Einer Klientin welche Anspruch auf eine ganze IV-Rente hatte soll diese nun gestrichen werden. Ab dem Folgemonat der Niederkunft wird ihr der Status 100% Hausfrau und Mutter zugeschrieben. Da laut der Prüfung der IV im Bereich des Haushalts keine bzw. nur eine minime Einschränkung von 15% attestiert wird, habe sie keinen Anspruch mehr auf eine Rente.
Die Frau ist Alleinerziehend und lebt mit ihrem Kind in einem Haushalt, vom Kindsvater erhält sie 1500.- Alimente. Folglich kann sie so ihre Existenz nicht mehr sichern und ist auf Sozialhilfe angewiesen.
Kann der Entscheid der IV so korrekt sein? Müsste es hier nicht eine Mischrechnung bezogen auf die Einschränkung im Haushalt sowie die Erwerbstätigkeit geben?
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Guten Tag!
a) Zunächst kurz zu den Grundlagen:
aa) Die Bemessung des IV-Grades erfolgt nach unterschiedlichen Methoden. Je nach dem, welcher Status eine Person aufweist. Bei Erwerbstätigen ist der Einkommensvergleich relevant (also der Vergleich von Validen- und Nichtvalideneinkommen). Bei Nichterwerbstätigen die Haushaltsabklärung. Und bei Teilerwerbstätigen, nach dem Mischverhältnis von Erwerb und Nichterwerb, die so genannte gemischte Methode. Der Status bestimmt sich nach der wahrscheinlichsten Variante der erwerblichen Verhältnisse, in denen sich die versicherte Person befinden würde, wenn sie nicht gesundheitlich beeinträchtigt wäre (Art. 24septies IVV)
bb) Bei Nichterwerbstätigen, bzw. für den Aufgabengebereich, wird der IV-Grad mit einer Haushaltsabklärung festgestellt. Mit dieser wird durch die Abklärung vor Ort und meist mittels Befragungen des/der Betroffenen (ev. unter Einbzug von Pflegeberichten etc.) die konkrete gesundheitsbedingte Einschränkung der haushaltsbezogenen Aufgabenerfüllung festgestellt. Und diese entspricht dann dem IV-Grad. Vgl. dazu KSIR (Kreisschreiben über Invalidität und Rente in der Invalidenversicherung, Stand 1.1.2023) Rz. 3609 ff.
cc) Durch eine wesentliche Änderung der für den IV-Anspruch relevanten Voraussetzungen kann eine IV-Rente wegfallen, wenn die Voraussetzungen für eine Rentenrevision im Sinne von Art. 17 ATSG und Art. 87ff. IVV gegeben sind. Die Voraussetzungen einer solchen Revision sind gegeben, wenn wesentliche Faktoren für die Bestimmung des IV-Grades in einem anspruchsrelenvanten Ausmasse geändert haben. Das kann auch durch einen Statuswechsel, z.B. von Erwerbstätig zu Nichterwerbstätig erfolgen.
Zu beachten ist, dass eine Aufhebung einer Rente aus Gründen der Revision gemäss Art. 88bis Abs. 2 lit. a IVV frühestens erfolgen kann vom ersten Tag des zweiten der Zustellung der Verfügung folgenden Monats an. Wenn also im vorliegenden Fall der Geburtstermin schon relativ nahe scheint, so könnte es sich lohnen, gegen den Vorbescheid einen Einwand zu prüfen, um ev. den Verfügungstermin noch etwas zu verzögern.
b) Im vorliegenden Fall sind für die Frage eines Einwandes (gegen den Vorbescheid), bzw. bzgl. Beschwerde gegen die Revisionsverfügung zu prüfen, ob die Voraussetzungen dafür, dass hier die Rente wegfällt, und ab wann, gegeben sind. Zur Prüfung des Vorbescheides ist es unabedingbar, die IV-Akten genau zu studieren. Namentlich die Beweismittel, die dem IV-Vorbescheid zu Grunde liegen.
aa) Primär ist zu prüfen, ob nach dem Sachverhalt tatsächlich davon auszugehen ist, dass die Betroffene mit der Geburt ohne ein allfälliges Handicap die Erwerbstätigkeit aufgegeben hätte.
