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Art.420 ZGB: Definition faktische*r Lebenspartner*in

Veröffentlicht:
11.04.2024
Kanton:
Bern
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Kindes- und Erwachsenenschutz

Guten Tag

Gemäss Art. 420 ZGB kann die faktische Lebenspartnerin oder der faktische Lebenspartner von Pflichten einer Beistandschaft ganz oder teilweise entbunden werden.

Uns stellt sich nun die Frage, welche Arten von Beziehung unter faktische*r Lebenspartner*in verstanden werden. In unserem konkreten Fall geht es um zwei Frauen (Freundinnen), welche seit über zwanzig Jahren zusammenleben, mittlerweile zusammen in eine Alterswohnung im Altersheim gezogen sind und faktisch eine Beziehung führen ohne aber je eine Liebesbeziehung geführt zu haben.

Besten Dank. 
 

Frage beantwortet am

Karin Anderer

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Grüezi

Die Sonderstellung von Angehörigen im Sinne von Art. 420 ZGB «beruht auf einer allgemeinen gesellschaftlichen Wertung dieser Beziehung und berücksichtigt Artikel 8 EMRK über die Achtung des Privat- und Familienlebens» (BBL 2006, 7001, 7059); Art. 420 ZGB dient auch der Stärkung der Familiensolidarität und ist Ausdruck des Subsidiaritäts- und Verhältnismässigkeitsprinzips (vgl. BK-Häfeli, Art. 420 ZGB N 19 ff.).

Art. 420 ZGB lautet im Titel «Besondere Bestimmungen für Angehörige». Der darin enthaltene Begriff faktische Lebenspartnerschaft ist nicht definiert und in der Fachliteratur und den Materialien konnte ich keine Erläuterungen finden.

Im Zusammenhang mit der Revision des Erwachsenenschutzes «Einbezug nahestehender Personen» (vgl. zum Ganzen das Dossier Kindes- und Erwachsenenschutzrecht auf <https://www.bj.admin.ch/bj/de/home/gesellschaft/gesetzgebung/kesr.html>) wird Folgendes festgehalten: «Der Begriff der Angehörigen beinhaltet eine formale Beziehung zur betroffenen Person, wobei dessen Konturen nicht scharf abgegrenzt sind. Gemeint sind in der Regel Familienangehörige: So umfasst gemäss Artikel 420 ZGB der in der Marginalie verwendeten Begriff der Angehörigen abschliessend die Ehegattin oder den Ehegatten, die eingetragene Partnerin oder den eingetragenen Partner, die Eltern, die Nachkommen, die Geschwister aber auch die faktische Lebenspartnerin oder den faktischen Lebenspartner. Allerdings kennt die Rechtsordnung auch davon abweichende Umschreibungen, so etwa in Artikel 268a quater Absatz 1 ZGB oder Artikel 110 Absatz 1 StGB. Die Vielfalt der Begriffsverwendung macht deutlich, dass es keinen allgemeinen Begriff der Angehörigen gibt. Dieser ist auch sprachlich unscharf, er muss im konkreten Kontext bestimmt werden» (vgl. Änderung des Zivilgesetzbuches (Erwachsenenschutz), Erläuternder Bericht zur Eröffnung des Vernehmlassungsverfahrens, Bern, 22. Februar 2023, S. 38 f., abrufbar auf <https://www.bj.admin.ch/dam/bj/de/data/gesellschaft/gesetzgebung/kesr/vn-ber.pdf.download.pdf/vn-ber-d.pdf>).

In Art. 378 ZGB ist die gesetzliche Vertretung bei medizinischen Massnahmen geregelt. Nach Art. 378 Abs. 1 Ziff. 4 ZGB ist die Person, die mit der urteilsunfähigen Person einen gemeinsamen Haushalt führt und ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet, vertretungsberechtigt. Erfasst werden nicht eheliche Partnerschaften und Verantwortungsgemeinschaften ohne eigentliche Beziehungskomponente (BBl 2006, 7001, 7037). Faktische Lebenspartner*innen sind somit im Bereich der medizinischen Angelegenheiten vertretungsberechtigt.

Art. 420 ZGB soll revidiert werden, die Vernehmlassung betreffend den «Einbezug nahestehender Personen» ist in der Auswertung (vgl. zum Ganzen das Dossier Kindes- und Erwachsenenschutzrecht auf <https://www.bj.admin.ch/bj/de/home/gesellschaft/gesetzgebung/kesr.html>). Neu sollen «nahestehende Personen» von den Erleichterungen des Art. 420 ZGB profitieren (vgl. ebd., 39 ff.). Auch soll das Vertretungsrecht nach Art. 374 ZGB auf die faktische Lebenspartnerschaft ausgeweitet werden, auf eine Definition wird aber bewusst verzichtet (ebd., S. 57).

Orientiert man sich am Sinn und Zweck von Art. 420 ZGB, vergleicht man die Vertretungsregelung des Art. 378 ZGB und berücksichtigt die beabsichtigte Revision von Art. 420 ZGB, die «nahestehende Personen» noch besser einbeziehen möchte, kann m.E. der Begriff «faktische Lebenspartnerschaft» analog nach Art. 378 Abs. 1 Ziff. 4 ZGB ausgelegt werden: darunter fallen nicht eheliche Partnerschaften und Verantwortungsgemeinschaften ohne eigentliche Beziehungskomponente.

Ob die Voraussetzungen für die Erleichterungen des Art. 420 ZGB im Einzelfall erfüllt sind, ist damit selbstredend noch nicht beantwortet.

Ich hoffe, die Angaben sind hilfreich und ich grüsse Sie freundlich.

Luzern, 12.4.2024

Karin Anderer