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Arbeits- bzw. Ruhezeiten bei Schichtarbeit

Veröffentlicht:
23.05.2024
Kanton:
Graubünden
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Arbeitsrecht

Wir haben einen 7/7; 24h-Betrieb mit einem Tag- und einen Nachtdienst. Der Nachtdienst schläft vor Ort und ist auf Abruf, falls ein Telefon kommt in der Nacht (24h Telefon) oder eine Klientin etwas braucht.

Eine Mitarbeiterin wird nun sowohl im Tag- als auch im Nachtdienst arbeiten. Sie würde gerne einen Nachmittag (4.5h), eine anschliessende Nachtschicht (12h) und den darauffolgenden Tag (8.5h) am Stück arbeiten.

Was sind die gesetzlichen Regelungen betreffend maximaler Arbeitszeit / Ruhezeit für ein Heim? Sie ist ausgebildete FaBe. Gelten dann andere Regelungen?

Frage beantwortet am

Kurt Pärli

Expert*in Arbeitsrecht

Guten Tag

Gerne beantworte ich Ihre Fragen. Vorab sind ein paar allgemeine Ausführungen zum Geltungsbereich des Arbeitsgesetzes (ArG) erforderlich, danach wird von der Prämisse ausgegangen, dass das ArG auf den Betrieb und in der konkreten Situation anwendbar ist.

I) Zum Geltungsbereich des ArG

1. Allgemeines

Das Arbeitsgesetz (ArG) enthält Bestimmungen zur Arbeits- und Ruhezeit, zur Nacht- und Sonntagsarbeit sowie zum Gesundheitsschutz. Das ArG regelt "nur" die Gestaltung der Arbeits- und Ruhezeit. Die übrigen Inhalte des Arbeitsvertrages werden im Obligationenrecht (OR)[1] und im Rahmen des Zulässigen durch Vertrag festgelegt.

Grundsätzlich unterstehende alle Betriebe – unabhängig von ihrer Rechtsform – den Vorschriften dieses Gesetzes (Art. 1 ArG). Allerdings finden sich auf Gesetzes- und Verordnungsstufe zahlreiche Ausnahmen vom betrieblichen (siehe Art. 2 ArG)  und persönlichen Geltungsbereich (siehe Art. 3 ArG). Auf Stufe Wegleitungen konkretisiert das Seco die einschlägigen Bestimmungen.[2]

Für die vom persönlichen Anwendungsbereich ausgenommene Personen ist zu beachten, dass die Gesundheitsvorschriften des ArG dennoch Gültigkeit haben. Das betrifft insbesondere, Art. 6 ArG (Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmenden), Art. 35 ArG (Schutz der schwangeren Frauen und stillenden Mütter) und Art. 36a (Verbot beschwerlicher oder gefährlicher Arbeit für bestimmte Kategorien von Mitarbeitenden) und insbesondere auch die Verordnung 3[3] zum ArG.

Zu ergänzen ist, dass Institutionen, die während 7 Tagen 24 Stunden Betreuung anbieten, gestützt auf Art 16 der Verordnung 2 zum Arbeitsgesetz (ArGV 2) verschiedene Erleichterungen gelten. Namentlich ist keine Bewilligungspflicht für Nacht- und Sonntagsarbeit erforderlich und zudem besteht die Möglichkeit der Verkürzung der täglichen Ruhezeit.

2. Ausnahmen vom betrieblichen Geltungsbereich

In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob Ihr Heim unter die Ausnahmen vom betrieblichen Geltungsbereich fällt.

Ausgenommen vom betrieblichen Geltungsbereich des ArG sind nach Art. 2 Abs. 1 lit. a unter Vorbehalt von Art. 2 Abs. 2 Betriebe des Bundes, der Kantone oder der Gemeinden.

Dem ArG unterstellt sind öffentlich-rechtliche Anstalten mit eigener Rechtspersönlichkeit. Auf öffentlich-rechtliche Anstalten ohne Rechtspersönlichkeit sowie Körperschaften des öffentlichen Rechts sind die Arbeits- und Ruhezeitvorschriften des ArG nicht anwendbar; dies aber nur, wenn die Mehrzahl der in diesen Institutionen beschäftigten Arbeitnehmenden in einem öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnis sehen (Art. 7 Abs. 1 ArGV 1).

Soweit es sich bei Ihrem Heim nicht um eine kantonale oder kommunale Institution oder eine öffentllich-rechtliche Anstalt ohne eigene Rechtspersönlichkeit handelt, ist das ArG anwendbar.

