Guten Tag
Ich begleite eine Person, welche im administrativen Umfeld einen Arbeitsversuch absolviert und dabei auf Grund der Verschlechterung des Sehens an ihre Grenzen stösst. Im Gespräch mit der Arbeitgeberin wurde ihr rückgemeldet, dass sie im Verhältnis zu langsam sei und ihre Leistung nicht den Erwartungen entspreche. Die Software am Arbeitsplatz lässt sich offenbar nicht gut für sehbehinderten spezifische Ansprüche einstellen, dies wurde abgeklärt. Ende September findet ein Gespräch mit der Arbeitgeberin statt, bei welchem besprochen wird, ob der Versuch in ein ordentliches Arbeitsverhältnis übergehen könnte.
Die Person sieht auf beiden Augen korrigiert 50% d.h. sie hat keinen Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung bzw. Assistenzbeitrag.
Nun zur Frage: Im Rahmen der Ersatzleistungen der IV könnte sie Anspruch auf Dienstleistungen Dritter beantragen. Ausser den Bestimmungen, dass die Vergütung an das monatliche Erwerbseinkommen gebunden ist, bzw. das anderthalbfache der ordentlichen Altersrente nicht übersteigen darf, habe ich keine weiteren gefunden.
Kann die Person mit dieser noch vorhanden Sehleistung überhaupt einen Antrag stellen? Es ginge ums Vorlesen und Überprüfen von Texten und um alles Schriftliche, was sich am Arbeitsplatz trotz vorhandenen Hilfsmitteln nicht vergrössern lässt.
Und wenn ja, könnte diese Dienstleistung sowohl von einem internen Mitarbeitenden als auch von einer externen Person übernommen werden, sofern die Arbeitgeberin einverstanden ist? Wäre bei einer externen Person ein Anstellungsvertrag analog Assistenzbeitrag nötig? Was müsste beim Antrag beachtet werden?
Vielen Dank für Ihren Bescheid und freundliche Grüsse
Bettina Prigge
Frage beantwortet am
Daniel Schilliger
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Liebe Bettina
Die «Vergütung von Dienstleistungen Dritter» gehört in die Kategorie Hilfsmittel der IV. Diese sind in der Verordnung des EDI über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Invalidenversicherung (HVI) näher geregelt. Gemäss Art. 9 der HVI ist der Anspruch unter anderem davon abhängig, dass damit ein anderes Hilfsmittel («anstelle eines Hilfsmittels») ersetzt wird. Zudem muss die Dienstleistung im Zusammenhang stehen mit der Überwindung des Arbeitsweges, Berufsausübung oder mit dem Erwerb besonderer Fähigkeiten, welche die Aufrechterhaltung des Kontakts mit der Umwelt ermöglichen, stehen. Schliesslich darf die monatliche Vergütung weder den Betrag des monatlichen Erwerbseinkommens noch den anderthalbfachen Mindestbetrag der ordentlichen Altersrente (also 1778.—) übersteigen.
Da Dienstleistungen Dritter anstelle eines Hilfsmittels zugesprochen werden, stellt sich zuerst die Frage, welches Hilfsmittel damit ersetzt wird. In Frage kommen die Hilfsmittel in Ziffer 13 der Hilfsmittelverordnung (13.01: Invaliditätsbedingte Arbeits- und Haushaltgeräte sowie Zusatzeinrichtungen, Zusatzgeräte und Anpassungen für die Bedienung von Apparaten und Maschinen). Die Dienstleistungen Dritter - also das Vorlesen von Texten - sind dann Ersatz für Lese- und Schreibsysteme am Arbeitsplatz (vgl. dazu z.B. Bger 9C_493/2009 E. 5.2.2.3).
Nach einem allgemein für Eingliederungsmassnahmen geltenden Grundsatz besteht Anspruch auf Hilfsmittel in der Regel nur soweit erforderlich und nur in einfacher und zweckmässiger, nicht aber in der nach den gegebenen Umständen bestmöglichen Ausführung (vgl. Art. 8 Abs. 1 IVG). Wenn bereits technische Hilfsmittel am Arbeitsplatz eingesetzt werden, stellt sich daher die Frage, ob diese nicht genügen bzw. ob die Dienstleistung Dritter daneben tatsächlich auch noch erforderlich ist. Die Antwort darauf ist von den konkreten Umständen abhängig.
Offen gelassen hat das Bundesgericht bisher die Frage, ob auch eine Kumulation möglich ist; also die Zusprache von technischen Hilfsmitteln und Dienstleistungen Dritter, wie das im vorliegenden Fall auch nötig wäre (BGer 9C_759/2007 E. 4.4; 9C_786/2007 E. 5.3). In der Literatur wird dies bejaht.
Nicht vergütet werden Arbeitsleistungen, die Dritte in Ausübung einer Erwerbstätigkeit anstelle des oder der Behinderten erbringen (Rz. 1035 des Kreisschreibens über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Invalidenversicherung [KHMI, BGE 96 V 84 E. 2 S. 84, BGE 112 V 11). Es soll sich also nicht um Tätigkeiten handeln, die die Drittperson anstelle der versicherten Person macht, z.B. Haushaltarbeit oder Büroarbeit.
Wenn eine Zusprache erfolgt, kann die Dienstleistung meines Erachtens gut durch eine Person erfolgen, die bereits im Betrieb angestellt ist. Man müsste einfach die Tätigkeitsbereiche organisatorisch und finanziell transparent trennen.
Gemäss Art. 42sexies IVG wird vom Assistenzbedarf die Zeit abgezogen, die den Beiträgen für Dienstleistungen Dritter nach Artikel 21ter Absatz 2 entspricht. Wer also bereits einen Assistenzbeitrag bezieht, profitiert unter Umständen nicht zusätzlich von den Dienstleistungen Dritter.
Zusammenfassend empfehle ich ein Gesuch bei der IV zu machen.
Freundlicher Gruss
Daniel Schilliger