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Ausserordentliche IV-Rente für vorläufig aufgenommene Flüchtlinge?

Veröffentlicht:
26.08.2020
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialversicherungsrecht

Guten Tag

Herr X. ist vorläufig aufgenommener Flüchtling aus Eritrea und 2014 im Alter von 26 Jahren in der Schweiz eingereist. Im Oktober 2018 wurde aufgrund mangelnder Integrationsfortschritte ein sprachunabhängiger IQ-Test gemacht, bei dem ein Wert von 63 Punkten erzielt wurde, was eine leichte Intelligenzminderung bestätigen kann. Mit dieser Diagnose hätte er als Schweizer Anspruch auf Leistungen der IV.

Ein Antrag auf berufliche Eingliederungsmassnahmen und/oder Rente wurde durch die zuständige IV-Stelle abgelehnt, da Herr X. nicht aus einem Vertragsstaat stamme. Zudem sei die kognitive Einschränkung bereits vor der Einreise in die Schweiz bestanden, weshalb die versicherungsmässige Voraussetzung der Erfüllung eines Beitragsjahres vor Eintritt der Invalidität nicht hergestellt werden kann (Art. 6 Abs. 2 IVG).

Das ist soweit alles nachvollziehbar. Auf eine weitere schriftliche Anfrage bei der IV bezüglich Möglichkeiten für eine ausserordentliche Rente wurde aber auch dies verneint, mit Verweis auf die Staatsbürgerschaft und das fehlende Sozialversicherungsabkommen mit Eritrea.

Ist es nicht so, dass für Herrn X. als vorläufig aufgenommener Flüchtling der Bundesbeschluss über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und Staatenlosen in der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (FlüB) zum Tragen kommt? Könnte anhand dieser Voraussetzungen nicht nach Erfüllen der Karenzfrist von fünf Jahren sowie Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz ein Anspruch auf eine ausserordentliche Rente nach Art. 1 Abs. 2 FlüB entstehen?

Oder sehen Sie andere Möglichkeiten für eine Unterstützung durch die IV?

Herzlichen Dank im Voraus für Ihre Antwort!

Freundliche Grüsse

Raphael Strauss, KKF

Frage beantwortet am

Peter Mösch Payot

Expert*in Sozialversicherungsrecht

Sehr geehrter Herr Strauss

Im Zug der 10. AHV-Revision wurden die einkommensabhängigen ausserordentlichen AHV- und IV-Renten per 1. Januar 1997 ins ELG überführt. Die Beschränkung auf ein einziges Bedarfssystem diente der Vereinfachung und Transparenz.

Die rentenlosen EL sollen wie die früheren ausserordentlichen Renten mit Einkommensgrenzen auf Ausländer angewendet werden; AusländerInnen aus Staaten, mit denen die Schweiz ein Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen hat (BBl 1996 I 1203),

Art. 2 Abs. 2 lit. b ELG schafft im Weiteren in Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung von Flüchtlingen und Staatenlosen (SR 831.131.11) einen Anspruch auf EL für Flüchtlinge und Staatenlose, die sich unmittelbar vor Verlangen der EL ununterbrochen fünf Jahre in der Schweiz aufgehalten (Aufenthalt und Wohnsitz) haben. Das gilt, wenn sie einen Anspruch auf eine IV-Rente hätten, falls dafür die versicherungsmässigen Voraussetzungen (Beitragszeit von drei Jahren) erfüllt gewesen wäre. Genau gleich wie für Ausländer aus Staaten, mit denen die Schweiz ein Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen hat.

Entscheidend dafür ist der Flüchtlingsstatus bei Anmeldung zur EL; diese ist auch für vorläufig aufgenommene  Flüchtlinge anwendbar (vgl. die Mitteilung an die AHV-Ausgleichskassen und die EL-Durchführungsstellen Nr. 327, https://sozialversicherungen.admin.ch/de/d/6797/download) soweit die Karenzzeit von fünf Jahren ununterbrochenem Aufenthalt und Wohnsitz in der Schweiz erfüllt ist. Zu beachten ist, dass schon eine Abwesenheit von drei Monaten und mehr am Stück ein Unterbruch und Neubeginn der Karenzfrist zur Folge haben kann. (siehe auch Jöhl Ralph, Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, in SBVR XIV-Meyer, Soziale Sicherheit; Imhof Edgar, Ausländer/innen von ausserhalb der EU/EFTA und Sozialversicherungen – ein Überblick, in: SZS 50/2006, S. 442 f.; vgl. auch die vom Bundesamt für Sozialversicherung herausgegebene Wegleitung über die Stellung der Ausländer und Staatenlosen [WAS], Allg. S. 7f.; Urteil I 810/05 des Bundesgerichts vom 5. Februar 2007, Erw. 5.3 und 6.4; BGE 115 V 4ff).

Der Anspruch ist also nach der Karenzfrist gegenüber den EL-Stellen geltend zu machen. Diese müssen dann indirekt über die IV abklären lassen, ob die Voraussetzung der Invalidität besteht, ob also eine Rente gewährt würde, würden die versicherungsmässigen Voraussetzungen erfüllt sein. Mit Blick darauf lohnt es sich, soweit möglich die relevanten medizinischen Unterlagen mit dem EL-Gesuch einzureichen. Vgl. Anhang 2 EL (Stand 1.1.2020).

Ich hoffe, das dient Ihnen.

Prof. Peter Mösch Payot

Ganz herzlichen Dank für die hilfreichen Ausführungen!