Guten Tag
Ich habe heute folgende Anfrage einer Klientin erhalten:
Sie hat ihre aktuelle Stelle per 31.10.2021 gekündigt, wird im Oktober jedoch nicht mehr arbeiten aufgrund eines Dienstleistungsgeschenks in Form von Ferien sowie einigen Tagen Gleitzeit (die gesetzlich vorgegebenen Ferientage sind alle aufgebraucht). Sie möchte jedoch die Stelle per 18.10.2021 antreten (sie ist bis 31.10.2021 beim früheren Arbeitgeber 60% angestellt und wird beim neuen Arbeitgeber ebenfalls 60% tätig sein).
Gemäss ihrem neuen Arbeitgeber sei es möglich, doppelt angestellt zu sein, solange sie am vorherigen Ort nicht mehr im Einsatz sei oder sich in "regulären Ferien" befände.
Ihr ist es wichtig, dass ihr Vorgehen den rechtlichen Vorgaben entspricht.
Kann sie bedenkenlos die neue Stelle beginnen?
Besten Dank für Ihre Antwort.
Freundliche Grüsse
Fiona von Allmen, Movis AG
fiona.vonallmen@movis.ch
Frage beantwortet am
Andreas Petrik
Expert*in Arbeitsrecht
Guten Tag
Tatsächlich kann Ihre Klientin ohne Bedenken Ihre neue Stelle per 18. Oktober 2021 antreten. Die Risiken (siehe unten) sind eher theoretischer Natur. Eine Möglichkeit wäre es, den bisherigen Arbeitgeber über den Antritt der neuen Stelle zu informieren.
Aus rechtlicher Sicht stellen sich einige Fragen. Jede Arbeitnehmerin ist von Gesetzes wegen verpflichtet, die Interessen der Arbeitgeberin zu wahren. Diese sogenannte Treuepflicht dauert bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses, in Ihrem Fall also bis Ende Oktober. Die Treuepflicht umfasst verschiedenen Aspekte. Unter anderem darf die Arbeitnehmerin ihre Arbeitgeberin nicht konkurrenzieren, auch darf während der Arbeitszeit, der Ferien oder bei Arbeitsunfähigkeit keine Arbeitsleistung für einen Dritten erbracht werden.
Die Tätigkeit für einen Dritten während des Arbeitsverhältnisses ist nur dann untersagt, wenn diese eine Verletzung der Treuepflicht darstellt. Der wichtigste Anwendungsfall ist die Konkurrenzierung. Eine solche liegt vor, wenn gleichartige Leistungen angeboten werden, die dasselbe Kundenbedürfnis befriedigen und sich der Kundenkreis zumindest teilweise überschneidet. Ob dies der Fall ist, muss anhand der konkreten Umstände geprüft werden. Im Arbeitsvertrag kann überdies festgehalten sein, dass Nebenbeschäftigungen melde- oder bewilligungspflichtig sind. Auch diese Abrede wäre zu berücksichtigen.
Stellt die Tätigkeit für den neuen Arbeitgeber eine Verletzung der Treuepflicht dar, kommen als mögliche Sanktionen die fristlose Kündigung oder die Forderung von Schadenersatz in Frage. Eine Kürzung der Lohnzahlung fällt jedoch ausser Betracht.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Treuepflicht bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses (Ende Oktober) besteht und die Tätigkeit für die neue Arbeitgeberin während dieser Zeit unzulässig ist, wenn damit die Treuepflicht verletzt wird. Eine Verletzung der Treuepflicht ist praktisch nur denkbar, wenn die alte und die neue Arbeitgeberin in einem Konkurrenzverhältnis stehen. Liegt eine solches nicht vor, ist der Arbeitsantritt am 18. Oktober 2021 kaum mit Risiken verbunden. Wenn Ihre Klientin auch diese marginalen Risiken aus der Welt schaffen möchte, empfehle ich, das Einverständnis des bisherigen Arbeitgebers einzuholen.
Ich hoffe, dass Ihnen meine Ausführungen weiterhelfen.
Freundliche Grüsse
Andreas Petrik