Guten Tag
Bevor wir eine Rückerstattungsverpflichtung für einen hohen Betrag unterzeichnen lassen oder die Rückerstattung der Sozialhilfe verfügen, vergewissern wir uns gerne, ob wir die Berechnung gestützt auf die gesetzlichen Grundlagen korrekt vorgenommen haben.
Eine Klientin (ohne Kinder), welche seit 01.06.2013 mit wirtschaftlicher Hilfe unterstützt wird, hat eine Erbschaft in der Höhe von 120'000 Franken gemacht. Der Erblasser ist am 2. Juni 2024 verstorben und das Erbe wurde erst kürzlich ausbezahlt. Die Klientin kann dadurch abgelöst werden.
Bei der Berechnung der Rückerstattung stützen wir uns auf Art. 40 Abs. 1 und 2 SHG BE.
Gestützt auf Art. 40 Abs. 2 SHG BE ist die für die Zeit ab Todestag, d.h. ab 2. Juni 2024 bis heute bevorschusste Sozialhilfe zurückzuerstatten. Im vorliegenden Fall rund Fr. 25'500.00.
Gestützt auf Art. 40 Abs. 1 SHG BE ist die vor dem Tod des Erblassers bezogene Sozialhilfe, d.h. vom 1. Juni 2014 bis 1. Juni 2024 (vor Todestag rückwirkend 10 Jahre – ist das korrekt?) abzgl. IZU, EFB und AHV-Mindestbeiträge (nicht rückerstattungs-pflichtig) bis auf den Vermögensfreibetrag von 25'000 Franken so weit als möglich zurückzuerstatten. Die rückerstattungs-pflichtige Sozialhilfe für diese Zeitspanne würde rund 235'000 Franken betragen.
Die rückerstattungspflichtige Sozialhilfe berechnet sich unseres Erachtens wie folgt:
25'500 Franken nach Art. 40 Abs. 2 SHG für die bevorschusste Sozialhilfe (verbleibende Erbschaft 94'500 Franken)
69'500 Franken nach Art. 40 Abs. 1 SHG (verbleibende Erbschaft 94'500 – 25'000 Vermögensfreibetrag)
95'000 Franken = Total Rückerstattung Sozialhilfe
Im Weiteren stellt sich die Frage, ob die Klientin vom Rückerstattungsbetrag Schulden abziehen darf. Gemäss Handbuch BKSE Ziff. 5.3.2 sollte dies möglich sein, sofern diese vor dem Vermögensanfall entstanden und nachweislich bezahlt worden sind. Laut der Rechtsauskunft vom 24.05.2022 von sozialinfo zu einem ähnlichen Fall (inkl. Verwaltungsgerichtsurteil) ist hier offenbar die Auslegung nicht ganz klar.
Der Rechtsauskunft und dem in der Auskunft erwähnten Verwaltungsgerichtsurteil zufolge würden wir grundsätzlich keine Schulden-rückzahlung akzeptieren. Weil es sich aber im vorliegenden Fall um eine recht hohe Rückerstattung handelt, fragen wir uns, wie weit hier der Ermessensspielraum geht.
Vielen Dank für Ihre Rechtsauskunft.
Frage beantwortet am
Anja Loosli Brendebach
Expert*in Sozialhilferecht
Guten Tag
Ich bedanke mich für Ihre Frage und kann die von Ihnen vorgenommene Berechnung betreffend Rückerstattung gerne bestätigen. Ich führe im Folgenden aus, weshalb ich zum selben Schluss wie Sie komme:
In Kapitel D.3.1 des Sozialhilfehandbuchs BKSE findet sich eine Empfehlung, wie vorzugehen ist, wenn eine unterstützte Person erbt. Demnach erfolgt in einem ersten Schritt die Ablösung von der Sozialhilfe, wenn sie aufgrund der Erbschaft nicht mehr bedürftig ist (Art. 23 Abs. 2 SHG). In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob die unterstützte Person, die geerbt hat, rückerstattungspflichtig ist.
Die von Ihnen geplante oder bereits vorgenommene Ablösung bei einer ausbezahlten Erbschaft in der Höhe von CHF 120'000.-- ist deshalb als erster Schritt richtig.
