen auf Lohn während des Betreuungsurlaubs. Insbesondere auch hinsichtlich allfälliger BVG-Beiträge während des Urlaubs.

Ob und inwieweit dies der Fall ist, kann aber nur nach einer genauen Durchsicht der konkreten arbeitsvertraglichen Bestimmungen und der anwendbaren Pensionskassenreglemente beurteilt werden.

Ich hoffe, das dient Ihnen.

Prof. Peter Mösch Payot