Oder ob nicht eher anzunehmen ist, dass die erwerbstätig geblieben wäre. Ev. als Teilzeiterwerbstätige. Wenn dies der Fall wäre, wäre die weitere Frage diejenige nach dem Mischverhältnis von Erwerbstätigkeit und Nichterwerbstätigkeit.
Ausgangspunkt ist sicherlich die Tätigkeit und Situation vor Eintritt der Invalidität. Aber auch die gesamten weiteren persönlichen, familiären, beruflichen und sozialen Aspekte, welche eine Aussage zum wahrscheinlichen hypothetischen Status der Betroffenen ohne Invalidität zulassen (vgl. 8C_735/2020). Also etwa das Verhalten bei einer allfälligen ersten Geburt vor der Behinderung. Aber auch Annahmen sowie Möglichkeiten der Aufgabenverteilung zwischen den Eltern (vgl. BGE 117 V 194). Ebenso Art und Umfang der früheren Tätigkeit, Anstrengungen nach einer Kündigung wieder eine Tätigkeit zu suchen, Meldungen bei der ALV (vgl. etwa BGer 8C_29/2020; BGer 8C_669/2021). Relevant ist aber auch die Frage, ob und wie bei getrennten Paaren der Unterhalt festgelegt wurde und von welcher Rollenteilung insoweit ausgegangen wurde (BGE 125 V 201).
Als Beweismittel sind hier natürlich von Bedeutung, die Aussagen in den Befragungen, welche die IV selber vorgenommen hat (insoweit sind die IV-Akten zu konsultieren). Ebenso aber ev. nachzureichende schriftliche Bestätigungen der Betroffenen. Aber auch etwa Annahmen in familienrechtlichen Akten, etwa bzgl. der Unterhaltsfestlegung. Insb. wenn sie erfolgt sind, noch bevor die Invalidität eintrat.
Kriterium ist immer die Frage der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, was die betroffene Person gemacht hätte, WENN die Behinderung NICHT bestehen würde.
bb) Generell gilt dabei rechtsprechungsgemäss, dass bei einer Geburt eines (ersten Kindes), nicht einfach so und ohne Weiteres davon ausgegangen werden darf, dass die Mutter nachgeburtlich als Hausfrau gilt (8C_42/2021 E. 4.4).
Fazit: Entscheidend ist also immer, dass aufgrund aller relevanten Umstände mit überwiegender Wahrscheinlichkeit dargestellt werden kann, ob und inwieweit die Geburt zu einer Aufgabe oder Teilaufgabe der Erwerbstätigkeit geführt hätte, auch wenn sie nicht invalid geworden wären (vgl. BGE 120 V 150).
cc) Falls davon auszugehen ist, dass die Geburt hier einschneidend den Erwerbststatus verändert hätte, auch ohne Invalidität ist weiter zu fragen, ob anzunehmen ist, dass die Erwerbstätigkeit ganz aufgegeben worden wäre. Oder ob einer Teilzeitätigkeit, und wenn ja, in welchem Umfang, nachgegangen worden wäre. Auch inswoeit sind die oben genannten Beweismittel relevant.
dd) Im Übrigen ist aus den IV-Akten zu prüfen, ob und inwieweit die Annahme, welche Einschränkung im Aufgabenbereich gesundheitsbedingt vorliegt, korrekt erfolgt ist.
Dafür sind die medizinischen Akten zum Gesundheitszustand von Bedeutung, aber auch die Beweismittel und deren Inhalt bzgl. Haushaltsabklärung.
Ich hoffe, Ihnen dienen diese Grundlagen zur Prüfung des Vorgehens der IV, bzw. des entsprechenden Vorbescheides oder der Verfügung.
Prof. Peter Mösch Payot