In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob eine unterstützte Person aufgrund der Erbschaft bis zur Ablösung bevorschussend unterstützt wurde und deshalb eine diesbezügliche Rückerstattung zu verlangen ist. Aufgrund der Ausführungen im Kapitel D.3.1 des Sozialhilfehandbuchs BKSE habe ich den Eindruck, dass die diesbezügliche Rückerstattung gestützt auf Art. 40 Abs. 2 SHG erfolgt und grundsätzlich alle ab dem Todestag (2. Juni 2024) bis zur Ablösung ausbezahlten Unterstützungsleistungen zurückgefordert werden können, wie Sie dies planen. Da es sich um bevorschusste Leistungen handelt, sind auch Integrationszulagen und Erwerbsfreibeträge nicht von den rückerstattungspflichtigen Leistungen ausgenommen (Art. 40a Abs. 1 lit.b SHG).
Die Unterstützungsleistungen betragen ab Todestag bis heute CHF 25'500.--. Dieser Betrag (ergänzt um die bis zur Ablösung allenfalls zusätzlich erbrachten Leistungen) kann somit gestützt auf Art. 40 Abs. 2 SHG zurückgefordert werden.
In einem dritten Schritt ist zu prüfen, ob zusätzlich eine Rückerstattung aufgrund einer wesentlichen Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse angezeigt ist (Art. 40 Abs. 1 SHG). Bei einem Vermögensanfall gelten die wirtschaftlichen Verhältnisse als wesentlich verbessert, wenn der Vermögensanfall bei einer Einzelperson CHF 25'000.-- übersteigt. Das ist vorliegend der Fall, denn nach Abzug der bevorschussten Unterstützungsleistungen verbleibt ein Betrag von CHF 94'500.--. Aufgrund des Vermögensfreibetrages kann maximal der um CHF 25'000.-- verminderte Vermögensanfall zurückgefordert werden. Das ist – wie von Ihnen berechnet – vorliegend CHF 69'500.--. Da die Klientin mit einer weit höheren Summe unterstützt wurde, kann grundsätzlich der gesamte Betrag zurückgefordert werden abzüglich der Integrationszulagen und Erwerbsfreibeträge (Art. 40a Abs. 1 lit. b SHG).
Richtigerweise haben Sie erkannt, dass dabei zu berücksichtigen ist, ob allenfalls ein Teil der Rückforderung bereits verjährt ist. Dabei tritt die Verjährung ein Jahr nach Kenntnisnahme des Tatbestands für jede einzelne Leistung spätestens aber nach 10 Jahren nach deren Ausrichtig ein. Ich ersehe aus dem Sachverhalt nicht, wann der Sozialdienst von der Erbschaft erfahren hat und wann alle erforderlichen Informationen zusammengetragen waren. Sollte dies bereits länger als ein Jahr her sein, könnte die Rückforderung verjährt sein. Ich gehe aber nicht davon aus, dass dies der Fall ist, da es erfahrungsgemäss eine gewisse Zeit dauert, bis die erforderlichen Unterlagen zusammengetragen sind.
Schliesslich fragen Sie, ob es gerechtfertigt sei, dass von der Rückerstattungssumme Schulden abgezogen werden. Sie verweisen hierzu auf eine frühere Antwort von Mai 2022 in sozialinfo.ch. Das Sozialhilfehandbuch BKSE wurde inzwischen den SKOS-Richtlinien angegliedert. Die in der Antwort erwähnten Ziffern sind deshalb nicht mehr aufrufbar und haben keine Gültigkeit mehr. In der aktuellen Fassung habe ich keine diesbezüglichen Ausführungen gefunden. Insbesondere gibt es im Kapitel E.5 keine Ergänzungen zu den SKOS-Richtlinien (diese nehmen das Thema Schulden als Härtefall nicht ausdrücklich auf). Entsprechende Empfehlungen scheint es im Handbuch BKSE deshalb nicht mehr zu geben. Zudem verweise ich auf den in der Antwort von Mai 2022 verlinkten Verwaltungsgerichtsentscheid und insbesondere Erw. 4.6.3. Das Verwaltungsgericht zeigte sich dort eher kritisch gegenüber dem (teilweisen) Verzicht auf Rückerstattung aufgrund von Schulden, weil die Sozialhilfe so indirekt Schulden übernehmen würde. Dies spricht tendenziell gegen die Berücksichtigung von Schulden bei der Berechnung der Höhe der Rückerstattung bzw. bei der Annahme eines Härtefalles nach Art. 43 Abs. 1 SHG aufgrund von Schulden. Es liegt aber im Ermessen der Sozialhilfe, im Einzelfall auch aufgrund von Schulden die Rückerstattung als unverhältnismässig zu erachten.
Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort geholfen zu haben.
Freundliche Grüsse
Anja Loosli Brendenbach