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Benutzung und Besitz eines Fahrzeuges

Veröffentlicht:
15.04.2025
Kanton:
Bern
Status:
Neu
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Fallbeschreibung - u/Weisungsverfügung vom 10.2024 betr. freiwilliger Leistungen Dritter (von ihrer Mutter)  an KL (KlientIn) von 2'000 für Kauf eines Fz (Occassion) - Entscheid über Benutzung des Fz damals noch nicht abgehandelt - KL reicht im 11.2024 Beschwerde ein beim Regierungsstatthalteramt (RSA)- Vfg vom 13.02.2025 - RSA entscheidet Sistierung des Beschwerdeverfahrens bis weitere Sachverhaltselemente geklärt sind und das rechtliche Gehör mit KL durchgeführt ist. Durchführung rechtl. Gehör mit KL am 05.03.2025 im Beisein der Tochter der KL.

Rechtliches Gehör - KL gibt an, sie habe schon immer ein Fz gehabt und sei davon ausgegangen, dass der Kauf des Occasionsautos im 07.2024 in Ordnung sei, deshalb habe sie einfach eine Kopie des Fahrzeugausweises in unseren Briefkasten gelegt ohne Kommentar. Zu den Gründen, weshalb die KL ein Fz benötigt, gibt sie an, dass sie das Fz oft für Fahrten ins Tessin zu ihrer kranken 82-jährigen Mutter benötige (alle 2-3 Wochen). Weiter benötige sie das Fz auch, um regelmässig das Kind ihrer Tochter im Kt. AG zu betreuen (Fahrt jeweils früh morgens zur Tochter dauert rund 40 Min. und abends 40 Min. retour, wenn ihre Tochter arbeitet). Sie schätze diese Mobilität sehr u benötige das Fz zudem auch für Einkäufe u Termine.

Arztberichte sagen aus, dass KL an einer Depression mittleren bis schweren Grades leidet sowie ausgeprägen degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule mit radikulärer Ausstrahlung und chronischen Knieschmerzen. Ein grundsätzlicher Vergleich (bezüglich Bremskräfte u Erschütterungen Auto vs öV) ergibt, dass physikalisch u medizinisch betrachtet das öffentliche Verkehrsmittel oft die bessere Wahl wäre für eine Person mit Rücken- und Kniebeschwerden, da das öV gleichmässigere Bremskräfte aufweist, weniger Mikroerschütterungen verursacht und mehr Bewegungsfreiheit bietet. Der Hausarzt gibt auf unser Nachfragen im 03.2025 an, dass die einzige medizinische Rechtfertigung für den Besitz eines Fz diejenige wäre, dass die Patientin wegen orthopädischen Leiden max. 200-300 m ohne Gehilfe gehen könne (warum dann keine Gehilfe?). Auf nochmalige Nachfrage hin gab uns die Hausarztpraxis an, dass der Hausarzt am 12.06.24 letzmals eine Physiotherapieverordnung erstellt habe, jedoch wurde seither keine einzige Physiotherapiesitzung von der KK via einer Leistungsabrechnung abgerechnet. Der letzte ausführliche Bericht über den psychischen Zustand der KL datiert aus dem März '25 und es gibt anscheinend keine erneute Überschreibung für eine Psychotherapie. Die KL besucht jedoch alle paar Wochen Psychotherapiesitzungen im SRO Langenthal. Der Sozialdienst ist der Meinung, dass die Benutzung eines Fz unter den genannten Umständen nicht bewilligt werden sollte und sucht die entsprechenden rechtlichen Grundlagen dafür, um dies sauber abzuhandeln. Nur der Besitzstand (KL hatte in der Vergangenheit immer ein Fz, jedoch wurde ein solches nie offiziell bewilligt) berechtigt aus unserer Sicht nicht automatisch zum Kauf und Gebrauch eines neuen Fz. Nur weil die KL in der Vergangenheit jeweils ein Fz besass,heisst dies nicht automatisch, dass wir nun den Kauf des neusten Occasions-Fz bewilligen (gibt es dafür eine rechtl. Grundlage?) Und wie begründen wir, dass die Benutzung eines Fz in diesem Falle nicht notwendig ist (was sind die rechtlichen Grundlagen dazu). Zwar benötigt die KL gemäss Aussagen des Hausarztes und des SRO Alterspsychiatrie Ambulatorium Langenthal auch wegen ihrer chronischen Knie- und Rückenleiden sowie wegen ihrer psychischen Gesundheit ein Fz, jedoch sind wir der Meinung, dass sie ihr Fz primär für die regelmässigen Fahrten ins Tessin zu ihrer 82-jährigen Mutter wie auch zu ihrer Tochter im Kt. Aargau (Kinderbetreuung) benützt (dies hat sie im rechtlichen Gehör auch so bestätigt) und dies stellt unserer Ansicht nach eine massive Ungleichbehandlung gegenüber anderen SH-Klienten dar und rechtfertigt auch nicht den Besitz und Gebrauch eines Fz. Zudem wäre auch ein Wohnortswechsel (KL zu Ihrer Mutter ins Tessin? - oder dann zu Ihrer Tochter in den Kt. AG? in Betracht zu ziehen. Es scheint, als ob die KL ihr Fz primär zur Pflege ihrer sozialen Kontakte benötigen würde. Insbesondere wäre im Falle ihrer kranken Mutter im Tessin auch eine professionelle Betreuung (Spitex/Haushaltshilfe) sinnvoller.

