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Auto als Vermögenswert

Veröffentlicht:
03.10.2023
Kanton:
Bern
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Sehr geehrte Damen und Herren

Ich gelange mit folgendem Sachverhalt bzw. damit zusammenhängenden Fragen an Sie:

Ein Mann beantragt in einer Gemeinde im Kanton Bern Sozialhilfe. Aus gesundheitlichen Gründen und der Abgeschiedenheit seines Wohnortes ist er auf sein Auto angewiesen, weshalb es grundsätzlich in der SH-Unterstützung anerkannt würde. Erste Recherchen (Internetrecherche – ähnlicher KM Stand und Ausstattung) haben aber ergeben, dass sich der aktuelle Wert seines Autos wahrscheinlich auf knapp Fr. 60'000.00 belaufen könnte und somit weit über dem Vermögensfreibetrag liegt. Deshalb würde ich in einem weiteren Schritt eine Eurotax Berechnung durchführen.

Dem Mann würde ich eine Weisung zum Verkauf des Autos machen. Der Erlös müsste dann mit der geleisteten Sozialhilfe verrechnet werden. Da er auf das Auto angewiesen ist, könnte aus dem Erlös ein günstiges, zweckmässiges Occasionauto gekauft werden. Für den Verkauf würde ich ihm eine Frist von drei Monaten setzen und dass er die Verkaufsbemühungen nachweisen muss. Er scheint einem Verkauf ablehnend gegenüberzustehen.  Es stellen sich für mich nun folgende Fragen:

  • Wie sind die Bemühungen zu dokumentieren? Nach welchen Grundsätzen (Informationspflicht, Mitwirkungspflicht, Treu und Glauben etc.) sollte dies erfolgen?
  • Wie ist vorzugehen, wenn er keine Bemühungen zum Verkauf des Autos unternimmt?
    • Muss die Sozialhilfe gekürzt oder eingestellt werden? Wenn Einstellung, wird bei einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung entzogen? Wenn keine Einstellung, in welchem Umfang und wie lange müsste eine Kürzung erfolgen?
  • Wie ist vorzugehen, wenn er das Auto nicht verkaufen kann trotz Bemühungen? Beim Auto handelt es sich um einen eher speziellen Sportwagen, weshalb dies ein realistisches Szenario wäre (laut kontaktiertem Autohändler der Marke).
  • Kann von Seiten Sozialdienst erwartet werden, das Auto unter Wert zu veräussern? Wenn ja, wieviel Einbusse ist verhältnismässig?

Es ist aufgrund der sehr aktuellen Diskussion in den Medien und der Sozialhilfe, welche immer auf dem Prüfstand der Öffentlichkeit ist, nicht recht und billig, dass ein Sozialhilfebezüger ein solch teures Auto fährt. Aber es scheint uns rechtlich auch zwiespältig, den Klienten die Sozialhilfe einzustellen.

Vielen Dank für die Rückmeldung.

Frage beantwortet am

Melanie Studer

Expert*in Sozialhilferecht

Guten Tag

 

Vielen Dank für Ihre Frage. Ich stütze mich bei meinen Antworten auf die rechtlichen Grundlagen des Kantons Bern, insbesondere das Sozialhilfegesetz, die Sozialhilfeverordnung sowie die Ausführungen im BKSE-Handbuch und die SKOS-Richtlinien. Explizite Abweichungen von den SKOS-RL in dieser Thematik sind in der bernischen Gesetzgebung keine ersichtlich.

 

Zunächst scheint mir Ihr Vorgehen bis hierhin der Situation angepasst ist: auch wenn die Notwendigkeit eines Fahrzeuges grundsätzlich anerkannt ist, besteht nur Anspruch auf ein günstiges und zweckmässiges Fahrzeug.  

