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Berechnung Elternbeiträge

Veröffentlicht:
03.04.2019
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Guten Tag
Ich bin gerade mit einer besonderen Familienkonstellation und damit zusammenhängend Fragen nach Elternbeiträgen konfrontiert.
Eine 18-jährige Frau hat sich bei uns gemeldet zum Bezug von Sozialhilfe. Sie ist im ersten Lehrjahr einer vierjährigen Ausbildung. Sie hat nur einen kleinen Lohn von weniger als CHF 300.00 und kann ihre Auslagen damit alleine nicht decken. Seit Sommer 2017 lebt sie bei der Familie ihres Vaters, welcher mit seiner heutigen Ehefrau und zwei gemeinsamen Kindern wohnt. Insgesamt handelt es sich also um einen 5-Personen-Haushalt. Die leibliche Mutter der Klientin wird selbst durch wirtschaftliche Sozialhilfe unterstützt. Nun stellt sich die Frage nach dem Elternbeitrag. Ich habe von beiden Elternteilen die aktuellen Steuerzahlen bei der Steuerverwaltung angefordert. Die Kindsmutter hat weder steuerbares Einkommen noch Vermögen und besitzt auch kein Grundeigentum. Hier erübrigt sich m.E. das Berechnen eines allfälligen Beitrags. Der Kindsvater wurde zusammen mit seiner heutigen Ehefrau veranlagt. Sie hatten im 2017 zusammen ein steuerpflichtiges Einkommen von CHF 73‘300.00 und kein steuerbares Vermögen. Der Wert des Grundstücks, welches sie besitzen und wo sie wohnen, beträgt CHF 645‘300.00. Hier möchte ich gerne ein erweitertes Budget gemäss SKOS erstellen, um abzuklären, ob dem Vater ein Elternbeitrag zuzumuten ist. Ist dies korrekt?
Bei der Berechnung des erweiterten Budgets benutze ich hier die Ansätze für 4 Personen in einem 5-Personenhaushalts. Ist es entsprechend auch legitim, das Einkommen der Ehefrau des Kindsvaters und die Kinderzulagen für die beiden Halbgeschwister der Klientin mit einzuberechnen? Der Kindsvater hat bereits angedeutet, dass es zu Spannungen führen könnte, wenn auch seine jetzige Frau ihre finanzielle Situation offenlegen muss.
Vielen Dank für die Beantwortung dieser Fragen und einer kleinen Einschätzung des weiteren Vorgehens.
Silvio Pfäffli
Burgergemeinde Thun - Soziales

