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Auszahlung rückwirkende IV Leistungen vor Beginn der WSH

Veröffentlicht:
06.05.2025
Kanton:
Aargau
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Frau X. erhielt im April 2025 rückwirkend eine befristete IV Rente von 01.03.2023 bis zum 31.07.2024 in Höhe von CHF  32'657.00. Es wurden Drittauszahlungen an verschiedene Leistungserbringer (z.B. KK) gemacht, was dazu geführt hat, dass sich die Summe verringert hat. Frau X. erhielt nun CHF 7'748.00 auf ihr Konto gutgeschrieben. 

Frau X. wird seit 1. September 2024 durch die WSH unterstützt. Die Leistungen der IV wurden also für den Zeitraum vor der WSH gesprochen, in der Frau X. KTG bezogen hat. 

Nun stellt sich die Frage, ob die ausbezahlten Leistungen der IV der WSH angerechnet werden dürfen oder ob Frau X. die rückwirkend ausbezahlten Leistungen behalten darf?

Vielen Dank für die Rückmeldung! 

Frage beantwortet am

Ruth Schnyder

Expert*in Sozialhilferecht

Guten Tag

Besten Dank für Ihre Anfrage, die ich gerne beantworte.

Damit die Sozialhilfe Nachzahlungen von den IV verrechnen kann, muss sie für die gleiche Zeit wirtschaftliche Hilfe erbracht haben – im Sinne der Bevorschussung. Dies ergibt sich einerseits aus § 12 Abs. 1 SPG AG, wonach materielle Hilfe, die als Vorschuss im Hinblick auf entsprechende Leistungen einer Sozialversicherung, einer Privatversicherung, haftpflichtiger Dritter oder anderer Dritter während eines Zeitraums gewährt wird, für den rückwirkend Leistungen erbracht werden, höchstens im Umfang der Nachzahlung zurückzuzahlen ist. Andererseits ergibt sich dies auch aus der Perspektive des Sozialversicherungsrechts, wozu die IV zählt, dies auf Grundlage von Art. 22 Abs. 2 lit. a ATSG (vgl. (Reichmuth Marco, in: Kieser Ueli/Kradolfer Matthias/Lendfers Miriam (Hrsg.), Kommentar zum Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts ATSG, 5. Aufl., Zürich - Basel - Genf 2024, Art. 22 Sicherung der Leistung N 48). Auf dieser Grundlage präzisiert die Verordnung zum Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVV), dass nur bis zur Höhe der Vorschussleistungen verrechnet werden darf (Art. 85bis Abs. 1 IVV). D.h. die Rückerstattung aufgrund Verrechnung ist bei zeitlicher Kongruenz der Leistungen zulässig. Diese Verrechnungsbeschränkung ergibt sich auch aus dem Handbuch Soziales des Kantons Aargau Ziff. 20.1. Insoweit ist eine Verrechnung nicht zulässig, da Frau X. im betreffenden Nachzahlungszeitraum gemäss Ihren Angaben keine materielle Hilfe bezogen hat.

Der zitierten Ziff. 20.1 des Handbuchs Soziales zufolge sei dann aber eine Rückerstattung auf Grundlage von § 20 SPG AG zulässig, d.h. bei Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse infolge vorhandenem Vermögen oder (möglicher) Vermögensbildung (§ 20 Abs. 1 SPV AG). Wird Frau X. als Einzelperson unterstützt, dann wäre ihr ein Freibetrag von Fr. 5'000 zu belassen (§ 20 Abs. 2 SPV AG). Insoweit könnten Fr. 2'748 zurückgefordert werden. Indessen stellt sich damit die Frage, ob die Anwendung von § 20 SPG AG nicht ein Verstoss gegen die Zeitidentität darstellt, welche wie oben dargestellt bei der Verrechnung als Schranke gilt. Aus meiner Sicht besteht im Zusammenhang mit zeitidentischen Einkommenszuflüssen wie Nachzahlungen von IV-Renten ein Zielkonflikt. Dies verhält sich anders bei Vermögensanfällen wie Erbschaften, wo die Kombination von Rückerstattung aufgrund von Bevorschussung und Vermögensanfall zutreffend ist (siehe Beispiel in Guido Wizent, Sozialhilferecht, alphaius, 2. Auflage, Dike 2023, Rz. 810). Ohne weitere Ausführungen wird in den SKOS-RL Erl. a) zu E.2.2 am Schluss festgehalten, dass Überschüsse und vorperiodische Leistungen von der Verrechnung auszunehmen und der anspruchsberechtigten Person im aktuellen Budget voll als Einkommen anzurechnen sind. Damit scheidet eine Rückerstattung aufgrund günstiger Verhältnisse (SKOS-RL E.2.1.) aus. Dies wird auch im Zeso-Praxisbeitrag «Welche Zahlungseingänge darf die Sozialhilfe verrechnen?» in den Schlussfolgerungen so dargestellt. In § 2a SPV AG werden die SKOS-RL Stand 1.1.23 für anwendbar erklärt und die erwähnten Quellen (SKOS-RL E.2.1. und der Zeso-Praxisbeitrag) sind im verlinkten Dokument am Schluss der SPV enthalten. Insoweit besteht diesbezüglich ein Widerspruch zwischen der Empfehlung im Handbuch Ziff. 20.1 und den SKOS-RL Erläuterungsebene und Praxishilfe als auch der eingangs dargelegten Rechtslage, allen voran § 12 Abs. 1 SPG AG (Verrechnung höchstens im Umfang der Nachzahlung). Prinzipiell steht das Handbuch alleine da - ich konnte bei einer summarischen Prüfung auch keine Rechtsprechung in diesem Sinne recherchieren, im Handbuch wird auch kein Gerichtsentscheid erwähnt -, so dass den SKOS-RL gegenüber dem Handbuch Vorrang zu geben wäre. Es lohnt sich jedoch, diese Frage dem Kantonalen Sozialdienst zu unterbreiten, der für das Handbuch zuständig ist.

Das bedeutet nun nicht, dass die Nachzahlung nicht berücksichtigt werden darf. Sie darf wie bereits auf Grundlage der SKOS-RL ausgeführt an die künftige materielle Hilfe angerechnet werden. Denn aufgrund des Zuflussprinzips gelten alle finanziellen Zuflüsse während der Unterstützung als Einnahmen (siehe dazu Guido Wizent, a.a.O., Rz. 616 ff.). Diese gehen der wirtschaftlichen Hilfe im Sinne des Subsidiaritätsprinzips vor. Das gilt auch für die Nachzahlung einer befristeten Invalidenrente aus einer zurückliegenden Zeitperiode. D.h. die Sozialhilfe darf diese Einnahmen im nächsten Monatsbudget bzw. solange finanzielle Mittel vorhanden sind vollumfänglich anrechnen.

Eine Ausnahme von dieser Anrechnung wäre denkbar, wenn die Klientin während der Zeit der nachträglichen Rentenzusprache, d.h. 31. März 2023 bis 31. Juli 2024 nachweislich Schulden bei Dritten machen musste, damit sie den Gang zur Sozialhilfe hinauszögern kann. In diesem Fall dürfte die Sozialhilfe der Klientin die Nachzahlung in diesem Umfang belassen, um die offenen Schulden begleichen zu können, oder es könnte ihr zu diesem Zweck zumindest der Vermögensfreibetrag belassen werden (so etwa Wizent, a.a.O., Rz. 688).

Ich hoffe, Ihnen damit Ihre Frage beantwortet zu haben.

Freundliche Grüsse

Ruth Schnyder