Frau A. hat sich am 3. Mai 2021 für den Bezug von wirtschaftlicher Sozialhilfe angemeldet. Am 3. Mai 2021 reichte Frau A. den Scheidungsantrag auf gemeinsames Begehren ein. Da die Eingabe Mängel aufweist, wurde eine Nachfrist von 10 Tagen angesetzt.
Der Ex-Partner lebt noch bei Frau A. und deren Tochter (Ex-Partner ist nicht der Vater), ist aber auf Wohnungssuche. Nach Angaben von Frau A. ist der Ex-Partner für seinen Haushalt selbst verantwortlich. Er bezahlt CHF 600.00 an den Mietbetrag von CHF 1'752.00. Er ist berufstätig.
Für den Sozialdienst ist unklar, wie der Ex-Partner berücksichtigt werden muss, wenn der Scheidungsantrag nicht per 3. Mai 2021 bestätigt wird.
Besten Dank für die Rückmeldung.
Liebe Grüsse Nanina Barth
Frage beantwortet am
Anja Loosli
Expert*in Sozialhilferecht
Sehr geehrte Frau Barth
Vielen Dank für Ihre Frage. Ich beantworte diese gerne wie folgt:
Nach § 19 Abs. 1 des Sozialhilfegesetzes des Kantons Zug (SHG ZG, BGS 861.4) hat derjenige Anspruch auf Unterstützung, der für seinen Lebensunterhalt und den seiner Familienangehörigen mit gleichem Wohnsitz, der nicht hinreichend oder rechtzeitig aus eigenen Mitteln dafür aufkommen kann.
Ehegatten werden nach Art. 159 Abs. 1 des Zivilgesetzbuches (ZGB, SR 210) durch die Trauung zur ehelichen Gemeinschaft verbunden und schulden sich damit nicht nur gegenseitige finanzielle Unterstützung (Art. 159 Abs. 1 ZGB), sondern stellen im Sinne von § 19 Abs. 1 SHG ZG Familienangehörige dar.
Aus der Formulierung von § 19 Abs. 1 SHG ZG geht zudem indirekt hervor, dass Familienangehörige im selben Haushalt nur dann unterstützt werden können, wenn sie den gemeinsamen Bedarf mit den gemeinsamen Einnahmen nicht decken können (sogenannte Unterstützungseinheit). Diese Definition wird in anderen Kantonen ausdrücklich in den gesetzlichen Grundlagen formuliert, von anderen Kantonen ebenfalls unausgesprochen so gelebt und ist in der Lehre anerkannt (Guido Wizent, Sozialhilferecht St. Gallen/Zürich 2020, N 677 ff.).
Zwischenfazit: Da die sich bei ihnen meldende Frau und ihr Ehemann Familienangehörige im Sinne des SHG ZG sind und nach wie vor zusammenleben, müssen sie mindestens bis zum Zeitpunkt, bis zu dem sie ein gültiges Scheidungsbegehren eingereicht haben, als Unterstützungseinheit gelten. Sie sind dann nur bedürftig, wenn die finanziellen Mittel des Ehemannes nicht ausreichen, um den gemeinsamen Bedarf zu decken. Ist der Ehemann nicht bereit, das Unterstützungsgesuch ebenfalls zu unterzeichnen und/oder die Unterlagen betreffend seine finanziellen Verhältnisse einzureichen, muss das Unterstützungsgesuch der Frau abgelehnt werden, weil die Bedürftigkeit nach § 19 SHG ZG dann nicht ermittelt werden kann.
Nun stellt sich für mich die Frage, ob die Frau ohne Berücksichtigung des Ehemannes unterstützt werden kann, sobald das Scheidungsbegehren gültig eingereicht ist, der Ehemann aber immer noch bei ihr wohnt. Es ändert dann nämlich nichts am Umstand, dass die beiden vorerst nach wie vor verheiratet sind und zusammenleben.
Weder im SHG ZG noch in der Sozialhilfeverordnung des Kantons Zug (SHV ZG, BGS 861.41) finden sich ausdrückliche Regeln, die auf getrennte Ehepaare im selben Haushalt eingehen. Es bleibt bei § 19 SHG ZG, der bei Ehepaaren im selben Haushalt indirekt von einer Unterstützungseinheit ausgeht, egal ob die Ehegatten die Scheidung eingereicht haben oder nicht. § 9 Abs. 1 SHV ZG bestimmt, dass die Ausgestaltung und das Ausmass der Unterstützung sich nach den SKOS-Richtlinien richten. In Kapitel D.4.1 dieser wird unter Abs. 1 festgehalten, dass sich verheiratete Personen unabhängig von ihrem Wohnort gegenseitig zu Beistand und Unterhalt verpflichtet sind. Bei getrennten Haushalten ohne gerichtliche Regelung könne von der unterstützten Person verlangt werden, dass sie eine Einigung – allenfalls gerichtlich – anstrebe (Abs. 2).
Daraus schliesse ich, dass auch bei eingereichtem Scheidungsbegehren die Ehegatten so lange als Unterstützungseinheit zu behandeln sind, als sie noch zusammen wohnen und die Ehe nicht gerichtlich geschieden ist. Die Ehefrau wäre damit auch nach Einreichung eines gültigen Scheidungsbegehrens nur bedürftig, wenn die finanziellen Verhältnisse des Ehemannes nicht ausreichen, um den Lebensbedarf beider zu bezahlen. Wollen Sie die Ehefrau trotzdem unterstützen (z.B. weil die Trennung faktisch dazu geführt hat, dass der Ehemann [vorerst] nicht mehr bereit ist, an den Lebensunterhalt der Ehefrau zu bezahlen), sobald das Scheidungsbegehren gültig eingereicht ist, dann ist die Ehefrau aber aufzufordern, vom Ehemann einen Unterhalt erhältlich zu machen, ist er doch mindestens bis zur Scheidung unterhaltspflichtig. Verlangt sie trotz Aufforderung Ihrerseits und Hinweis auf die Folgen keinen Unterhalt (nötigenfalls gerichtlich, wenn der Ehemann nicht freiwillig bezahlt), so kann ihr ein hypothetischer Unterhalt angerechnet werden (Kapitel D.4.1 SKOS-Richtlinien, Erläuterungen).
Ergänzend möchte ich auf den Bedarf eingehen, falls Sie die Ehefrau während des Zusammenlebens nach Einreichung des Scheidungsbegehrens unterstützen. In diesem Fall ist für die Ehefrau bei Bedürftigkeit ihres Kindes 2/3 der Wohnkosten zu übernehmen. Ist das Kind nicht bedürftig (ausreichend hohe Alimente), so ist die Ehefrau betreffend Wohnkosten mit 1/3 dieser zu unterstützen. Bezüglich Grundbedarf stellt sich die Lage für mich schwieriger dar. Die Ehefrau macht offenbar geltend, dass der Haushalt getrennt geführt wird. In diesem Fall wäre es sinnvoll vor Ort zu prüfen, ob das stimmt (getrennte Betten, getrennte Wäsche, getrennte Esswaren usw.), falls dies möglich ist. Falls tatsächlich von einem getrennten Haushalt auszugegangen werden kann, dann könnte der Ehefrau der volle Grundbedarf (allenfalls gekürzt um 10%, siehe Kapitel C.3.2 SKOS-Richtlinien) für sich (und allenfalls das Kind, wenn es ebenfalls bedürftig ist) ohne Berücksichtigung des Ehemannes, ausbezahlt werden.
Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort weiterhelfen zu können.
Freundliche Grüsse
Anja Loosli Brendebach