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Beistandschaft Bereich Wohnen und Beizug Polizei

Veröffentlicht:
22.04.2022
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Kindes- und Erwachsenenschutz

Eine erwachsene Person (nachfolgend: Betroffener) wurde per ärztliche fürsorgerische Unterbringung wegen Selbst- und Fremdgefährdung in eine Klinik für stationäre Psychiatrie und Psychotherapie (nachfolgend: Klinik) eingewiesen. In der Folge erstatteten die Eltern des Betroffenen und die Klinik Gefährdungsmeldungen an die KESB, was eine behördliche fürsorgerische Unterbringung zu Folge hatte.

Es wurde eine Beistandschaft mit folgenden Aufträgen errichtet:

  • umgehend in Zusammenarbeit mit der Klinik und dem Betroffenen für eine geeignete Anschlusslösung und längerfristig für eine geeignete Wohnsituation bzw. Unterkunft besorgt zu sein und ihn in allen in diesem Zusammenhang erforderlichen Handlungen umfassend zu vertreten;
  • für das gesundheitliche Wohl des Betroffenen sowie für hinreichende medizinische Betreuung zu sorgen und ihn bei allen dafür erforderlichen Vorkehrungen zu vertreten, insbesondere auch im Sinne von Art. 378 ZGB über die Erteilung oder Verweigerung der Zustimmung zu vorgesehenen ambulanten oder medizinischen Massnahmen zu entscheiden;
  • den Betroffenen beim Erledigen der administrativen Angelegenheiten zu vertreten, insbesondere im Verkehr mit Behörden, Ämtern, Banken, Post, (Sozial-) Versicherungen, sonstigen Institutionen und Privatpersonen;
  • den Betroffenen beim Erledigen der finanziellen Angelegenheiten zu vertreten, insbesondere sein Einkommen und Vermögen sorgfältig zu verwalten.

Beim Betroffenen besteht ein Schwächezustand aufgrund einer psychischen Störung. Nach einem mehrmonatigen Klinikaufenthalt musste der Betroffene wieder entlassen werden, da eine Behandlung wegen seiner Medikationsverweigerung nicht möglich war. Damit endete der Behandlungsauftrag. Ebenfalls konnte während seines Aufenthaltes keine Unterkunft für ihn gefunden werden, da er auch diesbezüglich nicht kooperierte bzw. zu verstehen gab, dies selber entscheiden zu wollen. Diese Haltung hat sich auch nach der Klinikentlassung nicht verändert. Der Betroffene äusserte mehrfach, sich zu weigern, eine von der Berufsbeistandsperson als geeignet erachtete Unterkunft zu beziehen.

Dem Betroffenen wurde insbesondere für den Bereich des Wohnens ärztlich eine Urteilsunfähigkeit bescheinigt

Wegen der ungelösten Wohnsituation (der Betroffene wohnt nun trotz Hausverbots wieder bei seinen Eltern) rechnet die Beistandsperson jederzeit damit, für den Betroffenen kurzfristig eine neue Unterkunft organisieren zu müssen und ihn anzuhalten, in eine solche Unterkunft zu ziehen, da auch Obdachlosigkeit drohen könnte. Trotz attestierter Urteilsunfähigkeit in Bezug auf das Wohnen stellt sich auch die Frage, wie bei einer Urteilsfähigkeit weiter vorzugehen wäre.

Fragen Variante 1: Darf die Beistandsperson den im Bereich Wohnen urteilsunfähigen Betroffenen gegen seinen Willen mithilfe der Polizei (für einen zwangsweisen Transport) in eine für ihn organisierte Unterkunft verbringen lassen gestützt auf ihre Vertretungsbefugnis im Bereich Wohnen nach Art. 394 ZGB, dies ohne Mitwirkung der KESB? Darf sich die Beistandsperson für einen direkten Beizug der Polizei allenfalls auf Art. 450 g ZGB stützen? Falls ein direkter Beizug der Polizei durch die Beistandsperson für ein Verbringen in die organisierte Unterkunft nicht möglich wäre: Wie wäre in diesem Fall vorzugehen?

Fragen Variante 2: Wie sind vorstehende Fragen der Variante 1 bei einer Urteilsfähigkeit des Betroffenen zu beantworten?