Bevor wir eine erneute Verfügung an die KL erstellen, würden wir die KL nochmals zu einem Termin einladen mit der Idee, sich irgendwie zu einigen, jedoch sind wir vorgängig auf ihre rechtliche Beratung angewiesen, damit wir über die nötigen rechtlichen Grundlagen verfügen, um eine ablehnende Verfügung nachfolgend erstellen zu können.

Für Fragen stehen wir Ihnen sehr gerne zur Verfügung. Wir bedanken uns für die Unterstützung.

Freundliche Grüsse

Frage beantwortet am

Anja Loosli

Expert*in Sozialhilferecht

Guten Tag

Ich bedanke mich für Ihre Frage, die ich gerne folgendermassen beantworte:

Wenn verstehe den Sachverhalt so, dass es im vorliegenden Fall bereits Entscheide und ein Gerichtsverfahren betreffend das von der Klientin gekaufte Auto gibt. Im sistierten Gerichtsverfahren geht es schwerpunktmässig darum, ob die die Klientin aus gesundheitlichen Gründen auf das Fahrzeug angewiesen ist oder nicht. Unklar ist für mich, ob die Forderung der Sozialhilfe ist, dass die Klientin das Fahrzeug wieder verkauft, die Sozialhilfe den Preis des Autos als Dritteinnahme anrechnen möchte oder ob es darum geht, dass die Sozialhilfe die Unterhaltskosten dafür nicht bezahlen will (aufgrund der Schilderung des Sachverhalts habe ich den Eindruck, die Klientin habe den Unterhalt für das bisherige Auto bis anhin selbst bezahlt). Aus diesem Grund erlaube ich mir, das Thema Autobesitz im Kanton Bern vollumfänglich abzuhandeln (eine meiner Ansicht nach ausgezeichnete Übersicht zu diesem Thema findet sich in Kapitel C.6.3 des Handbuchs der BKSE).

Beim Kauf eines Fahrzeuges gibt es verschiedene Themen, die zu prüfen sind:

1. In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob ein vor oder während der Unterstützung gekauftes Fahrzeug einen anrechenbaren Vermögenswert darstellt. Ein anrechenbarer Vermögenswert ist ein Auto dann, wenn sein Wert (inkl. sonstigem Vermögen der unterstützten Person) den Vermögensfreibetrag übersteigt. Im Kanton Bern beträgt der Vermögensfreibetrag für eine Einzelperson Fr. 4'000.-- (Art. 8n SHV). Ist das Fahrzeug unter Berücksichtigung der übrigen Vermögenswerte mehr als Fr. 4'000.-- wert, ist es somit grundsätzlich zu verkaufen. Eine Ausnahme davon gilt nach dem Handbuch der BKSE, wenn eine bedürftige Person aus gesundheitlichen oder beruflichen Gründen auf das Auto angewiesen ist.

Im vorliegenden Fall scheint das Fahrzeug selbst einen geringen Wert (Fr. 2'000.--) zu haben. Wenn keine weiteren Vermögenswerte vorhanden sind, liegt der Vermögenswert vorliegend deshalb innerhalb des Vermögensfreibetrages und das Fahrzeug muss von der Klientin nicht veräussert werden, auch wenn sie nicht aus gesundheitlichen Gründen darauf angewiesen sein sollte.

Die Frage, ob der von einer Drittperson bezahlte Kaufpreis als Einnahme anzurechnen ist, ist damit noch nicht geklärt. Ich komme nachstehend unter Ziffer 4 darauf zurück.

2. In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob die bedürftige Person die Unterhaltskosten selbst übernehmen muss oder ob sie von der Sozialhilfe zu übernehmen sind.

