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AUF Zeugnis aus dem Ausland gültig/Lohnfortzahlung gesichert?

Veröffentlicht:
13.02.2023
Kanton:
Bern
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Arbeitsrecht

Guten Tag

Gerne wende ich mich an dich bzgl. einer mir unklaren arbeitsrechtlichen Situation:

Ein ambulanter, 47jähriger Patient portugiesischer Herkunft mit Aufenthaltsstatus B und einer Festanstellung beim Velokurierdienst JustEat hat vor wenigen Tagen eine onkologische Diagnose erhalten, die eine grössere operative Versorgung mit vermutlich wochenlanger Krankschreibung nach sich zieht.

Der Patient überlegt sich, den Eingriff in seiner Heimat Portugal durchführen zu lassen, was einige Sozialversicherungsfragen aufwirft.

Mir ist bekannt, dass es je nach Arbeitgeber bzw. abgeschlossener Krankentagggeldversicherung unterschiedlich gehandhabt wird, ob AUF-Zeugnisse aus dem Ausland anerkannt werden oder nicht. Die Frage stellt sich mir nun, wie es sich mit der Lohnfortzahlung verhält und ob diese in jedem Fall arbeitsrechtlich abgesichert ist. Konkret ist mir unklar, ob ein Arztzeugnis des portugiesischen (und künftig behandelnden) Arztes hierbei ausreicht oder ob der Patient sich bei seinem bisherigen Schweizer Arzt ein Zeugnis ausstellen lassen soll?

Lass es mich ungeniert wissen, wenn meine Frage unpräzise formuliert ist und du mehr Informationen dazu brauchst.

Liebe Grüsse und herzlichen Dank im Voraus

Frage beantwortet am

Kurt Pärli

Expert*in Arbeitsrecht

Guten Tag

Bevor ich auf die aufgeworfenen Fragen eingehe, erlaube ich mir ein paar Vorbemerkungen.

Der Patient ist Portugiese und arbeitet für ein Unternehmen in der Schweiz in einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis. Anders als andere Lieferdienste, stellt JustEAT ihre Fahrer/innen arbeitsrechtlich korrekt an, es besteht also zwischen JustEAT und den Fahrern ein Arbeitsvertrag nach Art. 319 OR ff. Allerdings hat sich JustEAT bisher nicht bereit erklärt, dem GAV Velokuriere beizutreten.

Bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit schuldet die Arbeitgeberin nach Art. 324a OR für eine beschränkte Zeit den Lohn. Aufgrund der Angaben im Sachverhalt gehe ich davon aus, dass der Arbeitsvertrag vorsieht, dass JustEATS eine Kollektivkrankentaggeldversicherung abgeschlossen hat (Es ist davon auszugehen, dass es sich um eine Taggeldversicherung nach Versicherungsvertragsgesetz VVG handelt).

Bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit sind über dies die Sperrfristen nach Art. 336c OR zu beachten (je nach Anzahl der Dienstjahre zwischen 30 und 180 Tagen).

Die Ausrichtung des Taggelds einer Krankentaggeldversicherung nach VVG ist grundsätzlich unabhängig vom Bestand eines Arbeitsverhältnisses und wird in der Regel auch nach dessen Ende weiter ausgerichtet, soweit das versicherte Ereignis während der Dauer des Versicherungsschutzes eingetreten ist. Die Kollektivtaggeldversicherung kann aber im Versicherungsvertrag oder in ihren Allgemeinen Vertragsbestimmungen (AVB) den Leistungsanspruch über die Dauer des Versicherungsschutzes hinaus einschränken oder aufheben. Das bedeutet: Es sind die auf den konkreten Fall anwendbaren Versicherungsbedingungen zu prüfen um festzustellen, ob der Patient nach dem allfälligen Ende des Arbeitsverhältnisses weiterhin Anspruch auf Taggeldleistungen hätte.

Weiter können die Versicherungsbedingungen der Kollektivkrankentaggeldversicherer Einschränkungen oder Ausschlüsse bei Sachverhalten mit Auslandsbezug vorsehen. So kann der Versicherungsschutz auf Personen beschränkt werden, die in der Schweiz oder im Fürstentum Liechtenstein wohnen. Auch kommt es vor, dass die Bedingungen vorsehen, dass der Versicherungsschutz bei Verlegung des Wohnsitzes ins Ausland automatisch oder nach Ablauf einer gewissen Zeitspanne endet. Ebenfalls sehen die AVB regelmässig vor, dass ein Auslandaufenthalt von der Versicherung zu bewilligen ist.

Für die konkrete Beantwortung der aufgeworfenen Frage gilt auch hier: Es ist die Konsultation der Versicherungsbedingungen (AVB) des Vertrages zwischen JustEats und dem Versicherer notwendig.

Zu ergänzen ist jedoch: Da es sich vorliegend um einen portugiesischen Staatsangehörigen handelt, ist überdies das Freizügigkeitsabkommen (FZA) einschlägige. Dieses sieht vor, dass FZA-Staatsangehörige (also auch Portugiesen) nicht aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit diskriminiert werden dürfen. Sollten die AVB Bestimmungen enthalten, die die Ausrichtung des Krankentaggeldes an den Wohnsitz und /oder Aufenthalt in der Schweiz knüpfen, wäre eine Verletzung des FZA zu prüfen. Entsprechende bundesgerichtliche Rechtsprechung fehlt. Das Zürcher Sozialversicherungsgericht jedoch vor ein paar Jahren (Zürich, Sozialversicherungsgericht, KK.2013.00043 vom 07.12.2015) eine Verletzung des FZA wegen einer AVB-Bestimmung, die den Auslandaufenthalt bewilligungspflichtig machte, abgelehnt.

Falls sich der Patient in Portugal behandeln lassen will, stellt sich auch die Frage der Übernahme der Behandlungskosten durch die schweizerische Krankenversicherung. Auch zu diesen Fragen ist das FZA und der dazugehörende Anhang II (mit Verweis auf die entsprechenden EU-Verordnungen) einschlägig. Auf dieser Webseite finden sich grundlegende Hinweise zur krankenversicherungsrechtlichen Situation in Portugal: https://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=1021&langId=de&intPageId=1750 -

Zusammenfassend:

Sollte sich der Patient in Portugal behandeln lassen, ist die Kostenübernahmepflicht durch die Krankenpflegeversicherung zu klären.

Für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit ist die Arbeitgeberin im Rahmen von Art. 324a OR verpflichtet, den Lohn während beschränkter Zeit auszurichten. Vorliegend ist eine Kollektivkrankentaggeldversicherung vorhanden (vermutlich nach VVG). Für die Frage der Auswirkungen eines allfälligen Auslandaufenthaltes sind die auf den Vertrag zwischen JustEats und der Versicherung anwendbaren AVB zu beschaffen und zu analysieren.

Genügen diese Angaben? Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen

Kurt Pärli