Ein 24-jähriger Mann ist bei mir in der Sozialberatung einer stationären psychiatrischen Klinik.
Er arbeitete vor Klinikeintritt über ein Temporärbüro. Der aktuelle Einsatzvertrag wurde am 12.11.2024 gegenseitig unterzeichnet. Der Einsatzbeginn auf den 11.11.2024 und die Dauer mit maximal 3 Monaten festgehalten. Ab dem 19.12.2024 begannen im Einsatzbetrieb Betriebsferien. Der Chef des Einsatzbetriebes sicherte der betroffenen Person das Weiterführen des Einsatzes nach den Ferien am 13.1.2025 mündlich zu. Am 9.1.2025 wird die betroffene Person vom Chef des Einsatzbetriebes für einen tätigen Einsatz direkt aufgeboten. Für diesen einen Tag stelle das Temporärbüro am 29.1.2025 einen neuen Einsatzvertrag für diesen Einsatz am 9.1. aus. In diesem Vertrag ist die Dauer befristet für diesen einen Tag. Von diesem Vertrag hatte die betroffene Person keine Kenntnis und wurde von der betroffenen Person auch nicht unterzeichnet.
Am 13.1.2025 (Ende Betriebsferien) fühlte sich die betroffene Person krank und hat sich im Einsatzbetrieb krankgemeldet. Im Temorärbüro erfolge die Meldung am 14.1.2025. Die erste ärztliche Konsultation mit Arbeitsunfähigkeitszeugnis liegt ab 15.1.2025 vor.
Das Temoprärbüro stellt sich auf den Standpunkt, dass die betroffene Person zum Zeitpunkt des Krankheitsausfalles nicht angestellt war und deshalb nicht über die Kollektiv- Krankentaggeldversicherung versichert ist. Das Temporärbüro empfahl der betroffenen Peron einen Übertritt in die Einzelversicherung. Da die betroffene Person davon ausgegangen ist, dass er angestellt war, kreuzte er im Formular an, dass kein Interesse an einem Übertritt besteht.
Die Krankentaggeldversicherung lehnte einen Übertritt, aufgrund des falsch gesetzten Kreuzes ab. Im Nachhinein gewähren sie aber einen Übertritt, mit Berufung auf den neuen, wahrscheinlich ungültigen Einsatzvertrages von diesem einen Tag im Januar. Die betroffene Person müsste aber einen Lohnausfall deklarieren, was aber nicht möglich ist, da bei der ALK die Beitragsrahmenfrist nicht erfüllt ist.
Frage: Befand sich die betroffene Person zum Zeitpunkt der Erkrankung am 13.1.2025 in einem Anstellungsverhältnis? Besteht ein Leistungsanspruch auf Lohnersatz aus der Kollektiven Taggeldversicherung des Temporärbüros?
Frage beantwortet am
Andreas Petrik
Expert*in Arbeitsrecht
Guten Tag
Es ist zwischen Personalvermittlung und Personalverleih zu unterscheiden. Während bei der Personalvermittlung der Einsatzbetrieb Arbeitgeberin ist, besteht beim Personalverleih das Arbeitsverhältnis zum Personalverleiher. Gemäss Ihren Ausführungen wurde ein Einsatzvertrag «gegenseitig unterzeichnet», was auf ein Arbeitsverhältnis mit dem Einsatzbetrieb hindeutet, andererseits erwähnen Sie einen Einsatzvertrag, der zwischen dem Temporärbüro und dem Einsatzbetrieb abgeschlossen wurde. Letzteres lässt auf Personalverleih schliessen. Auch die Tatsache, dass der Übertritt in die Einzelversicherung des Temporärbüros erfolgt konnte, lässt auf Personalverleih schliessen. Relevant ist, welchen Inhalt die Vereinbarung zwischen dem Arbeitnehmer und dem Temporärbüro vereinbart wurde.
Im Falle, dass es sich um Personalverleih handelt, gilt folgendes: Gemäss dem einschlägigen «Gesamtarbeitsvertrag Personalverleih» ist der Verleiher verpflichtet, eine Kollektivversicherung abzuschliessen. Der GAV schreibt vor, dass der Versicherungsschutz ab dem ersten Tag des vertraglich vereinbarten Arbeitsantritts bestehen muss. Die Leistungsdauer muss 720 Tage betragen. Eine Ausnahme besteht für Arbeitnehmende, die gemäss GAV nicht der BVG-Pflicht unterstehen. Für Arbeitnehmende ohne Unterstützungspflicht gegenüber Kindern, deren Vertrag nicht für länger als drei Monate eingegangen wurde, besteht lediglich eine Leistungspflicht von 60 Tagen. Mangels Kündigung hat am 13. Januar 2025 das Arbeitsverhältnis noch bestanden und es besteht ein Taggeldanspruch gegenüber der Versicherung des Verleihbetriebs.
Da der neue Vertrag vom 29. Januar 2025, der lediglich einen Einsatzdauer von einem Tag vorsieht, vom Arbeitnehmer nicht unterzeichnet wurde, bleibt dieser ohne Wirkung. Es gilt weiterhin der Vertrag vom 12. November 2024. Mangels Kündigung dieses Vertrags dauerte das Arbeitsverhältnis bis am 11. Februar 2025. Bis dahin besteht bei ausgewiesener Arbeitsunfähigkeit ein Taggeldanspruch aus der Kollektivpolice. Das Taggeld wird auf der Grundlage des vertraglichen Lohnes berechnet. Falls zwischen dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit und dem Vertragsende eine Arbeitsfähigkeit bestanden haben sollte, bestünde nur dann ein Lohnanspruch, wenn die Arbeitsleistung angeboten wurde.
