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Arbeitsverbot nach Gerichtsurteil / Schutz der Bewohnenden

Veröffentlicht:
07.03.2023
Kanton:
Solothurn
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Arbeitsrecht

Vor 2 Jahren wurde einer unserer Fachmittarbeitenden vor Gericht verurteilt. Es ging dabei um mehrfache sexuelle Handlungen mit Personen welche sich schutzbedürftig in unserer Institution aufhielten.

Das Gericht erteile der Fachperson ein 10 Jähriges Berufsverbot. Wir haben nun bemerket, dass der fehlbare Mitarbeiter in einem anderen Kanton seine Dienste Online wieder bewirbt. Diesbezüglich lassen wir uns vom Gericht beraten, welches das Arbeitsverbot ausgesprochen hat. Oder sehen sie hier einen anderen Weg? – Wer kümmert sich um das nicht eingehaltene Berufsverbot?

 

Wir sind eine Institution in der Menschen Leben und Arbeiten, welche kognitiv und oder körperlich eingeschränkten sind. Die Urteilsfähigkeit der einzelnen Menschen mit einer Beeinträchtigung, bezogen auf sexuellen Handlungen, ist nicht immer zweifelsfrei beurteilbar. Klar ist, solange eine Fachperson hier angestellt ist, sind solche Beziehungen ausgeschlossen. Wie verhält es sich nun, wenn sich ehemalige Fachpersonen mit den betreuten Personen, die noch in unserer Institution leben, in Verbindung setzen? Es sind aktuell eher Verdachtsmomente, wir wissen nicht zweifelsfrei was die Personen mit dem ehemaligen und rechtskräftig verurteilen Mitarbeitenden schreiben, ob es zu Treffen kommt. Das Gerichtsurteil hat sich nicht über Kontakte nach der Auflösung des Arbeitsverhältnisses geäussert.

 

Im internen Konzept findet sich bei uns folgende Klausel;

"1.4. Verschwiegenheit

Der Mitarbeitende verpflichtet sich, über vertrauliche und geschäftliche Vorgänge, sowie über persönliche Verhältnisse der Mitarbeitenden mit Beeinträchtigung Stillschweigen zu bewahren. Diese Geheimhaltungspflicht gilt auch nach der Auflösung des Arbeitsverhältnisses."

 

Als vor zwei Jahren dieser Vorfall gerichtlich beurteilt wurde, hat unsere Institution den fehlbaren Mitarbeitenden mehrfach via Schreiben aufgefordert, Kontaktaufnahmen zu bewohnenden zukünftig zu unterlassen.

 

Nun wissen wir zwar, dass er sich nicht daran hält. Wir wissen aber keine Einzelheiten. Es haben sich auch keine Bewohnende beschwert, diese möchten auch nicht, dass wir als Institution mehr Wissen über die Kontakte haben.

Wie könnten wir die verurteilte Fachperson konkret rechtlich belangen? Wie können wir unsere Menschen mit Beeinträchtigung schützen? Auch wenn diese uns nicht mehr Auskunft geben möchten, damit der fehlbare verurteilte Mitarbeiter geschützt bleibt.

Frage beantwortet am

Kurt Pärli

Expert*in Arbeitsrecht

Guten Tag

Vielen Dank für diese spannende aber auch schwierig zu beantwortende Frage.

Für die Beantwortung der Frage versuche ich als erstes, die verschiedenen Rechtsverhältnisse auseinander zu halten und gestützt darauf dann je die relevanten Fragen zu beantworten.

1. Strafrechtliche Ebene

Ihr ehemaliger Mitarbeiter wurde strafrechtlich verurteilt, ich nehme an gestützt auf Art. 188 StGB (sexuelle Handlungen mit Abhängigen). Zudem erwähnen Sie ein zehnjähriges Berufsverbot, hier gehe ich davon aus, dass ein zehnjähriges Tätigkeitsverbot (nicht nur ein Berufsverbot) auf der Grundlage von Art. 67 StGB ausgesprochen wurde.

Gemäss Ihren Schilderungen wurde nicht zusätzlich noch ein Rayonverbot ausgesprochen (dies wäre nach Art. 67b StGB) möglich.

