Guten Tag
Ein junger Mann (volljährig) ist durch seine psychische Erkrankung auf ein betreutes Wohnen angewiesen. Er hat in den letzten Jahren ca. Fr. 40'000 an Vermögen ansparen können, mit welchem er sich später ein Auto kaufen möchte. Es besteht keine Erwachsenenschutzmassnahme und er war bis heute noch nie auf sozialhilferechtliche Unterstützung angewiesen. Frage: Wie viel von seinem Geld darf er monatlich zusätzlich ausgeben? Das betreute Wohnen wird ca. 4'200.-/mtl. kosten. Wenn er Sozialhilfe hätte, würde er ja nur die Fr. 367.- monatlich zur Verfügung erhalten. Darf er im Falle von "Selbstzahler" mehr Geld pro Monat für sich brauchen? Und ist es in jedem Fall so, dass er bis zum Freibetrag von Fr. 4'000.- das betreute Wohnen selber bezahlen muss?
Für eine Antwort bedanke ich mich bereits im Voraus!
Freundliche Grüsse
Frage beantwortet am
Ruth Schnyder
Expert*in Sozialhilferecht
Guten Tag
Besten Dank für Ihre Anfrage. Bevor ich antworte, möchte ich kurz nachfragen:
Ist es richtig, dass der junge (volljährige) Mann aktuell nicht bedürftig ist und daher keine wirtschaftliche Hilfe bezieht?
Sie fragen daher mit Blick auf Art. 40 Abs. 4 SHG / BE?
Ist es so, dass er keine Invalidenrente u/o Hilflosenentschädigung der IV bezieht?
Liegt ein Behördenbeschluss vor, welcher den Aufenthalt im betreuten Wohnen bewilligt? Falls ja: Welche Behörde? Gestützt auf welche Rechtsgrundlage?
Ich danke Ihnen für Ihre Antwort.
Freundliche Grüsse
Ruth Schnyder
Guten Tag
Ja das ist korrekt, der junge, volljährige Mann ist aktuell nicht bedürftig und bezieht keine wirtschaftliche Sozialhilfe, hat auch noch nie solche bezogen.
Er bezieht weder eine IV-Rente noch eine HE der IV. Er hat mit der Unterstützung der IV seine Ausbildung im Lehrlingswohnheim gemacht (bis Sommer 2022), wo er in einem betreuten Setting gewohnt hat. Er gilt als eingegliedert, das Dossier wurde bei der IV geschlossen.
Es liegt kein behördlicher Beschluss vor, der den Aufenthalt im betreuten Wohnen bewilligt/anordnet. Die Empfehlung für ein betreutes Wohnen kommt von den Behandlern (Psychiatrie) und enspringt dem Umstand, dass für ihn ein selbständiges Wohnen nicht möglich ist.
Freundliche Grüsse
Frage beantwortet am
Ruth Schnyder
Expert*in Sozialhilferecht
Guten Tag
Entschuldigen Sie die arbeitsbedingt verzögerte Antwort, welche auch noch etwas mehr als üblich an Recherche bedurfte. Ihre Frage beschlägt nicht die Sozialhilfe im engeren Sinne. Es geht zunächst darum, ob es weitere öffentliche Finanzierungsquellen gibt, welche der Sozialhilfe vorgehen und eine Sozialhilfebedürftigkeit in naher Zukunft abwenden könnten. Zu Leistungsangeboten im Bereich Wohnen finden sich im Kanton Bern im Gesetz über die sozialen Leistungsangebote (SLG; BSG 860.2) Regelungen. Die SLG regelt den Bereich «Wohnen» nur unter dem Titel Suchthilfe (Art. 32 SLG/BE) und Pflege (Art. 29 SLG/BE), so auch die Verordnung unter Art. 14 bzw. 15 und 29 SLV/BE). Es finden sich keine Wohn-Angebote für die Personengruppe der psychisch Erkrankten, die weder eine Suchtproblematik aufweisen, noch zu den Pflegebedürftigen im Sinne des KVG gehören, wo der Kanton die Restfinanzierung zur Krankenkasse übernehmen muss.
Psychisch Erkrankte können aber unter das Bundesgesetz über die Institutionen zur Förderung der Eingliederung von invaliden Personen (IFEG; SR 831.26) fallen. Nach dem IFEG müssen die Kantone gewährleisten, dass invaliden Personen ein Angebot an Institutionen zur Verfügung steht, das ihren Bedürfnissen in angemessener Weise entspricht (Art. 2 IFEG). Gemeint sind u.a. Wohnheime und andere kollektive Wohnformen für invalide Personen (Art. 3 IFEG). Der Begriff der Invalidität setzt nach Art. 2 IFEG keine Berentung durch die Invalidenversicherung (IV) voraus. Das IFEG beinhaltet aber nach Art. 2 nur - aber immerhin - einen Infrastrukturauftrag an die Kantone. Dem entsprechen bspw. Art. 27, 64 SLG. Die Subjektfinanzierung erfolgt nach Art. 7 IFEG durch die Nutzerin selber, ausser sie wird bedürftig. In diesem Fall muss die Finanzierung kantonal so geregelt sein, dass keine Sozialhilfebedürftigkeit entsteht. Bezogen auf den jungen Mann finde ich, wie dargelegt, keine Finanzierungsmöglichkeit durch den Kanton Bern. Demnach muss er sein Vermögen zur Finanzierung aufbrauchen bis zur Grenze der Bedürftigkeit. Wird er im Sinne von Art. 2 IFEG als invalid betrachtet, dann folgt aber nicht die Sozialhilfe für die Finanzierung, sondern eine andere kantonale oder kommunale Finanzierungsquelle. (IFEG 7; Art. 4 Abs. 2 lit. b SLV). Die Sozialhilfe kommt zum Zug, wenn er nicht als invalid im Sinne von Art. 2 IFEG betrachtet werden kann.
