Errichtung einer Beistandschaft per 01.08.2023. Bis dahin einige Mietausstände. Ab 08.2023 wurden alle Mieten bezahlt. Bis und mit 01.2024 wurde im Gegenzug auch der Lohn regelmässig überwiesen. Die Löhne 02./03./04.2024 wurden nicht mehr bezahlt sondern vollständig mit den ausstehenden Mieten aus der Zeit vor 08.2023 verrechnet.
Darf der Vermieter, der gleichzeitg Arbeitgeber ist, Mietschulden mit Lohnansprüchen des Mieters/Arbeitnehmers verrechnen? Falls ja, dürfen auch alte Mietschulden mit späteren Lohnansprüchen verrechnet werden? Falls nein, wie argumentiere ich dem Arbeitgeber/Vermieter gegenüber bzw. welche Schritte muss ich einleiten?
Frage beantwortet am
Kurt Pärli
Expert*in Arbeitsrecht
Sehr geehrte Fragesteller/in
Gerne nehme ich zur Ihrer interessanten Fragen wie folgt Stellung:
Der Fall betrifft verschiedene Themen, die ich nachfolgend der Reihe nach abhandle. Zu örtern ist der Vertrag, es handelt sich um einen gemischten Vertrag, der sowohl Elemente des Miet- als auch das Arbeitsvertrages enthält. Nach diesen Ausführungen sind zum einen die Rechtsfolgen des Verzugs bei Mietschulden und zum anderen die rechtlichen Möglichkeiten der Verrechnung des Lohnes mit Forderungen des Arbeitgebers darzustellen. Die Abhandlungen gipfeln in einer Zusammenfassung und Empfehlungen für das weitere Vorgehen.
I) Qualifikation des Vertrags
Im Sachverhalt ist nicht dargestellt, ob Ihr Klient zwei Verträge – einen Arbeitsvertrag und einen Mietvertrag - abgeschlossen hat oder ob die Erbringung einer Arbeitsleistung in untergeordneter Stellung und die Miete einer der dem Arbeitgeber gehörenden Wohnung in einem Vertrag erfasst sind. Im ersten Fall werden alle Fragen wie Kündigung, ausstehende Mieten oder ausstehende Lohnzahlungen je nach Arbeits- bzw. Mietrecht beurteilt. Im zweiten Fall handelt es sich um einen gemischten oder zusammengesetzten Vertrag. Typischerweise kommen solche Verträge vor, wenn ein Mieter einer Wohnung zusätzlich noch Hauswartsarbeiten übernimmt. Literaturhinweis: Kaufmann Michelle, Der Hauswartsvertrag nach schweizerischem Arbeitsrecht, Zürich/St. Gallen 2022.
Die Rechtsfolgen: Liegen zwei Verträge vor, so sind Mietzinsausstände nach Mietvertragsrecht und die Frage der Zulässigkeit einer Verrechnung von Forderungen des Arbeitgebers mit den Lohnforderungen des Arbeitnehmers nach Arbeitsrecht zu beurteilen. Liegen hingegen ein gemischter Vertrag vor, so kommt es darauf an, ob die miet- oder arbeitsrechtlichen Elemente überwiegen. Im Streitfall kommt das Recht des überwiegenden Teils des Vertragsinhalts zur Anwendung.
Zwischenergebnis: Klären Sie mit ihrem Klienten die Vertragssituation, existieren sowohl ein Miet- als auch ein Arbeitsvertrag oder gibt es nur einen Vertrag?
II) Mietrecht – ausstehende Mietzinszahlungen
Wer die für eine Wohnung geschuldeten Mietzinse oder Nebenkosten nicht rechtzeitig bezahlt, kann von der Vermieterschaft eine Zahlungsfrist von 30 Tagen angesetzt erhalten, verbunden mit der Drohung einer Kündigung. Wird die Miete nicht innert 30 Tagen bezahlt, kann die Vermieterschaft mit einer Frist von weiteren 30 Tagen auf das Ende eines Monats kündigen.
Gesetzliche Grundlage:
Art. 257d (OR)
4. Zahlungsrückstand des Mieters
1 Ist der Mieter nach der Übernahme der Sache mit der Zahlung fälliger Mietzinse oder Nebenkosten im Rückstand, so kann ihm der Vermieter schriftlich eine Zahlungsfrist setzen und ihm androhen, dass bei unbenütztem Ablauf der Frist das Mietverhältnis gekündigt werde. Diese Frist beträgt mindestens zehn Tage, bei Wohn- und Geschäftsräumen mindestens 30 Tage.
2 Bezahlt der Mieter innert der gesetzten Frist nicht, so kann der Vermieter fristlos, bei Wohn- und Geschäftsräumen mit einer Frist von mindestens 30 Tagen auf Ende eines Monats kündigen.