Frage beantwortet am

Ruth Schnyder

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrter Herr Pfäffli
Gerne beantworte ich Ihre Frage. Bei der in Frage stehenden Unterhaltsberechnung für das volljährige Kind handelt es sich um eine zivilrechtliche Frage. Grundlage des Elternbeitrages ist die elterliche Unterhaltspflicht nach Art. 276 ZGB. Danach haben Eltern für den Unterhalt des Kindes aufzukommen, worunter u.a. Kosten für die Erziehung, Ausbildung und Kindesschutzmassnahmen fallen. Trägt die Sozialhilfe Kosten für das unterhaltsberechtigte Kind, tritt sie in den Unterhaltsanspruch gegenüber den Eltern ein (Art. 289 Abs. 2 ZGB). Aufgrund dieses Umstand ist die Sozialhilfe berechtigt (und aus Gründen der Subsidiarität verpflichtet), gegenüber den Eltern den Kindesunterhalt geltend zu machen (so auch Art. 37 SHG BE). Die SKOS-Richtlinien empfehlen einen Beitrag von den Eltern einzufordern, der ihrer Leistungsfähigkeit entspricht, die wiederum anhand eines erweiterten SKOS-Budgets ermittelt wird (Praxishilfe H.3 SKOS-RL). Falls die Eltern nicht bereit sind, dafür aufzukommen, kommt die Sozialhilfe nicht umhin, den Beitrag mittels Klage ans Zivilgericht durchsetzen, da es sich um einen zivilrechtlichen Anspruch handelt (vgl. zum Ganzen Kap. F.3.3 SKOS-RL).
Das BKSE-Handbuch, Stichwort Elternbeiträge, verweist für die Berechnung des Elternbeitrags ebenfalls auf die Regelung in den SKOS-RL und weist ebenso darauf hin, dass dieser im Streitfall mit Klage ans Regionalgericht (Zivilgericht) durchgesetzt werden muss. Nach Art. 38 SHG BE ist jedoch eine richterliche oder vertragliche Unterhaltsvereinbarung, soweit diese nicht abgeändert (erhöht) werden müsste, vorrangig zu beachten. Aufgrund Ihrer Frage gehe ich davon aus, dass keine Unterhaltsregelung vorhanden ist, welche für die Zeit nach Volljährigkeit massgebend ist, so dass die Festlegung des Elternbeitrags angezeigt ist. Vorrangig stellt sich zudem die Frage, inwieweit mit Stipendien der Bedarf ergänzend zum Lehrlingslohn abgedeckt werden kann (vgl. dazu Ziff. 4 Stichwort „Elternbeiträge“ im BKSE-Handbuch).
Soweit ein Elternbeitrag für das volljährige Kind berechnet werden muss, erfolgt dies wie gesagt vorderhand auf Basis von der Praxishilfe H.3 SKOS-RL mit dem erweiterten SKOS-Budget. Den SKOS-RL kann jedoch nicht entnommen werden, wie die Leistungsfähigkeit des verpflichteten Elternteils zu berechnen ist, wenn dieser eine weitere Ehe eingegangen ist. Nach Art. 163 ZGB besteht bei Verheirateten eine Unterhaltspflicht gegenüber der Familie. Dazu gehört auch der Unterhalt des im gleichen Haushalt lebenden Stiefkindes, was sich aus Art. 278 Abs. 2 ZGB ergibt, wonach jeder Ehegatte dem andern in der Erfüllung der Unterhaltspflicht gegenüber vorehelichen Kindern in angemessener Weise beizustehen hat. Es handelt sich um eine Beistandspflicht des Stiefelternteils gegenüber dem unterhaltsverpflichteten Elternteil bzw. Ehegatten, woraus das Stiefkind keinen eigenen Anspruch gegenüber dem Stiefelternteil ableiten kann. Nach Lehre und Rechtsprechung geht dieser Beistandspflicht zudem die Unterhaltspflicht des leiblichen Elternteils der Stiefkinder vor. Bleiben seine Unterhaltsbeiträge (oder Alimentenhilfe) aber aus, muss der Stiefelternteil in die Lücke springen (vgl. Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, 2016, Bruno Roelli, zu Art. 278 ZGB, Ziff. 3). Damit steht aus zivilrechtlicher Sicht fest, dass der Stiefeltern verpflichtet ist, im Rahmen des Familienunterhalts (Art. 163 ZGB) auch für den Unterhalt des Stiefkindes aufzukommen, soweit dieser durch die leiblichen Eltern nicht erbracht werden kann und das Kind in der Hausgemeinschaft lebt (ausserhalb der Hausgemeinschaft besteht eine grössere Zurückhaltung). Vorrangig sind Stipendien und weitere Eigenmittel des Stiefkindes wie sein Lehrlingslohn zu beachten (Art. 276 Abs. 3 ZGB).
Für die Höhe des Unterhaltsbeitrages ist demnach die Leistungsfähigkeit des verpflichteten Ehegatten massgebend, bei welcher - jedoch aufgrund der Beistandspflicht des Stiefelternteils - auch der Stiefelternteil, aber auch die gemeinsamen Kinder einbezogen werden. Ein praktikabler Weg erscheint mir, ein Budget für 4 Personen in einem 5 Personenhaushalt zu erstellen, so wie Sie vorschlagen. Welche Ausgaben dabei berücksichtigt werden, müsste grundsätzlich nach zivilrechtlicher Gerichtspraxis (familienrechtlicher Grundbedarf) auf Grundlage von Art. 285 ZGB erfolgen. Für eine aussergerichtliche Verhandlungsbasis anerbietet es sich aber, bei der Bedarfsbemessung nach den Grundsätzen der SKOS-RL (H.3) vorzugehen. Insoweit wäre sachgerecht ein erweitertes SKOS-Budget zu erstellen. Dabei könnte aber der Besonderheit des Stiefelternverhältnisses Rechnung getragen werden, indem dem Stiefelternteil u.U. sinnvolle Ausgaben zugestanden werden, die dem leiblichen Elternteil nicht eingerechnet werden dürften.
Die SKOS-RL sehen auf der Einkommensseite vor, dass vom Vermögen ein Verzehr von 10% angerechnet werden dürfte (H.3 SKOS-RL), was selbstredend nur vom Nettovermögen (abzüglich Schulden) berechnet werden dürfte. Dabei wäre zu bedenken, dass im Zivilrecht die Berücksichtigung des Vermögens jedoch der Ausnahmefall ist (etwa bei ungenügenden Einkommensverhältnissen und gleichzeitigem Vorhandensein eines namhaften Vermögens, so Christina Fountoulakis, in: Basler Kommentar zum Zivilgesetzbuch I, 6. Auflage, zu Art. 285 N. 13). Diesbezüglich ist aber auch fraglich, inwieweit das Vermögen des Stiefelternteils überhaupt berücksichtigt werden darf. Ich könnte mir vorstellen, dass die Gerichte hier etwas zurückhaltender sein könnten, da es sich nicht um den leiblichen Elternteil handelt.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Stiefelternteil über den Familienunterhalt für das Stiefkind subsidiär aufkommen muss. Bei der Bemessung (Bedarf, Berücksichtigung des Vermögens) sollte jedoch der Besonderheit Rechnung getragen werden, dass er sich nicht um den leiblichen Elternteil handelt.
Ich hoffe Ihnen, mit diesen Ausführungen Ihre Frage beantwortet zu haben.
Freundliche Grüsse
Ruth Schnyder