Nach Art. 8k Abs. 1 SHV haben bedürftige Personen nur dann Anspruch auf Beiträge an die Kosten für Betrieb und Unterhalt eines privaten Motorfahrzeugs, wenn sie das Fahrzeug aus gesundheitlichen Gründen, zu Erwerbszwecken oder nach Würdigung der Umstände aufgrund einer abgelegenen Wohnlage benötigen. Damit gibt es im Kanton Bern grundsätzlich 3 Gründe für einen Anspruch auf ein Auto: Gesundheit, Erwerb und abgelegene Wohnlage. Gemäss Kapitel C.6.3 Erläuterungen lit. b Ziff. 2.1 Handbuch BKSE werden Beiträge an die Kosten für den Betrieb und den Unterhalt eines Motorfahrzeuges durch den Sozialdienst aber auch dann nur übernommen, wenn feststeht, dass ein Wohnungswechsel nicht angezeigt oder zumutbar ist und das Zurücklegen der in Frage stehenden Strecken mittels einer Taxifahrt bzw. einem Transportdienst einer Hilfsorganisation nicht möglich oder nicht günstiger ist.

Soweit ich den Sachverhalt verstehe, gibt die Klientin vorliegend an, das Auto zu benötigen, um einerseits ihre kranke Mutter im Tessin 1 bis 2 Mal im Monat zu besuchen und andererseits ihr Enkelkind, das im Kanton Aargau lebt, zu betreuen (ich ersehe aus dem Sachverhalt nicht, wie oft dies ist). Weiter verwendet sie das Fahrzeug, um Einkäufe zu machen und weitere Termine wahrzunehmen.

Die Klientin hat gesundheitliche Einschränkungen: Einerseits eine mittelschwere bis schwere Depression und andererseits chronische Schmerzen aufgrund ihrer Wirbelsäule. Der behandelnde Arzt sagt, die Klientin benötige ein Auto, da sie ohne Gehhilfen nur 200 – 300 Meter gehen könne.

Ich sehe aufgrund der chronischen Schmerzen, die nur noch ein Gehen ohne Gehhilfen von 200 – 300 Meter möglich machen, die Möglichkeit, dass der Klientin für das Einkaufen und die Wahrnehmung von weiteren Terminen wie z.B. Arztterminen eine Taxifahrt bezahlt wird, wenn die Klientin weiter als 200 – 300 Meter von einer Haltestelle des öffentlichen Verkehrs weg wohnt oder der Termin weiter weg als 200 – 300 Meter von einer Haltestelle des öffentlichen Verkehrs weg ist. Wohnt die Klientin mehr als 200 – 300 Meter weit weg von einer Haltestelle des öffentlichen Verkehrs, stellt sich die Frage, ob ihr das Gehen mit Gehhilfen über eine Distanz von mehr als 200 – 300 Meter regelmässig zugemutet werden kann und wie sie dann z.B. ihre Einkäufe transportiert. Allenfalls lässt sich auch die Frage stellen, ob die Klientin näher zu einer Haltestelle des öffentlichen Verkehrs ziehen kann. Unklar ist für mich, wie weit die Klientin mit dem öffentlichen Verkehr aufgrund ihrer Schmerzen fahren kann. Hat sie einen weiten Weg zu den Einkaufsmöglichkeiten und den Arztterminen, so ist zu prüfen, ob sie die Möglichkeit haben muss, die Fahrt zu unterbrechen, um z.B. herumzugehen. Dies fällt einfacher mit einem eigenen Motorfahrzeug. Unklar ist für mich zudem, welchen Einfluss die mittelschwere bis schwere Depression hat. Hat die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel ernsthafte negative Auswirkungen auf ihren psychischen Zustand?

Neben den gesundheitlichen Gründen macht die Klientin vorliegend auch soziale Gründe geltend für den Bedarf nach einem Auto. Solche sind im Kanton Bern in der SHV nicht vorgesehen. Aus diesem Grund erscheint der Besuch der Mutter und die Betreuung des Enkelkindes grundsätzlich kein Grund dafür zu sein, dass die Sozialhilfe die Kosten für den Unterhalt des Autos der Klientin bezahlt. Allerdings leidet die Klientin an einer mittelschweren bis schweren Depression. Sollte der Besuch der Mutter und die Betreuung des Enkelkindes einen erheblichen Einfluss auf die psychische Stabilität der Klientin haben, könnten dennoch gesundheitliche Gründe dafür vorliegen, dass die Klientin ein Auto hat, dessen Unterhalt von der Sozialhilfe finanziert wird.

Ich empfehle deshalb, weitere Abklärungen betreffend die Depression: Welchen Einfluss hat sie auf die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln und wie wichtig ist der Besuch der Verwandten für das psychische Gleichgewicht? Zudem empfehle ich je nach Situation allenfalls Abklärungen betreffend Schmerzen: Muss die Klientin aufgrund der Schmerzen Fahrten unterbrechen können? Sind ihr Gehhilfen bei Distanzen von über 200 – 300 Meter zumutbar? Wie kann sie Einkäufe mit Gehhilfen über eine Distanz von mehr als 200 - 300 Meter transportieren? Ist allenfalls ein Umzug innerhalb des Wohnortes zumutbar? Sind die Taxifahrten günstiger als der Unterhalt eines Autos?