 

2. Rechtsverhältnis zwischen Ihrer Institution und dem ehemaligen Mitarbeiter

Ich gehe davon aus, dass das Arbeitsverhältnis mit X. nach oder im Zusammenhang mit der Verurteilung aufgelöst wurde. Damit enden die gegenseitigen Rechte und Pflichten, d.h. sie als Arbeitgeber haben keine Fürsorgepflicht mehr gegenüber X und dieser wiederum hat der Institution gegenüber auch keine Treuepflicht mehr. Zu beachten ist immerhin die Verschwiegenheitsklausel, die (auch) X verpflichtet. Soweit nach Sachverhalt erkennbar, verstösst ihr ehemaliger Mitarbeiter jedoch nicht gegen diese Verschwiegenheitsklausel. Wenn ihr ehemaliger Mitarbeiter mit ihren Bewohner:innen Kontakt aufnimmt, ist dies kein Verstoss gegen die Verschwiegenheitsklausel (allenfalls ist es aus anderen Gründen nicht zulässig, dazu mehr später).

Sie erwähnen, es bestehen nur, aber immerhin, Verdachtsmomente, dass ihr ex-Mitarbeiter mit Bewohner:innen Kontakt hat. Wenn Sie diesen Verdacht gegenüber Dritten äussern, ist das für Sie (als Institution aber auch für die handelnden Personen) nicht ohne Risiken. Ihr ehemaliger Mitarbeiter könnte eine Strafanzeige wegen Verleumdung einreichen (Art. 194 StGB). Auch zivilrechtlich könnte der Ex-Mitarbeiter Massnahmen ergreifen (Klagen wegen Verletzung des Datenschutzgesetzes, Persönlichkeitsverletzung). Die Grundlagen solchen Klagen wären nicht vertraglicher, sondern ausservertraglicher Natur.

Sie erwähnen auch, dass sie mit dem Gericht, das die Strafe ausgesprochen hat, in Kontakt stehen. Dies ist meines Erachtens zulässig, soweit es um die von Ihnen geschilderten Sachverhalte (Anbieten im Internet) geht. Heikel ist es, wenn Sie das Gericht mit ihrem Verdacht, der ex-Mitarbeiter habe Kontakte zu ihren Bewohner:innen konfrontieren. Auch hier riskieren Sie Klagen (siehe oben).

Sie erkennen richtig, dass Sie als Institution eine besondere Schutzpflicht gegenüber den zu betreuenden Personen haben. Nachfolgend werfe ich jetzt einen Blick auf dieses Rechtsverhältnis.

3. Rechtsverhältnis Institution zu den Bewohner:innen

In ihren Beschreibungen fehlen Angaben über die Finanzierung (Leistungsvertrag mit dem Kanton?), die vertraglichen Grundlagen des Aufenthaltes (Betreuungs- und Beherbungsvertrag)  und über den zivilrechtlichen Status (Beistandschaft? Welche?) ihrer Bewohner:innen.

Klar ist, dass Sie gegenüber den Bewohner:innen eine Fürsorgepflicht haben, d.h. dafür sorgen müssen, dass diese nicht in ihrer persönlichen (inkl. sexuellen) Integrität verletzt werden. Gleichzeitig müssen Sie die Autonomie der Bewohner:innen respektieren, soweit die Urteilsfähigkeit im konkreten Fall gegeben ist. Dieses Spannungsfeld "Fürsorge-Autonomie" betrifft auch die Frage, ob und mit wem ihre Bewohner:innen Beziehungen (auch sexueller Art) pflegen. Dabei gilt es zu unterscheiden, zwischen Kontakten, die inner- oder ausserhalb ihrer Institution stattfinden. Innerhalb ihrer Institution können Sie ihrem ehemaligen Mitarbeiter gestützt auf ihr Hausrecht den Zutritt verweigern. Ausserhalb ihrer Institution haben Sie gegenüber ihrem Mitarbeiter keine solche Weisungsbefugnis. Ihren Bewohner:innen gegenüber können sie nicht verbieten, mit wem sich diese ausserhalb ihrer Institution treffen.

Wenn Sie den Eindruck haben, dass sich ihre Bewohner:innen durch die "Aktivitäten" ihres ehemaligen Mitarbeiters der Gefahr einer Integritätsverletzung aussetzen und sich nicht dagegen wehren können, ist die KESB zu involvieren bzw. zu informieren, falls dies schon involviert ist.

Zudem muss ihre Institution, was wohl ohnehin schon gemacht wird, die im Raum stehenden Themen regelmässig mit den Bewohner:innen besprechen und dabei ggf. auch spezifisches Know How extern holen.

 

Ich hoffe, Ihnen mit diesen Überlegungen weiterhelfen zu können. Bei Rückfragen stehe ich Ihnen gerne weiterhin zur Verfügung.

Kurt Pärli