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Arbeitsauftrag trotz Arbeitsunfähigkeit?

Veröffentlicht:
31.08.2020
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Arbeitsrecht

Guten Tag

Eine Patientin arbeitet seit 4 Jahren bei einem rel. jungen Unternehmen, welches seit 7 Jahren existiert.
Seit der Coronapandemie erlebt das Unternehmen einen regelrechten Boom. Die Patientin war im Unternehmen für diverse Abläufe verantwortlich. Sie arbeitete eigentlich im Backoffice, war aber vermehrt auch in der Logistik körperlich tätig, dann zusätzlich auch mit finanziellen Fragen konfrontiert und zum Schluss ein Bindeglied zwischen Logistik, Administration und Buchhaltung. Sie übernahm dabei immer mehr Aufgaben, für welche sie eigentlich gar nicht zuständig war. Sie hat sich so sehr viel Wissen über Abläufe angeeignet, die Prozesse wurde aber nirgendwo festgehalten. Es fehlt an der nötigen Struktur im Unternehmen, womit vieles informell passiert. Die Leitung hat schon mehrmals gewechselt. 
Durch den Wegfall von ihr muss sich das (rel. kleine) Unternehmen (ca. 15 Mitarbeitende, aber globale Abläufe und Fabrikationsstätten im Ausland) nun anders organisieren.
Frage: Kann der Arbeitgeber bei einer vollen Arbeitsunfähigkeit von ihr verlangen, die Prozesse / ihre Arbeitsabläufe nieder zu schreiben resp. festzuhalten, damit die Mitarbeitenden vor Ort wissen, was sie alles beachten müssen?

Vielen Dank für Ihre Einschätzung und freundliche Grüsse

Frage beantwortet am

Kurt Pärli

Expert*in Arbeitsrecht

Sehr geehrter Herr Bertschinger

Gerne beantworte ich Ihre Frage wie folgt: Grundsätzlich ist der Fall, wer durch eine Ärztin oder einen Arzt als arbeitsunfähig eingeschätzt wird, ist nicht verpflichtet, zu arbeiten. Wenn die Arbeitgeberin das von der Arbeitnehmerin beigebrachte Arztzeugnis in Zweifel zieht, kann sie eine vertrauensärztliche Untersuchung (zu Ihren Lasten) verlangen. Nun gehe ich davon aus, dass im vorliegenden Fall das Arztzeugnis nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird. Vielmehr wird von Ihrer Klientin verlangt, dass sie während und trotz der Arbeitsunfähigkeit sich noch bereit erklärt, für den Arbeitgeberin tätig zu sein. Die Zulässigkeit einer solchen Anordnung ist fraglich. Entscheidend ist der Gesundheitszustand. Wenn das, was die Arbeitgeberin von der ARbeitnehmerin verlangt, der Genesung nicht abträglich ist, dann ist die Arbeitnehmerin im Rahmen ihrer Treuepflicht gehalten, ihr Wissen über die Abläufe usw. festzuhalten. Wenn jedoch die gesundheitliche Situation auch dies nicht zulässt, besteht keine solche Verpflichtung. Kurz und gut: Ich empfehle Ihrer Klientin, die Angelegenheit mit ihrem Arzt oder ihrer Ärtzin zu besprechen und ggf. das Arztzeugnis noch präziser ausstellen zu lassen (z.B. Hinweis, dass die Patientin absolute Schonung bedarf). Zu beachten ist, dass bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit von der ARbeitgeberin Lohnfortzahlung oder allenfalls Taggelder geschuldet sind. Wird jedoch gearbeitet, und sei es auch während der Phase der eigentlichen Arbeitsunfähigkeit, dann schuldet die Arbeitgeberin für diese Zeitspanne Lohn (und nicht Lohnersatz).

Genügen Ihnen diese Auskünfte?

Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen

Kurt Pärli