Gemäss GAV muss die Möglichkeit besteht, in die Einzelversicherung überzutreten. Gemäss Ihren Ausführungen erfolgte ein solcher Übertritt. Gemäss den obigen Ausführungen erfolgt der Übertritt jedoch erst auf den 12. Februar 2025. Krankentaggeldversicherungen sind in aller Regel als Schadensversicherung ausgestaltet. Der Ansprecher muss nachweisen können, dass er im Falle einer Arbeitsfähigkeit einen Verdienst erzielt hätte. Kann er das nicht nachweisen, fehlt es an einem Schaden und es besteht kein Taggeldanspruch. Bei Arbeitslosigkeit unterscheidet die Praxis zwei Fälle: Ist die Arbeitsunfähigkeit vor der Kündigung eingetreten, besteht die Vermutung, dass im Falle einer Arbeitsfähigkeit eine Erwerbstätigkeit ausgeübt würde. Der Schaden entspricht dem bisherigen Verdienst. Kommt es nach der Kündigung zu einer Arbeitsunfähigkeit, greift diese Vermutung nicht und es muss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden, dass im Falle einer Arbeitsfähigkeit eine Erwerbstätigkeit ausgeübt würde. Kann dies nicht nachgewiesen werden, ergibt sich der Schaden aus den Arbeitslosentaggeldern, die bei einer Arbeitsfähigkeit ausgerichtet würden.
In Ihrem Fall müsste nachgewiesen werden, dass im Falle einer Arbeitsfähigkeit nach an dem 12. Februar 2025 eine Erwerbstätigkeit ausgeübt worden wäre. Dieser Nachweis kann erbracht werden, indem der Einsatzbetrieb bestätigt, dass er im Falle einer Arbeitsfähigkeit über den 11. Februar 2025 beschäftigt worden wäre. Alternativ könnte das Temporärbüro bestätigen, dass er ab dem 12. Februar in einem anderen Betrieb eingesetzt worden wäre. Es ist jedoch davon auszugehen, dass ihm eine solche Bestätigung nicht ausgestellt wird. Da er auch im Falle einer Arbeitsfähigkeit keinen Anspruch auf Arbeitslosentaggeld hätte, fehlt es an einem Schaden und er hat auch keinen Anspruch auf – reduzierte – Taggeldleistungen, die auf der Grundlage der Arbeitslosenentschädigung bemessen werden.
Je nach Versicherung werden die Umstände des Einzelfalls berücksichtigt und dennoch Taggelder ausgerichtet.
Im Falle, dass es sich um Personalvermittlung handelt, gilt folgendes: Das Arbeitsverhältnis besteht zwischen dem Einsatzbetrieb und dem Arbeitnehmer, entsprechend sind die Ansprüche gegenüber dem Einsatzbetrieb oder gegenüber der Krankentaggeldversicherung des Einsatzbetriebs geltend zu machen. Die Pflicht, eine Krankentaggeldversicherung abzuschliessen kann sich aus einem Branchen-GAV oder aus dem Einzelarbeitsvertrag ergeben. Die Frage der Deckung richtet sich nach den allgemeinen Versicherungsbedingungen oder nach allfälligen Vorgaben eines Branchen-GAV.
Besteht keine Versicherungslösung richtet sich die Lohnfortzahlung nach Obligationenrecht. Gemäss OR besteht nur dann eine Lohnfortzahlungspflicht, wenn ein unbefristetes Arbeitsverhältnis mehr als drei Monate bestanden hat oder ein befristetes Arbeitsverhältnis für länger als drei Monate eingegangen wurde. Da beides nicht zutrifft, besteht kein Anspruch auf Lohnfortzahlung. Die Frage, bis wann das Arbeitsverhältnis gedauert hat, hat im Zusammenhang mit dem Lohnfortzahungsanspruch keine Relevanz.
Zusammenfassend ist gestützt auf Ihre Angaben von Personalverleih auszugehen. Gemäss GAV ist der Verleihbetrieb verpflichtet, eine kollektive Krankentaggeldversicherung abzuschliessen. Bei ausgewiesener Arbeitsunfähigkeit besteht Anspruch auf Taggeldleistungen, die auf der Grundlage des vertraglich vereinbarten Verdienstes berechnet werden, bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses. Da keine Kündigung ausgesprochen wurde und der Einsatzvertrag vom 29. Januar 2025 mangels Unterschrift keine Wirkung hat, besteht für die Zeit von 9. Januar 2025 bis 11. Februar 2025 Anspruch auf Krankentaggelder in der Höhe von 80% des Lohnes. Der Anspruch besteht auf der Grundlage der Kollektivversicherung und ist unabhängig von einem Übertritt in die Einzelversicherung. Ab dem 12. Februar 2025 könnte bei erfolgtem Übertritt ein Anspruch aus der Einzelversicherung bestehen, wobei vorausgesetzt werden kann, dass die Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Falle einer Arbeitsfähigkeit nachgewiesen wird. Da dieser Nachweis kaum erbracht werden kann, erscheint die Ablehnung der Leistungspflicht durch die Versicherung als rechtmässig.
Eine Leistungspflicht der Versicherung kann sich dann ergeben, wenn in den allgemeinen Versicherungsbedingungen vorgesehen ist, dass über das Ende des Arbeitsverhältnisses zu Lasten der Kollektivpolice Leistungen erbracht werden.
Freundliche Grüsse