 

Zu Ihren konkreten Fragen:

1. Wie sind die Bemühungen zu dokumentieren?
Es ist in diesem Zusammenhang zentral, dass die Weisung den Klienten bereits klar über die Anforderungen an die Dokumentation der Verkaufsbemühungen informiert. Diesbezüglich haben Sie auch ein gewisses Ermessen. Wie viele Bemühungen fordern Sie? Können diese auch z.B. telefonisch erfolgen? Sollen nebst Anzeigen in einschlägigen Portalen auch mögliche Interessent:innen, insbesondere spezialisierte Garagen und Händler:innen direkt (z.B. per E-Mail) angeschrieben werden? Zu Beweiszwecken ist jedenfalls eine schriftliche Dokumentation der Suchbemühungen zu fordern. Die konkreten Weisungen müssen für den Klienten auch umsetzbar sein und für Sie überprüfbar, ob sie umgesetzt wurden. D.h. Sie dürfen keine unrealistisch hohe Anzahl an Bemühungen fordern und es ist auch sicherzustellen, dass er überhaupt in der Lage ist, die Weisungen zu erfüllen. Falls letzteres z.B. aufgrund sprachlicher Barrieren oder gesundheitlicher Gründe nicht der Fall ist, wäre er im Rahmen der persönlichen Hilfe auch bei der Erfüllung der Verkaufsbemühungen zu unterstützen (ähnlich wie auch Klient:innen bei der Suche nach günstigem Wohnraum bei Bedarf zu unterstützen sind). So stellen Sie sicher, dass sie eben den Grundsatz von Treu und Glauben bei der Einforderung der Mitwirkungspflichten beachten.

2. Wie ist vorzugehen, wenn er keine Bemühungen zum Verkauf des Autos unternimmt?

Gemäss den Ausführungen im BKSE-Handbuch bestimmt diesfalls der Sozialdienst das weitere Vorgehen. Als mögliche Vorgehensweisen werden beispielhaft genannt: Anrechnung des Vermögenswerts als Einnahme, Einstellung oder Rückerstattung. Diese Ausführungen beziehen sich jedoch explizit auf Fälle, in denen das Auto nicht als notwendig betrachtet wird. In ihrem konkreten Fall, da die Notwendigkeit eines Fahrzeuges grundsätzlich anerkannt wird, wäre m.E. bei der Missachtung der Weisung in einem ersten Schritt eine Kürzung angebracht und in der Kürzungsverfügung wäre wiederum die Weisung zu wiederholen, dass Verkaufsbemühungen zu erbringen sind. Für den (erneuten) Unterlassungsfall könnten Sie die Einstellung der Sozialhilfe in Aussicht stellen. Höhe und Dauer einer Kürzung haben dem Fehlverhalten angemessen zu sein. In Anbetracht des Ziels, dass das Fahrzeug möglichst rasch verkauft werden soll, wäre evtl. eine kürzere Kürzungsdauer, kombiniert mit einer etwas höher angesetzten Kürzungshöhe angemessen. Empfehlungen oder Skalen, bei welcher Pflichtverletzung, welche Sanktionshöhe und -kürzung verfügt werden sollen, gibt es nicht. Sprechen Sie sich dazu innerhalb des Dienstes ab, damit Sie sicherstellen, eine rechtsgleiche Praxis zu erzielen.

Grundsätzlich hätten Sie aber auch die Möglichkeit, die Sozialhilfe direkt einzustellen, wenn die Weisung nicht erfüllt wird (vgl. die SKOS-RL, F.3. Abs. 3 lit. d sowie die Ausführungen im BKSE-Handbuch unter Vermögen, Ziff. 3.1). Wenn sich jemand weigert, Vermögenswerte innert angemessener Frist zu veräussern, können die Leistungen gestützt auf das Subsidiaritätsprinzip eingestellt werden. In der vorliegenden Situation, da grundsätzlich anerkannt ist, dass ein Fahrzeug notwendig ist, wäre aber m.E. eine Einstellung eher erst im zweiten Schritt und bei einer beharrlichen Weigerung vorzunehmen.