Der Vollständigkeit halber sind noch die anderen Finanzierungsquellen zu erwähnen: Wenn sein Bedarf als Pflegebedarf im Sinne des KVG, oder auch als Hilfebedarf im Sinne der Hilflosenentschädigung der IV anerkannt würde, dann wäre die Finanzierung von der öffentlichen Hand – ohne Sozialhilfe - im Regelfall gewährleistet (Krankenkasse, kantonale Restfinanzierung nach SLG bzw. IV und Ergänzungsleistungen). Soweit ich sehe, ist das nicht abgeklärt. Ich würde daher raten, die Leistungen seitens KVG und IVG abklären zu lassen. Sicherheitshalber sollte sich die betreffende Person beim Kanton, Amt für Integration und Soziales, erkundigen, ob es aktuell nicht doch noch eine alternative Finanzierungsmöglichkeit gibt, allenfalls könnte auch die Pro Infirmis angefragt werden.
Als Zwischenfazit kann festgehalten werden, das aufgrund der geschilderten Sachlage keine Beiträge der öffentlichen Hand zur Finanzierung des betreuten Wohnens im vorliegenden Fall ersichtlich sind, solange keine Sozialhilfebedürftigkeit vorliegt. Wenn aber die Grenzwerte erreicht sind, müsste meiner Meinung nach die Finanzierung nach Art. 7 IFEG nicht über die Sozialhilfe, sondern über andere Beiträge, sei dies kantonale oder kommunal gewährleistet sein, wenn der junge Mann wegen seiner psychischen Erkrankung als invalid im Sinne von Art. 2 IFEG betrachtet werden kann. Aus dem SLG ergeben sich, wie bereits erwähnt, aber keine finanziellen Leistungen für Personen mit einer invalidisierenden psychischen Erkrankung. Mir scheint, dass dies ein offener Punkt ist und mit Blick auf die absehbare Sozialhilfebedürftigkeit unter dem Blickwinkel von Art. 7 IFEG mit der kantonalen Stelle (Amt für Integration und Soziales) geklärt werden sollte.
Mit Blick auf eine absehbare Sozialhilfebedürftigkeit, sofern die Sozialhilfe überhaupt später einsteigen müsste (dazu vorstehend), stellt sich die Frage, inwieweit der junge Mann verpflichtet ist, haushälterisch mit seinen finanziellen Mitteln umzugehen. Vorauszuschicken ist, dass die Sozialhilfe keine Auflage erteilen darf, solange keine wirtschaftliche Hilfe bezogen wird (Art. 28 SHG/BE). Auch dann nicht, wenn eine Bedürftigkeit als wahrscheinlich erscheint. Das Verhalten vor Unterstützungsbeginn kann aber Grundlage für eine Rückerstattung im Sinne von Art. 40 Abs. 4 SHG/BE sein, wenn dann die wirtschaftliche Hilfe aufgenommen wird. Vorausgesetzt wird aber, dass die Bedürftigkeit in grober Weise selbst verschuldet wurde. In welchen Fällen von einer grob selbstverschuldeten Notlage ausgegangen werden kann, wird weder in Gesetz und Verordnung näher umschrieben. Es handelt sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, welcher den Behörden einen Ermessensspielraum einräumt, den sie pflichtgemäss auszuüben hat.
Das BKSE sieht ein grobes Selbstverschulden vorliegen, wenn die unterstützte Person die elementare Pflicht zur Verantwortung für sich selbst verletzt hat(z.B. unverhältnismässiger Verbrauch von Vermögen und Einkommen). Für die Annahme eines unverhältnismässigen Verbrauchs des Vermögens kann meiner Meinung nach nicht einfach der Standard der Sozialhilfe als Massstab genommen werden. Andererseits müssen die tatsächlichen Verhältnisse der betreffenden Person berücksichtigt werden. Verfügt sie vor Sozialhilfebezug schon über knappe finanzielle Mittel, dann wäre ein grobes Selbstverschulden anzunehmen, wenn sie einfach bewusst und ohne Not einen überzogenen Lebensstandard finanziert hat, obschon ihr aufgrund der finanziellen Mittel hätte klar sein müssen, dass sie dadurch ihr Sozialhilfebedürftigkeit auslöst bzw. beschleunigt. Aus meiner Sicht muss das Verhalten klar feststehen, das betreffende Bewusstsein der betroffenen Person vorhanden und einen Zusammenhang mit der (zu frühen) Bedürftigkeit haben. Als Ausgangswert könnte im vorliegenden Fall durchaus der Grundbedarf bei stationären Aufenthalten haben. Ob dann bei Überstreiten Unverhältnismässigkeit und ein grobes Selbstverschulden angenommen werden kann, muss im Einzelfall differenziert untersucht werden. Ein Überschreiten kommt sicher nur in Frage, wenn augenfällig zu viel (> Grundbedarf stationär) im Monat verbraucht wurde, so dass für jeden und jede in der gleichen Situation klar wäre, dass die Grenze deutlich überschritten und der Lebensstandard zweifellos unangemessen ist.
Ich hoffe, Ihnen damit Ihre Fragen beantwortet zu haben.
Freundliche Grüsse
Ruth Schnyder