Guten Tag
Uns stellt sich in Bezug auf einen jungen Erwachsenen (23 Jahre) im IV-Verfahren eine Frage.
Das psychiatrische Gutachten bringt deutlich zum Ausdruck, dass der Versicherte unter vier chronischen und insgesamt schwerwiegenden psychischen Störungen leidet und er auf Dauer ausbildungsunfähig sein wird. Die AF sei seit 2016 (! und seither ging bei der IV nichts) und bis auf Weiteres 0%. Prognostisch lägen zudem viele ungünstige Faktoren vor. Dennoch geht der Gutachter davon aus, dass es viele offene Therapieoptionen gibt und er sich in intensive, ausreichend lange, psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung begeben muss, wenn die ungünstigen Prognosen abgewendet werden sollen. Die Therapiewilligkeit des Klienten stellt die IV in Frage (es ist tatsächlich unklar ob er eine stationäre Therapie antreten wird), merkt aber an, dass diese verständlicherweise störungsbedingt reduziert sei, im Sinne einer reduzierten Krankheitseinsicht.
In der Stellungnahme des RAD zum Gutachten wurde daraufhin empfohlen eine mehrwöchige stationäre Therapie zu machen, anschliessen wird ein längerer Aufenthalt in einer Tagesklinik empfohlen und dann noch eine ambulante Begleitung durch die psychiatrische Spitex. Es ist gemäss Stellungnahme des RAD von einem Behandlungszeitraum von 2 Jahren die Rede.
1. Diesbezüglich stellt sich uns nun die Frage, ob die IV für diesen Zeitraum eine befristete Rente sprechen sollte. Dies weil durch den RAD klar festgelegt wird, dass der Behandlungsverlauf 2 Jahre dauern wird und der Klient in diesem Zeitraum nicht arbeitsfähig oder maximal teilarbeitsfähig sein wird.
2. Des Weiteren stellen wir uns die Frage ob diese Auflage zumutbar ist wenn man bedenkt, dass er er krankheitsuneinsichtig ist.
3. Uns hinterlässt die IV den Eindruck, den Fall etwas 'verschlafen' zu haben, die Dringlichkeit nicht erkannt zu haben. Gibt es gesetzliche Vorgaben welche die IV allenfalls nicht eingehalten hat. Wie könnten wir dagegen vorgehen?
Besten Dank im Voraus.
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Guten Tag.
1. Anspruch auf eine Rente haben Versicherte, die während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich zu mindestens 40% arbeitsunfähig gewesen sind (9C_882/2009) und im Anschluss an diese Wartezeit mindestens in diesem Umfange erwerbsunfähig sind (Art. 28 Abs. 1 IVG). Die Erwerbsunfähigkeit ist dabei massgebend für die Bemessung des Invaliditätsgrads.
Neben der Voraussetzung der durchschnittlichen Arbeitsunfähigkeit von 40% während des Wartejahres muss – damit ein Rentenanspruch entsteht – die versicherte Person weiterhin mindestens zu 40% erwerbsunfähig sein (Art. 28 Abs. 1 Bst. c IVG i. V. m. Art. 7 ATSG; AHI-Praxis 1996 S. 177).
Ein Rentenanspruch kann somit grundsätzlich erst nach Ausschöpfung der Möglichkeiten zur Eingliederung entstehen (Art. 28 Abs. 1bis IVG). Aber schon vor diesem Zeitpunkt kann ein (befristeter) Rentenanspruch ausnahmsweise entstehen, wenn die versicherte Person nicht oder noch nicht eingliederungsfähig war (9C_689/2019; 9C_450/2019; siehe dazu Rz. 2300 KSIR, Stand 1.1.2022).
2. Im konkreten Fall stellt sich nun die Frage, ob aus den medizinischen Abklärungen eine eindeutige Erwerbsunfähigkeit ableitbar ist. Das ist von den Ausführungen her in Ihrer Fragestellung nicht unwahrscheinlich.
Insoweit sollte unter Verweis auf die oben genannten Aspekte nun eine (zumindest befristete) Rente verlangt werden. Und zwar rückwirkend von dem Zeitpunkt her, wo nach dem Wartejahr (und frühestens sechs Monate nach der Anmeldung) eine Erwerbsunfähigkeit von mindestens 40% medizinisch ausgewiesen erscheint.
3. Die genannten medizinischen Behandlungen sind im Rahmen der Mitwirkungspflicht grundsätzlich auch während eines Rentenbezuges auf sich zu nehmen, soweit sie zumubar sind (Art. 7 Abs. 2 lit. d IVG; Art. 7a IVG). Nach Art. 7b IVG gilt, dass nach durchgeführtem Mahn- und Bedenzeitverfahren (Art. 21 Abs. 4 ATSG) Leistungen gekürzt oder verweigert werden, wenn solche Pflichten verletzt würden.
Soll eine Person krankheitsbedingt nicht in der Lage sein, eine Massnahme auf sich zu nehmen, und sei es aufgrund fehlender Krankheitseinsicht, so ist die Massnahme für die Person unmöglich - und somit auch nicht einforderbar.
Allerdings ist hier die Beweislast bei der versicherten Person. Das heisst, dass die Unfähigkeit, die Massnahme auf sich zu nehmen, eindeutig medizinisch feststehen sollte (durch eine spezialärztliche Beurteilung) - und ins IV-Verfahren eingebracht werden sollte. Spätestens, wenn seitens der IV eine entsprechende Aufforderung zur Wahrnehmung der Mitwirkungspflicht erfolgen sollte.
4. Der Fall scheint beweismässig nicht ganz einfach zu sein. Eventuell wäre es ratsam, hier eine anwaltschaftliche Vertretung einzusetzen zur Wahrnehmung der Rechte. Eventuell wäre eine Rechtsverzögerungsbeschwerde zu prüfen.
Ich hoffe, das dient.
Prof. Peter Mösch Payot