3. Kommen Sie gestützt auf die weiteren Abklärungen zum Schluss, dass nicht ausreichend gesundheitliche Gründe vorliegen, dass die Sozialhilfe die Unterhaltskosten für das Auto als situationsbedingte Leistung finanziert, heisst dies aber nicht, dass die Klientin das Auto nicht behalten kann. Sie kann es – wie unter Ziffer 1 hievor ausgeführt – grundsätzlich behalten, muss die Unterhaltskosten aber selbst d.h. aus dem Grundbedarf finanzieren.

Die Sozialarbeiterin, der Sozialarbeiter muss mit der unterstützten Person aber das Kostenproblem thematisieren. Bei einer voraussichtlich längerfristigen Unterstützung (d.h. länger als 6 Monate) prüft der Sozialdienst zudem, ob durch die Benutzung des Motorfahrzeuges zusätzliche finanzielle Engpässe entstehen. Eine Verschuldung ist zu verhindern.

Führt der Betrieb und Unterhalt eines nicht benötigten privaten Motorfahrzeuges dazu, dass sich die unterstützte Person verschuldet, so ist diese anzuweisen, die Nummernschilder zu hinterlegen. Im Widerhandlungsfall ist die fehlbare Person zu sanktionieren. Gegebenenfalls kann die Abgabe der Nummernschilder nach Vorliegen einer rechtskräftigen Verfügung mittels Ersatzvornahme (d.h. die Polizei wird damit beauftragt, die Nummernschilder einzuziehen) durchgesetzt werden (siehe Handbuch BKSE Kapitel C.6.3 Erläuterungen lit. b Ziff. 4.

4. Wie angekündigt komme ich nun noch auf das Thema des Kaufpreises zu sprechen. Soweit ich verstanden habe, hat die Mutter der Klientin den Kaufpreis von Fr. 2'000.-- bezahlt.

Im Sozialhilferecht gilt das Subsidiaritätsprinzip, welches besagt, dass Sozialhilfeleistungen nur gewährt werden, wenn die bedürftige Person die Notlage nicht aus eigener Kraft beheben kann, oder wenn Mittel aus Leistungen Dritter nicht oder nicht rechtzeitig verfügbar sind. Sozialhilfeleistungen sind auch subsidiär gegenüber Leistungen Dritter, welche ohne rechtliche Verpflichtung erfolgen, wie beispielsweise Beiträge von Angehörigen. Es besteht kein Wahlrecht zwischen der öffentlichen Sozialhilfe und privater Unterstützung, selbst wenn sie ohne rechtliche Verpflichtung geleistet wird. Deshalb sind Zuwendungen Dritter, welche tatsächlich erbracht werden oder aufgrund von Zusicherungen ohne weiteres erhältlich sind, bei der Bemessung der Unterstützung zu berücksichtigen (Kapitel A.3 Erläuterungen lit. b Ziff. 1 Handbuch BKSE). Freiwillige Leistungen Dritter, die im Interesse der Sozialhilfe sind (Zweckübereinstimmung), sind vom Sozialdienst dagegen zu akzeptieren, d.h. in kostenneutraler Weise (sowohl auf der Einnahmen- wie auch auf der Ausgabenseite) im Budget anzurechnen (Kapitel A.3 Erläuterungen lit. b Ziff. 2.1 Handbuch BKSE). Nach Kapitel C.6.3 Erläuterungen lit. b Ziff. 2.1 des Handbuches BKSE eine Neuanschaffung eines Occasions-Motorfahrzeuges in begründeten Einzelfällen von der Sozialhilfe finanziert werden kann, wenn dies zwingend nötig und wirtschaftlicher als die Reparatur des alten Fahrzeugs ist. Es macht deshalb Sinn, den Kaufpreis dann nicht als Einnahme zu berücksichtigen, wenn die Sozialhilfe diesen selbst bezahlen würde, wenn nicht eine Drittperson bezahlt.

Grundsätzlich ist somit der von der Mutter bezahlte Kaufpreis als Einnahme der Klientin anzurechnen. Kommen Sie zum Schluss, dass die Klientin aus gesundheitlichen Gründen zwingend auf das Fahrzeug angewiesen ist und die Sozialhilfe den Ersatz des alten Fahrzeuges hätte finanzieren müssen, erscheint die Anrechnung als Einnahme vorliegend deshalb nicht gerechtfertigt zu sein. 

Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort helfen zu können.

Freundliche Grüsse