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Berücksichtigung Mietzinsanteil bei minderjährigen platzierten Kindern

Veröffentlicht:
01.12.2021
Kanton:
Bern
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Wir haben mehrere Fälle von minderjährigen Kindern die unter der Woche in einer Institution platziert sind und für die ein eigenes SH-Dossier geführt wird. Es stellt sich dort die Frage, ob bei den minderjährigen Kindern / Jugendlichen, welche die Wochenenden bei einem Elternteil oder den Eltern verbringen, die ebenfalls Sozialhilfe beziehen, ein Mietzinsanteil im Sozialhilfebudget anzurechnen ist?

Konkret habe ich aktuell einen Fall eines 17-jährigen Mädchens mit Wochenaufenthalt in einer Institution. Sie verbringt die Wochenenden bei ihrer Mutter. Für beide wird bei uns ein Sozialhilfedossier geführt (Mutter und Tochter). Im Budget der Tochter sind die Nebenkosten, KK sowie eine IZU und die Unterhaltsbeiträge des Kindsvaters sowie Ausbildungszulagen berücksichtigt (ergibt einen Überschuss  - aktuell Bevorschussung). Unsere Frage ist nun, wäre es zulässig, bei der Tochter, die die Wochenenden und Ferien bei ihrer Mutter verbringt und dort Wohnsitz begründet und welche vollumfänglich durch die Sozialhilfe unterstützt wird, einen Mietzinsanteil einzurechnen, um damit die Ausgaben der Mutter zu entlasten? Wir haben dazu keine rechtlichen Grundlagen gefunden, haben uns deshalb auf die Handhabung der EL, welche keinen Mietzinsanteil beim minderjährigen Kind einrechnen, gestützt. Dieselbe Frage stellt sich bei Erreichen der Volljährigkeit der Kinder und der analogen Situation wie oben geschildert.

Frage beantwortet am

Anja Loosli

Expert*in Sozialhilferecht

Guten Tag

Vielen Dank für Ihre Frage. Ich beantworte diese gerne wie folgt:

Nach Art. 8 der Verordnung über die öffentliche Sozialhilfe (Sozialhilfeverordnung, SHV, SG 860.111) sind für die Ausrichtung und Bemessung der wirtschaftlichen Hilfe im Kanton Bern die Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS-Richtlinien) in der Fassung der fünften Ausgabe vom 1. Januar 2021 verbindlich, soweit das Sozialhilfegesetz und diese Verordnung keine andere Regelung vorsehen. Die SKOS-Richtlinien besagen in Kapitel C.6.4 unter dem Titel Besuchsrecht, dass zusätzliche Kosten im Zusammenhang mit der Ausübung des Besuchsrechts oder der Pflege wichtiger verwandtschaftlicher Beziehungen von der Sozialhilfe zu vergüten sind (Abs. 6). In Kapitel C.4.2, Absatz 7 wird betreffend Wohnkosten für Eltern mit Besuchsrecht präzisiert, dass unterstützten Eltern mit Besuchsrechten die Kosten für eine Wohnung anzurechnen sind, welche den Kindern das Schlafen in einem separaten Zimmer ermöglicht. Vorausgesetzt ist, dass die Besuche tatsächlich stattfinden. Im Handbuch der Berner Konferenz für Sozialhilfe, Kindes- und Erwachsenenschutz (BKSE) wird unter dem Titel «Wochenend- und Ferienaufenthalte von Kindern» in diesem Sinne denn auch festgehalten, dass die Mehrkosten von Wochenend- und Ferienaufenthalte von Kindern im Budget der Eltern zu berücksichtigen sind. Konkret bezogen auf den Mietzins heisse dies, dass bei unterstützten Personen mit nachweisbaren Betreuungsaufgaben oder mit Anrecht und ausgeübtem Besuchs- und Ferienbesuchsrecht eigener, nicht unter ihrer Obhut stehender Kinder, der nächst höhrer Mietzins zur Anwendung gelange.

