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Bedeutung Konfessionelle Neutralität

Veröffentlicht:
12.03.2024
Kanton:
Bern
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Arbeitsrecht

Sehr geehrte Damen und Herren,

im Namen unserer Institution der A.W möchten wir Sie über eine aktuelle Situation informieren, die unser Engagement für konfessionelle Neutralität, wie in unserem Leitbild verankert, betrifft.

Kürzlich kam es zu einem Vorfall, bei dem ein Mitarbeiter unserer Einrichtung, unter Berufung auf sein Recht auf Religionsfreiheit, vor Beginn der Mahlzeiten in Anwesenheit anderer Mitarbeiter und unserer minderjährigen Klienten laut gebetet hat. Um den Grundsatz der konfessionellen Neutralität zu wahren und gleichzeitig das Recht des Mitarbeiters auf Religionsausübung zu respektieren, haben wir ihm vorgeschlagen, sich für das Gebet in einen separaten Raum zurückzuziehen. Dieser Vorschlag wurde mit dem Ziel unterbreitet, einen Kompromiss zwischen den individuellen Rechten und den Werten unserer Institution zu finden.

Trotz unseres Angebots besteht der Mitarbeiter weiterhin darauf, sein Gebet in Gegenwart der Klienten auszuüben, ohne deren Zustimmung eingeholt zu haben, was bei einigen zu sichtbarer Irritation geführt hat.

Wir würden Ihre Einschätzung dieser Situation sehr schätzen, insbesondere im Hinblick auf die Wahrung unserer Werte der konfessionellen Neutralität, während wir gleichzeitig die religiösen Freiheiten unserer Mitarbeiter respektieren.

Vielen Dank im Voraus für Ihre Rückmeldung.

Freundliche Grüsse

Frage beantwortet am

Kurt Pärli

Expert*in Arbeitsrecht

Guten Tag

Für die Beantwortung ihrer Frage gehe ich davon aus, dass es sich um eine private Institution handelt und folglich die Bestimmungen des OR und Arbeitsgesetz (ArG) anwendbar sind.

Arbeitgeber müssen die Persönlichkeit der Mitarbeitenden achten und schützen, das entnimmt sich Art. 328 OR. Flankiert wird diese vertragsrechtliche Bestimmung durch Art. 6 Abs. 1 Satz 2 ArG, hier wird der Arbeitgeber öffentlich-rechtlich verpflichtet, die erforderlichen Massnahmen zum Schutz der Integrität der Arbeitnehmer vorzusehen.  

Religiöse Empfindungen zu haben und religiöse Handlungen vorzunehmen, gehört zum Persönlichkeitsrecht nach Art. 328 OR und bilden ebenfalls Ausdruck unserer persönlichen Integrität.  

Eine Arbeitgeberin muss dafür sorgen, dass alle Arbeitnehmenden Persönlichkeitsrechte gleichermassen ausleben dürfen. Das bedeutet unter Umständen auch, dass ein Arbeitgeber Regeln erlassen darf, ja so erlassen muss, um sicherzustellen, dass nicht die Religionsausübung des einen Arbeitnehmers das Recht auf Schutz der Persönlichkeit der anderen Person verletzt. Auch ist eine Arbeitgeberin berechtigt und im Falle der Betreuung Minderjähriger sogar verpflichtet, Regeln auszustellen, die Klienten/innen in ihrer Persönlichkeit schützen.

Wenn eine Institution sich zu konfessioneller Neutralität bekennt, dann haben sich die Arbeitnehmenden im Rahmen ihrer Treuepflicht an die entsprechenden Spielregeln zu halten. Die Treuepflicht des Arbeitnehmers ist zwar nicht grenzenlos, sie wird durch die Persönlichkeitsrechte begrenzt. Da aber die Religionsausübung im vorliegend Fall auch die Persönlichkeitsrechte anderer Arbeitnehmer und insbesondere diejenigen der Klienten/innen betrifft, geht die Treuepflicht vor.

Die konkrete Umsetzung des Einforderns der Treuepflicht hat verhältnismässig zu erfordern, d.h., das Ziel – Schutz der anderen Mitarbeiter und Schutz der Klienten – muss möglichst so erreicht werden, dass die Religionsfreiheit des betreffenden Mitarbeiters so weit wie möglich gewährleistet werden kann. Sie beschreiben, dass Sie dem Mitarbeiter die Möglichkeit bieten, seine Gebete in einem separaten Raum zu sprechen. Das entspricht einem verhältnismässigen Vorgehen. Der Mitarbeiter muss sich an diese Regelung halten, Sie können ihm eine entsprechende Weisung erteilten. Sie können entgegenkommenderweise den Mitarbeiter fragen, ob er denn eine Alternative vorschlagen kann, die das Ziel ebenfalls erreicht (keine lauten Gebete vor anderen Mitarbeitern und Klienten).

Ergänzung: Falls es sich bei Ihrer Institution um einen staatlichen Betrieb oder eine öffentlich-rechtliche Anstalt handelt, ändern sich im Ergebnis nichts an der Rechtslage. Der staatliche Arbeitgeber ist zwar direkt an die Grundrechte (Religionsfreiheit, Diskriminierungsverbot) gebunden. Auch in dieser Konstellation muss der staatliche Arbeitgeber indes die Grundrechte aller Mitarbeitenden schützen und ist zudem auch gegenüber den Klienten/innen grundrechtsverpflichtet. Es gilt also auch hier, zwischen den verschiedenen Interessen eine Abwägung vorzunehmen.

Vor einigen Jahren habe ich zum Thema «Arbeit und Religion» einen Buchbeitrag verfasst, den ich Ihnen gerne auch überlasse.

Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen

Kurt Pärli

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