2.Ausnahmen vom persönlichen Geltungsbereich

Das ArG sieht verschiedene Ausnahmen vom persönlichen Geltungsbereich vor. Eine umfassendere Klärung erfordert Art. 3 lit. e ArG. Diese Bestimmung hält fest, dass das ArG auf "Lehrer an Privatschulen sowie auf Lehrer, Fürsorger, Erzieher und Aufseher in Anstalten" nicht anwendbar ist. Zwei Fragen sind zu prüfen: Wer gilt "Fürsorger" oder "Erzieher" und was ist unter "Anstalt" zu verstehen.

Wichtig ist, dass die beiden Begrifflichkeiten "Fürsorger/Erzieher)" und "Anstalt" im Zusammenwirken verstanden werden. Nur "Fürsorger und Erzieher" sind vom Anwendungsbereich des Arbeitsgesetzes ausgenommen, die in einer "Anstalt" arbeiten.

Als "Anstalt" im Sinne von Art. 3 lit. e ArG sind Institutionen zu verstehen, in denen Kinder oder Erwachsene dauernd oder längere Zeit untergebracht sind und in denen eine 24 Stunden-Betreuung erforderlich ist.[4] Dieser Anstaltsbegriff trifft typischerweise auch auf "Heime" aller Art zu.

Nur in solchen Institutionen, typischerweise Justiz-Vollzugsanstalten oder Heime mit sozialpädagogischem Auftrag, sind "Fürsorger und Erzieher" unter bestimmten Voraussetzungen nicht vom persönlichen Anwendungsbereich des Arbeitsgesetzes erfasst. Zu diesen Voraussetzungen gehören nach Art. 12 Abs. 2 und 3 ArGV1 eine erkannte Fachausbildung im sozialpädagogischen Bereich oder eine gleichwertige Aus- und Weiterbildung. Nach der Seco-Wegleitung liegt eine gleichwertige Aus- und Weiterbildung vor, wenn eine Grundausbildung (Lehre im sozialen Bereich oder Matura) vorliegt und eine sechsmonatige Einführungszeit unter Anleitung einer diplomierten Fachperson. Zudem müssen die hier in Frage stehenden Personen an einer Weiterbildung, die mindestens ein bis drei Tage pro Jahr dauert, teilnehmen. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, so gelten die die betreffenden Personen die Bestimmungen des ArG auch in "Anstalten".

Nach den bisherigen Ausführungen sind zwei Schlussfolgerungen denkbar: Falls Ihr Heim als "Anstalt" im Sinne von Art. 3 lit. e ArG zu bezeichnen ist, so gilt das Arbeitsgesetz nur für diejenigen Personen, die nicht als "Erzieher" oder "Fürsorger" gelten. Ist der Anstaltsbegriff indes nicht erfüllt, dann gilt das Arbeitsgesetz für sämtliche Angestellte.

II) Die Ruhezeitvorschriften des ArG und der Verordnungen

Das ArG regelt die maximale Arbeitszeit, die Nacht- und Sonntagsarbeit, Pausen und Ruhezeiten.

Die maximale wöchentliche Arbeitszeit beträgt (für Institutionen wie Ihr Heim) 50 Stunden pro Woche (Art. 9 Abs. 1 lit. b ArG).

Die Arbeit ist durch Pausen zu unterbrechen (Art. 15 ArG); 15 Minuten bei einer täglichen Arbeitszeit von mehr von fünfeinhalb Stunden, 30 Minuten bei einer täglichen Arbeitszeit von mehr als sieben Stunden und 60 Minuten bei einer täglichen Arbeitszeit von mehr als neun Stunden.

Art. 15a ArG verlangt eine tägliche Ruhezeit von mindestens elf aufeinanderfolgenden Stunden (optional: Herabsetzung auf bis acht Stunden, wenn die Dauer von elf Stunden im Durchschnitt von zwei Wochen eingehalten wird, siehe Art. 19 Verordnung 1 zum ArG). Einschlägig ist weiter Art. 17a ArG. Gemäss dieser Bestimmung darf bei Nachtarbeit die tägliche Arbeitszeit neun Stunden nicht überschreiten.

Die Zeitspanne der Tages- und Abendarbeit beinhaltet 17 Stunden. Sie beginnt um 6 Uhr und dauert bis 23 Uhr (ab dann ist Nacharbeit). Diese Zeitspanne kann zwischen 5 Uhr und 24 Uhr bis um eine Stunde anders festgelegt werden, sofern die Mehrheit der betroffenen Arbeitnehmer dem zustimmt (d.h. 5 - 22 Uhr oder 7 - 24 Uhr). Die betriebliche Tages- und Abendarbeit beträgt auch in diesem Falle höchstens 17 Stunden (Art. 10 Abs. 1 und 2 ArG).