Zentral ist, dass Sie hier die notwendigen Verfahrensschritte berücksichtigen, d.h. der Klient muss gemahnt werden und es muss ihm das rechtliche Gehör gewährt werden, bevor es tatsächlich zur Kürzung oder Einstellung kommt (vgl. auch dazu jeweils die Ausführungen im BKSE-Handbuch «Weisung, Mahnung, Verfügung»). Bereits aus der Weisung sollte hervorgehen, welche mögliche Rechtsfolge ein Nichtbefolgen derselben hat. Der Beschwerde, sowohl gegen eine allfällige Einstellung als auch gegen eine Kürzung kann die aufschiebende Wirkung entzogen werden, sofern wichtige Gründe vorliegen. Als wichtiger Grund gilt beispielsweise ein öffentliches Interesse, das den sofortigen Vollzug der Verfügung erfordert (Art. 68 Abs. 2 i.V.m. Abs. 5 lit. a des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege des Kantons Bern). Zu verhindern, dass eine Person Unterstützungsleistungen erhält, obwohl eine Person die Anspruchsvoraussetzungen (i.S. der Subsidiarität) nicht erfüllt, ist grundsätzlich ein anerkanntes öffentliches Interesse (vgl. auch jüngst das Bundesgericht im Urteil 8C_307/2022 v. 4.9.2023, E. 7.3.). Bei einer allfälligen Einstellung hat der Klient jederzeit die Möglichkeit, sich wieder beim Sozialdienst zu melden. Diesfalls müssten Sie erneut prüfen, ob ein Anspruch besteht und der Klient nunmehr gewillt ist, das Fahrzeug zu veräussern.

3. Wie ist vorzugehen, wenn er das Auto nicht verkaufen kann trotz Bemühungen?
Diesfalls müsste der Klient weiter mit ungekürzten Sozialhilfeleistungen unterstütz werden. Auch in Anbetracht dieses Szenarios ist besonderes Augenmerk auf die Dokumentation der Verkaufsbemühungen zu legen. Ist der Verkauf aus Gründen, die dem Klienten nicht anzulasten sind, nicht möglich, bleibt seine finanzielle Notlage weiterhin bestehen, da er keine Mittel hat, auf die er rechtzeitig zur Deckung seines Lebensunterhalts zurückgreifen kann. Es wäre dann allenfalls zu prüfen, wie die laufenden Kosten für die Verkehrsauslagen gering gehalten werden können.

4. Kann von Seiten Sozialdienst erwartet werden, das Auto unter Wert zu veräussern? Wenn ja, wieviel Einbusse ist verhältnismässig?

Grundsätzlich ist vom Marktwert auszugehen. Die SKOS-RL erwähnen unter D.3.1 Abs. 2 lit. b, dass auf die Berücksichtigung eines Vermögenswerts verzichtet werden kann, wenn die Verwertung unwirtschaftlich wäre. Wo diese Grenze zur Unwirtschaftlichkeit liegt, müsste im Einzelfall bestimmt werden und in der vorliegenden Konstellation insbesondere auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass vom Erlös auch ein neues Fahrzeug zu bezahlen ist. Jedoch ist es wohl generell das Risiko von Eigentümer:innen von «Liebhaberstücken», dass diese nicht zu dem Wert veräussert werden können, den man sich vorstellt und sich die Marktbedingungen ändern. Es ist jedoch auch im Interesse der Sozialhilfe einen möglichst hohen Erlös zu erzielen, da dadurch ein grösserer Betrag resultiert, der als Einnahme angerechnet werden kann.

Ihr zum Schluss geäussertes Unbehagen ist in der im Kanton Bern wieder aktuellen (medialen) Debatte nachvollziehbar. Jedoch sehen Sie, dass Ihnen Handlungsmöglichkeiten offenstehen, um den Verkauf des zu teuren Autos in die Wege zu leiten und dafür zu sorgen, dass die daraus resultierenden Mittel zweckmässig verwendet werden und lediglich ein zweckmässiges Fahrzeug zur Verfügung steht. Sie haben die entsprechenden Schritte bereits in Angriff genommen. Damit wird der Zweck der Sozialhilfe als «letztes Netz» der Existenzsicherung gewahrt und der Grundsatz umgesetzt, dass auch Unterstützung erhalten soll, wer zwar über andere Mittel verfügt, diese aber nicht rechtzeitig erhältlich zu machen sind. Solange die rechtzeitige Hilfe nicht durch andere Mittel gesichert ist, ist eine Einstellung der Leistungen nur nach den obigen Ausführungen und unter Berücksichtigung der entsprechenden Verfahrensschritte möglich.

Ich hoffe, das hilft Ihnen weiter.

Beste Grüsse

Melanie Studer