Welche Gründe sind als "triftig" zu bewerten, um von einer Auflage Abzusehen?
Konkret bezieht der Betroffene seit Juni 2021 materielle Hilfe einer aargauer Gemeinde. Die Wohnkosten übersteigen den von der Gemeinde zu übernehmenden Betrag.
Gemäss SH-Entscheid wird der Mietzins bis Ende März 2022 so im SH-Budget übernommen mit der Auflage, per April 2022 eine Kürzung der Leistungen vorzunehmen, sollte die Wohnungsmiete bis dahin nicht tiefer ausfallen.
Der Betroffene ist seit Juli 2021 100% krank geschrieben, und musste sich im August 2021 einen Oberschenkeltumor entfernen lassen. Daraufhin fehlte eine Verbesserung des gesundheitlichen Zustandes und es traten weiteren Beschwerden hinzu, insbesondere im Rücken und es erfolgte vor ein paar Tagen eine weitere Operation am Rücken.
Aus meiner Sicht handelt es sich hierbei um einen "triftigen Grund" für die Nichterfüllung der Auflage und die Gemeinde sollte daher weiterhin verpflichtet sein, die aktuellen Wohnkosten in ihrem Budget aufzunehmen.
Wie ist Ihre Einschätzung?
Ich bedanke mich herzlich für eine Stellungnahme.
Frage beantwortet am
Ruth Schnyder
Expert*in Sozialhilferecht
Guten Tag Frau Strässler
Gerne beantworte ich Ihre Anfrage. Die von Ihnen genannte Bestimmung Art. 13a SPG / AG ist im vorliegenden Fall massgebend. Es sind dabei zwei Zeitpunkte zu unterscheiden: Der Zeitpunkt der Anordnung und der Zeitpunkt der Nichtbefolgung der angeordneten Auflage. Bevor die Gemeinde die Auflage erlässt, muss sie bereits prüfen, ob diese zumutbar ist. Sie erwähnen, dass die gesundheitlichen Beschwerden bereits einen Monat nach Unterstützungsbeginn zu einer vollen Arbeitsunfähigkeit geführt haben. Es stellt sich daher die Frage, ob sie die Auflage bereits damals hätte erlassen werden dürfen. Denn der Gesundheitszustand ist ein Grund, den die Gemeinde bei der Zumutbarkeitsprüfung beachten muss. Dies ergibt sich aus Art. 15b Abs. 3 SPV / AG, aber auch aus dem Sozialhilfehandbuch Ziff. 12, letztlich auch aus den SKOS-RL (Stand 2017), die für den Kanton Aargau verbindlich sind. Spätestens aber jetzt, wo es um die Frage der Reduktion des Mietbeitrages geht, muss die Gemeinde die Frage der Zumutbarkeit unter dem Aspekt des triftigen Grundes prüfen. Gesundheitliche Aspekte, die gegen einen Umzug sprechen, sind von der Gemeinde vertieft abzuklären und im Einzelfall als Anlass zu nehmen, die Reduktion auszusetzen – zumindest bis eine Besserung zu erwarten ist. Ich rate Ihnen, der Gemeinde ein entsprechendes Arztzeugnis zu unterbreiten, wonach aufgrund des Gesundheitszustands ein Umzug aktuell und bis auf weiteres nicht zumutbar ist. Die Gemeinde darf sodann weitere Abklärungen treffen, falls sie dies für angezeigt hält. Sie darf dieses Arztzeugnis aber nicht unbeachtet lassen. Dies gilt meiner Meinung nach auch für ein allgemeines Arztzeugnis, wenn der Klient die Hintergründe (wie von Ihnen dargelegt) dazu ausführt und sich darauf beruft, nicht umziehen zu können. Falls die Gemeinde sich auf die rechtskräftig verfügte Auflage beruft, ist dies nicht relevant. Denn nach Rechtsprechung handelt es sich dabei um eine Zwischenverfügung, die bei der effektiven Anordnung der Reduktion nochmals von Grund auf überprüft werden muss. Hält die Gemeinde an der Reduktion des Mietzinsbeitrages fest, muss sie dies jedenfalls auf dem Weg einer Verfügung tun, die der Klient dann anfechten kann.
Ich hoffe, Ihnen damit Ihre Frage beantwortet zu haben.
Freundliche Grüsse
Ruth Schnyder