Frage beantwortet am

Urs Vogel

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Guten Tag

Zu ihren Fragestellungen folgende Erwägungen:

Die Unterbringung einer erwachsenen Person gegen ihren erklärten Willen kann nur mit einer fürsorgerischen Unterbringung (Art. 426 ff. ZGB) erfolgen. Auch wenn die Urteilsfähigkeit hinsichtlich des «Wohnens» angezweifelt oder sogar verneint werden kann, bilden eine klar geäusserte Verweigerung oder ein physischer Widerstand eine Grenze für eine freiwillige oder eine durch die Beistandsperson veranlasste Platzierung (BSK ZGB-Stavro-Köberich/Steck, Art. 382 N 47; KUKO ZGB-Mösch Payot, Art. 382 N 5a; OFK ZGB-Fassbind, Art. 382 N 4; ZK-Boente, Art. 382 N 60 f.). Sie können in solchen Fällen als Beiständin also keine «Einweisung» veranlassen und auch keine Polizei für einen Heimeitritt beiziehen. Es ist Aufgabe der KESB, eine fürsorgerische Unterbringung anzuordnen und nötigenfalls den Beizug der Polizei für die Vollstreckung anzuordnen (Art. 450g Abs. 3 ZGB). Nur wenn der Klient kooperiert, mit Ihnen hier zusammenwirkt oder sich einem Heimeintritt weder verbal noch physisch widersetzt, können Sie ihn ins Heim begleiten. Eine polizeiliche Vollstreckung ist nicht möglich.

Eine fürsorgerische Unterbringung kann nur in einer geeigneten Einrichtung erfolgen, die die nötige Behandlung oder Betreuung erbringen kann (Art. 426 Abs. 1 ZGB). Offenbar war die bisherige Einrichtung, eine psychiatrische Klinik, nicht(mehr) geeignet und es stellt sich die Frage, was für eine Einrichtung hier in Frage kommt. Gibt es eine Einrichtung, die einen Klienten, der gemäss Beschrieb, keine Compliance hat, aufnimmt? Welche Empfehlungen gab die Klinik ab, welche Einrichtung kann eine geeignete Behandlung oder Betreuung anbieten, etwas, das die Klinik nicht kann? Anlässlich des Austrittsgesprächs, das die Klinik zu dokumentieren hat, wäre diese Frage zu klären gewesen (Art. 436 ZGB).

Medizinische Behandlungen fallen unter die höchstpersönlichen Rechte und urteilsfähige Klientinnen und Klienten entscheiden selbst; sie dürfen sich «unvernünftig» entscheiden und sinnvolle Behandlungen ablehnen bzw. verweigern (Art. 19c ZGB). Zudem scheint es, dass auch die Voraussetzungen für eine Behandlung ohne Zustimmung (Art. 434 ZGB) während der fürsorgerischen Unterbringung nicht gegeben waren und somit keine Behandlung durchgeführt werden konnte. Können Klientinnen und Klienten, denen die Einsicht in ihre Behandlungsbedürftigkeit abgeht, nicht für eine Compliance gewonnen werden, ist das oftmals herausfordernd, das Umfeld muss hier viel «aushalten». Da die Klinik den Klienten entlassen hat, scheint der Aufenthalt möglicherweise nicht (mehr) verhältnismässig gewesen zu sein. Der Aufenthalt scheint kaum Aussicht auf Veränderung gebracht zu haben, der Klient konnte nicht für eine (weitere) Behandlung motiviert werden.

Für den Fall, dass die Eltern das Hausverbot gegenüber dem Klienten durchsetzen und er somit über keine Unterkunft mehr verfügt, können Sie lediglich eine Notunterkunft organisieren (Notschlafstelle, Notzimmer etc.). Ob der Klient diese dann benutzt, liegt in seiner Entscheidung. Sollten die Voraussetzungen für eine zwangsweise Betreuung zu diesem Zeitpunkt wieder gegeben sein, so ist eine erneute fürsorgerische Unterbringung durch einen Arzt oder eine Ärztin oder durch die KESB zu prüfen.

25.4.2022, Karin Anderer/Urs Vogel