Für Heime und Internate (Art. 27 ArG) geltenden verschiedene Erleichterungen:

    • Art. 4 ArGV 2: Befreiung von der Bewilligungspflicht für Nacht- und Sonntagsarbeit,
    • Art. 7 Abs. 2 ArGV 2: Möglichkeit der Beschäftigung von einzelnen Arbeitnehmenden während sieben aufeinanderfolgenden Tagen (unter den Voraussetzungen der lit. a – c),
    • Art. 8 Abs. 1 ArGV 2: Zulässige Überzeitarbeit am Sonntag,
    • Art. 9 ArGV 2: Verkürzung der täglichen Ruhezeit auf 9 Stunden (sofern sie im Durschnitt von zwei Wochen 12 Stunden beträgt),
    • Art. 10 Abs. 2 ArGV 2: Zulässigkeit der Nachtarbeit von 12 Stunden unter bestimmten Voraussetzungen
    • Art. 12 Abs. 2 ArGV 2: Mindestanzahl an freien Sonntagen (18) pro Kalenderjahr,

Art. 14 Abs. 1 ArGV 2: Regelung zum wöchentlichen freien Halbtag

III) Zusammenfassende Beantwortung der Fragen

Sie fragen nun an, ob eine Mitarbeiterin einen Nachmittag (4.5h), eine anschliessende Nachtschicht (12h) und den darauffolgenden Tag (8.5h) am Stück arbeiten darf.

Ich nehme an, die Mitarbeiterin beginnt um 14 30 mit der Arbeit (4.5 Std. bis 19 00 Nachmittagsschicht), die Nachtschicht dauert von 19 00 bis 07 Uhr des nächsten Tages (12 Std.) und anschliessend arbeitet die Mitarbeiterin bis 15 30 (8.5 Std.). Insgesamt arbeitet die Mitarbeiterin somit 25 Std. ohne Unterbruch, am ersten Tag sind es 9.5 Std, am zweiten Tag 15.5 Stunden. Damit kann die minimale tägliche Ruhezeit von 8 Stunden (siehe oben) gerade knapp eingehalten werden. Zu beachten ist aber, dass Art. 15a ArG verlangt eine tägliche Ruhezeit von mindestens elf aufeinanderfolgenden Stunden (optional: Herabsetzung auf bis acht Stunden, wenn die Dauer von elf Stunden im Durchschnitt von zwei Wochen eingehalten wird, siehe Art. 15a Abs. 1 und 2 ArG.

Die  Seco-Wegleitung hält zu dieser Bestimmung fest: Eine Abweichung gemäss Absatz 2 kann in bestimmten Schichtsystemen beim Schichtwechsel oder in anderen besonderen Situationen nötig sein. Die Ruhezeit für erwachsene Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen kann höchstens einmal in der Woche verkürzt werden. Sie muss dann aber trotzdem mindestens acht Stunden betragen. Eine mehrmalige Verkürzung der täglichen Ruhezeit in der gleichen Woche ist ausgeschlossen. Die Dauer der Verkürzung ist innerhalb von zwei Wochen auszugleichen, so dass die tägliche Ruhezeit im Durchschnitt dieser zwei Wochen wieder eingehalten wird. Dieser Ausgleich soll den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen nach der verkürzten täglichen Ruhezeit eine verlängerte Ruhezeit zusichern. Dies bringt in der Regel keine Probleme, da normalerweise die tägliche Ruhezeit ohnehin mehr als elf Stunden beträgt. Zudem ist eine Verkürzung der täglichen Ruhezeit bei den bekannten Schichtsystemen mit verkürzter Ruhezeit für die einzelnen Arbeitnehmer nicht in jeder Woche notwendig.

Lange Rede kurzer Sinn: Der vorgesehene Arbeitseinsatz ist zulässig, jedoch höchstens einmal pro Woche und unter der Bedingung, dass die Verkürzung der täglichen Ruhezeit auf 8 Std. (statt 11) innerhalb von zwei Wochen auszugleichen ist.

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[1] Bundesgesetz betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht) vom 30. März 1911.

[2]             Siehe https://www.seco.admin.ch/seco/de/home/Arbeit/Arbeitsbedingungen/Arbeitsgesetz-und-Verordnungen/Wegleitungen.html  

[3] https://www.seco.admin.ch/seco/de/home/Arbeit/Arbeitsbedingungen/Arbeitsgesetz-und-Verordnungen/Wegleitungen/wegleitung-zur-argv-3.html#-918991098  

[4] Zum Begriff in der Lehre siehe: Geiser Thomas, in: Geiser Thomas/von Kaenel Adrian/Wyler Rémy (Hrsg.), Loi sur le travail, Loi fédérale du 13 mars 1964 sur le travail dans l'industrie, l'artisanat et le commerce, Bern 2005, Art. 3 N 29.