Guten Tag
Ich habe Mühe mit der Definition der Arbeitnehmereigenschaft. Gemäss SKOS lautet diese:
Sozialhilfe Personen mit einer Aufenthaltsbewilligung B EU/EFTA haben, solange sie über Arbeitnehmereigenschaften verfügen, Anspruch auf Sozialhilfe. Verlieren sie die Arbeitnehmereigenschaften, geht grundsätzlich auch der Anspruch auf Sozialhilfe unter, falls kein anderer Aufenthaltsanspruch geltend gemacht werden kann.
Was genau heisst kein anderer Aufenthaltsanspruch?
Ich habe eine Anmeldung erhalten von einer Person, welche nicht mehr am arbeiten ist. Aus gesundheitlichen Gründen befindet sich diese Person in einem Heim. Die Sozialarbeiterin des Heims hat bei uns den Antrag gestellt. Hat diese Person aufgrund der Arbeitnehmereigenschaft überhaupt Anrecht auf Sozialhilfe oder müsste diese aufgrund des nicht Erfüllens verwehrt werden?
Wie sieht es aus, wenn diese Person eine IV Anmeldung gemacht hat. Muss dann die Sozialhilfe bevorschussend handeln oder aufgrund der Arbeitnehmereigenschaft den Antrag ablehnen?
Besten Dank für ihre Antwort.
Frage beantwortet am
Anja Loosli
Expert*in Sozialhilferecht
Guten Tag
Vielen Dank für Ihre Frage. Darf ich mir zur Beantwortung Ihrer Frage eine Rückfrage erlauben: Innerhalb welcher Zeit ab Aufenthalt hat die betroffene Person ihre Stelle verloren? Innerhalb von 12 Monaten seit Beginn des Aufenthalts oder danach?
Ich bedanke mich für Ihre wertvolle Unterstützung.
Freundliche Grüsse
Anja Loosli Brendebach
Guten Tag Frau Loosli
Folgendes Beispiel kann ich Ihnen nennen:
Frau D. ist aus Deutschland und am 6. September 2021 in die Schweiz eingereist. Sie verfügt über einen Ausweis EU/EFTA, Aufenthaltstitel B mit Berechtigung für Erwerbstätigkeit, gültig bis 5.9.2026. Ihr Arbeitsverhältnis in der Schweiz dauerte vom 14.6.2021 bis 12.9.2021. Seither ist sie erwerbslos.
Wie sieht es aber aus, wenn Frau D. 1 Jahr gearbeitet hat, anschliessend ALTG erhält und dann ausgesteuert wird? Der Ausweise wäre dann immer noch gültig.
Besten Dank und freundliche Grüsse
Frage beantwortet am
Anja Loosli
Expert*in Sozialhilferecht
Guten Tag
Ich bedanke mich bestens für Ihre wertvolle Unterstützung und kann Ihnen folgende Antwort geben:
1. Sachverhalt von Frau D.: Verlust der Arbeitsstelle vor Ablauf der ersten 12 Monate des Aufenthalts
Wenn EU-/EFTA-Staatsangehörige mit einer Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA die Erwerbstätigkeit in den ersten zwölf Monaten ihres Aufenthalts in der Schweiz unfreiwillig beenden, dann bleibt die Bewilligung bis zum Ablauf der in Art. 61a Abs. 1 AIG vorgesehenen Frist von sechs Monaten bzw. bis zum Ende der darüber hinausgehenden Arbeitslosenentschädigung gültig (Art. 61a Abs. 2 AIG; Weisungen VEP, Kapitel 8.3.2.3). Ein Aufenthaltsrecht zwecks Stellensuche bleibt bestehen oder kann gewährt werden, wenn die Ausländerin oder der Ausländer über ausreichende finanzielle Mittel verfügt (Weisungen VEP, Kapitel 8.3.2.4). Im Zeitraum von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bis zum Erlöschen des Aufenthaltsrechts nach Art. 61a Abs. 1 und 2 AIG besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Sozialhilfe (Art. 61a Abs. 3 AIG). Diese Bestimmung ist direkt anwendbar und bedarf keiner Umsetzung im kantonalen Recht.
Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund vorübergehender Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit, Unfall oder Invalidität sowie für Personen, die sich auf ein Verbleiberecht gemäss Art. 4 Anhang I FZA berufen können, gelten die Abs. 1-4 von Art. 61a AIG nicht (Art. 61a Abs. 5 AIG). Es besteht dann ein Anspruch auf ordentliche Unterstützungsleistungen.
Weiter besteht ein Anspruch auf ordentliche Unterstützungsleistungen, wenn ein Verbleiberecht aus familiären Gründen in Frage kommt. Das ist beispielsweise der Fall, wenn die betreffende Person mit einer bzw. einem Schweizer Staatsangehörigen verheiratet ist oder in eingetragener Partnerschaft lebt. Hat der Ehegatte bzw. die Ehegattin der betreffenden Person gestützt auf das Personenfreizügigkeitsabkommen einen eigenen Anspruch auf Aufenthalt in der Schweiz, stützt sich das Verbleiberecht auf die Bewilligung dieser Familienangehörigen.
Schliesslich besteht nach Art. 4 Anhang I FZA ein Verbleiberecht, wenn eine Person dauernd arbeitsunfähig geworden ist (und die Beschäftigung deswegen aufgegeben hat) und sich während der letzten zwei Jahre (im Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit) ständig in der Schweiz aufgehalten hat.
Fazit: Da Frau D. eine Aufenthaltsbewilligung B EU/EFTA hat und ihre Stelle innerhalb der ersten 12 Monate seit Aufenthalt verloren hat, hat sie nach Art. 61a Abs. 3 AIG grundsätzlich keinen Anspruch auf ordentliche Unterstützungsleistungen der Sozialhilfe sondern lediglich ein Anspruch auf Nothilfe nach Art. 12 BV. Da Frau D. ihre Stelle aber offenbar aus gesundheitlichen Gründen verloren hat, kommt Art. 61a Abs. 5 AIG zur Anwendung, was bedeutet, dass sie Anspruch auf ordentliche Sozialhilfe hat.
2. Verlust der Arbeit nach den ersten 12 Monaten des Aufenthalts
Bei unfreiwilliger Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach den ersten zwölf Monaten des Aufenthalts erlischt das Aufenthaltsrecht von Inhaberinnen und Inhabern einer Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA innerhalb von sechs Monaten nach Beendigung der Erwerbstätigkeit. Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die länger als sechs Monate Arbeitslosenentschädigung beanspruchen können, erlischt das Aufenthaltsrecht sechs Monate nach dem Ende dieser Entschädigung. Solange eine Bewilligung besteht, besteht auch ein Anspruch auf ordentliche Unterstützungsleistungen der Sozialhilfe. Findet die betreffende Person bis zum Ablauf der genannten Fristen keine Stelle und hat kein anderes Aufenthalsrecht, wird die Bewilligung durch die kantonale Migrationsbehörde widerrufen, da der Aufenthaltsanspruch beendet ist. Mit dem rechtskräftigen Widerruf der Aufenthaltsbewilligung geht auch der Anspruch auf ordentliche Sozialhilfe unter.
Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort weiterhelfen zu können.
Freundliche Grüsse
Anja Loosli Brendebach