Guten Tag
Gemäss Art. 43 des Berner Sozialhilferechts gibt es keine Rückerstattungspflicht, wenn während der Unmündigkeit oder bis zum Abschluss der ordentlichen Erstausbildung rechtmässig Sozialhilfe bezogen worden ist, unter Ausnahme der Bevorschussungen von Sozialversicherungsleistungen, Stipendien, Familienzulagen und ähnlichen für den Unterhalt der Kinder bestimmten Leistungen.
Wenn nun eine Klientin aufgrund einer gesundheitlichen Situation eine Verzögerung der Erstausbildung hat und eine IV-Abklärung ohne IV-Taggeld absolviert sowie während derer SH beantragt, gilt dies noch als bis zum Abschluss der Erstausbildung? Oder muss die Betroffene damit rechnen, dass sie später zur Rückzahlung der Sozialhilfe verpflichtet wird? Dankeschön.
Frage beantwortet am
Melanie Studer
Expert*in Sozialhilferecht
Guten Tag
Vorab: die Nummerierung einiger Artikel im Sozialhilfegesetz des Kantons Bern (SHG/BE) wurde geändert; der Inhalt der Norm, auf die Sie sich beziehen, findet sich in Art. 40a Abs. 1 lit. a SHG/BE. Art. 43 SHG/BE regelt den Verzicht auf die Rückerstattung in Härtefallen.
Sollte bei der IV-Abklärung eine (rückwirkende) Leistungspflicht der IV festgestellt werden, so würde es sich vorliegend um einen Fall der Bevorschussung handeln und die Rückerstattungspflicht wäre somit gem. dem klaren Wortlaut von Art. 40a Abs. 1 lit. a SHG/BE gegeben.
Falls aber keine Leistungspflicht festgestellt würde, wird Ihre Frage aktuell. Es geht darum, festzustellen, was unter «bis zum Abschluss der ordentlichen Erstausbildung» zu verstehen ist. Gem. dem BKSE Stichwort «Rückerstattungspflicht» lässt sich keine Alterslimite für die Beendigung der Erstausbildung entnehmen. Auch wenn eine Erstausibildung erst spät begonnen wird, ist für den Sozialhilfebezug in der Zeit während der Erstausbildung keine Rückerstattungspflicht gegeben. Ich interpretiere Ihre Frage im Weiteren so, dass die Erstausbildung wegen der IV-Abklärung unterbrochen wurde und Sie sich nun Fragen, ob für den Sozialhilfebezug während diesem Unterbruch allenfalls eine Rückerstattungspflicht besteht.
Meines Erachtens wäre es ein Verstoss gegen die Rechtsgleichheit, wenn die gesundheitliche Situation bei der Beantwortung dieser Frage nicht mitberücksichtigt würde. Konkret würde die Klientin ungerechtfertigterweise gleichbehandelt, wie eine Person, die ihre Erstausbildung aus freien Stücken unterbricht, obwohl der Grund für die Unterbrechung der Erstausbildung in ihrem Gesundheitszustand liegt, den sie nur schwer beeinflussen kann. Aus dieser Überlegung wäre für die Zeit des IV-Abklärungsbedingten-Unterbruchs der Erstausbildung auf eine Rückerstattung zu verzichten.
Allenfalls wäre zu gegebener Zeit – sollte die Kleintin denn überhaupt je in die Situation kommen, in der sie genügend Einkommen erwirtschaftet oder Vermögen erwirbt, um unter die Rückerstattungspflicht zu fallen -zu prüfen, ob ein Gesuch auf Erlass wegen eines Härtefalls einzureichen wäre (vgl. Art. 43 Abs. 3-4 SHG/BE), das insbesondere dann gutzuheissen wäre, wenn die Rückerstattung aufgrund der gesamten Umstände unbillig erscheint (Art. 11c Abs. 1 c SHG/BE). Dies könnte vorliegend m.E. für die Zeit, in der die Erstausbildung zugunsten der IV-Abklärung unterbrochen wird, wiederum mit den obigen Überlegungen zur Rechtsgleichheit bejaht werden.
Ich hoffe, Ihnen damit weiterzuhelfen. Melden Sie sich, sollte ich die Ausgangslage falsch interpretiert haben.
Beste Grüsse
Melanie Studer