Fazit: Die von der Sozialhilfe unterstützen Eltern/der unterstützte Elternteil haben/hat Anspruch auf den Mietzins für die nächsthöhere Unterstützungseinheit, wenn das in einer Institution wohnende Kind sie/ihn am Wochenende und allenfalls in den Ferien besucht.

Sie haben die ergänzende Frage gestellt, ob und wie sich die Situation verändert, wenn das Kind volljährig wird. Mit dem Erreichen der Volljährigkeit haben die Eltern keine Obhutspflichten mehr. Das Institut des Besuchsrechts kommt deshalb nicht mehr zum Tragen und damit auch nicht die daraus entstehenden Rechte von unterstützten Personen. Im Budget der Eltern/des Elternteils wird kein Wohnanteil mehr für das erwachsene Kind berücksichtigt. Falls das erwachsene Kind bedürftig sein sollte, ist zu prüfen, ob die Sozialhilfe im Budget des erwachsenen Kindes einen Mietanteil aufnimmt. Die Situation bezüglich Miete ist rechtzeitig zu prüfen und zu thematisieren. Dabei ist die aktuelle und die künftige Situation des Familiensystems zu berücksichtigen (Zeitpunkt der Rückkehr des Familienmitglieds aus dem stationären Aufenthalt; Höhe des Betrags, um den die Wohnung über den Richtlinien liegt etc.; siehe Handbuch BKSE, Kapitel Stationäre Aufenthalte).

Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort weiterhelfen zu können.

Freundliche Grüsse

Anja Loosli Brendebach

Guten Tag

Besten Dank für Ihre rasche Antwort.

Verstehe ich das somit richtig, dass bei minderjährigen Kindern / Jugendlichen in keinem Fall ein Mietanteil im Budget berücksichtigt wird, sondern immer die gesamte Miete den Eltern resp. dem Elternteil mit Besuchsrecht zu berücksichtigen ist?

Frage beantwortet am

Anja Loosli

Expert*in Sozialhilferecht

Guten Tag

Vielen Dank für Ihre Ergänzungsfrage. Ich beantworte diese gerne wie folgt:

Bei der Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen gelten als Massnahmekosten die Aufenthalts-, Therapie- und Betreuungskosten. Zu den Massnahmekosten kommen die Nebenkosten dazu. Als Nebenkosten gelten folgende Kosten:

  1. Kleider-, Wäsche- und Schuhanschaffungen
  2. Persönliche Toiletten- und Bedarfsartikel
  3. Taschengeld, inklusiv Handy, Telefon, Geschenke
  4. Coiffeur
  5. Hobby
  6. Lager innerhalb des Betreuungskonzepts Wohnen (exkl. Schule)
  7. Reisen und individuelle Fahrten ausserhalb des Betreuungskonzepts (beispielsweise Transportkosten in Zusammenhang mit Freizeitaktivitäten, so auch für die Wahrnehmung/Begleitung von Gerichts- und Behördenterminen, für Arzttermine, etc.). Fahrten zur Wahrung des Besuchsrechts sind keine Nebenkosten
  8. Therapien, die nicht zum Behandlungskonzept der Einrichtung gehören und nicht von einer Fachstelle verordnet sind
  9. auswärtige Verpflegung in Verbindung mit Integrationsleistung (Lehre, Teilnahme an Integrationsmassnahme ausserhalb der Institution)
  10. Grössere Anschaffungen wie Skis, Velos, Instrumente, elektronischen Kommunikationsmittel, usw.
  11. Urinproben

Wohnkosten für die Wahrnehmung des Besuchsrechts bei den Eltern gelten weder als Massnahme- noch als Nebenkosten (siehe Eintrag Handbuch BKSE «Nebenkosten in stationären Kinder- und Jugendeinrichtungen und Familienpflege» mit entsprechenden gesetzlichen Grundlagen). Sie gehören deshalb nicht ins Budget fremdplatzierten Kindes sondern, wie ich in meiner ersten Antwort geschrieben habe, in das Budget der Eltern, damit diese ihr Besuchsrecht ausüben können.

Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort weiterhelfen zu können.

Freundliche Grüsse

Anja Loosli Brendebach