Neben der Kündigung des Mietverhältnisses haben Vermieter die Möglichkeit, ihre Forderungen auf dem Betreibungswege durchzusetzen.
III) Lohn und Verrechnung des Lohnes
Der Arbeitnehmer hat Anspruch auf Lohn für die geleistete Arbeit. Zu prüfen gilt es, ob die Lohnforderung des Arbeitnehmers mit einer Forderung des Arbeitgebers verrechnet werden darf. Die rechtliche Grundlage dafür findet sich in Art. 323b OR. Die Bestimmung lautet:
Art. 323b
1 Der Geldlohn ist dem Arbeitnehmer in gesetzlicher Währung innert der Arbeitszeit auszurichten, sofern nichts anderes verabredet oder üblich ist; dem Arbeitnehmer ist eine schriftliche Abrechnung zu übergeben.
2 Der Arbeitgeber darf Gegenforderungen mit der Lohnforderung nur soweit verrechnen, als diese pfändbar ist, jedoch dürfen Ersatzforderungen für absichtlich zugefügten Schaden unbeschränkt verrechnet werden.
3 Abreden über die Verwendung des Lohnes im Interesse des Arbeitgebers sind nichtig
Entscheidend ist vorliegend Art. 323b Abs. 2 OR. Nach Lehre und Rechtsprechung gilt die Verrechnungsbeschränkung für alle Forderungen des Arbeitgebers, also nicht nur auf solche, die ihren Ursprung im Arbeitsverhältnis haben wie bsw. eine Forderung des Arbeitgebers gestützt auf Art. 321e OR.
Exemplarisch dafür steht der Entscheid des Obergericht des Kantons Basel-Landschaft, Urteil vom 11. September 2000 (teilweise Bestätigung des Urteils des Bezirksgerichtes Arlesheim vom 19. Januar 2000). Aus der Lehre: (Streiff Ullin/von Kaenel Adrian/Rudolph Roger, in: Arbeitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 319-362 OR, 7. Aufl., Zürich - Basel - Genf 2012, Art. 323b.
Als Zwischenergebnis ist mitzunehmen: Die Arbeitgeberin ihres Klienten darf ihre Mietzinsforderungen mit dem Lohnanspruch ihres Klienten verrechnen. Die Verrechnung ist aber nicht unbeschränkt zulässig. Das Existenzminimum ist dem Arbeitnehmer zu belassen.
Die Pfändbarkeit des Lohnes ergibt sich aus dem betreibungsrechtlichen Existenzminimum, dass durch Art. 93 SchKG geschützt wird. D.h. die Arbeitgeberin hat den unpfändbaren Teil des Lohnes zu bezahlen und kann die Mietzinsforderung mit dem restlichen Lohn verrechnen. Ist danach die Mietzinsforderung noch nicht getilgt, hat sie den Rest dem Arbeitnehmer als Mieter in Rechnung zu stellen.
Verrechenbar sind alle Forderungen, die fällig sind. Das heisst, der Arbeitgeber ihres Klienten kann alle fälligen Mietzinsforderungen mit dem Lohnanspruch des Arbeitnehmers verrechnen. Das nicht pfändbare Existenzminimum ist jedoch dem Arbeitnehmer zu belassen.
IV) Zusammenfassende Beurteilung und Empfehlung für das weitere Vorgehen
Es ist zu klären, wie das Miet- und Arbeitsvertragsverhältnis im konkreten Fall zusammenhängen (dies ist wichtig für den Fall, dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht mehr einige sind und entweder das Miet- oder Arbeitshältnis gekündigt wird. Je nach dem ist das Kündigungsschutzrecht des Mietrechts oder dasjenige des Arbeitsvertragsrechts anwendbar).
Zur Verrechnung: die Arbeitgeberin ist berechtigt, ihre Mietzinsforderungen mit der Lohnforderung des Arbeitnehmers zu verrechnen. Verrechenbar sind alle fälligen Mietzinsforderungen, also auch diejenigen, die bereits eine Weile zurückliegen.
Die Verrechenbarkeit des Lohnes ist aber auf den Teil beschränkt, der über dem betreibungsrechtlichen Existenzminimum liegt (dazu z.B. https://www.arbeit.swiss/dam/secoalv/de/dokumente/formulare/arbeitslose/Formular%20und%20Wegleitung%20zur%20Berechnung%20des%20Existenzminimums%20DE.pdf.download.pdf/Formular%20und%20Wegleitung%20zur%20Berechnung%20des%20Existenzminimums%20DE.pdf )
Wie ist nun vorzugehen, wenn die Arbeitgeberin den ganzen Lohn mit der Mietzinsforderung verrechnet? Diesfalls steht die Arbeitgeberin gegenüber dem Arbeitnehmer in der Schuld und zwar im Umfang des betreibungsrechtlichen Existenzminimums. Ihr Klient kann nun seinerseits gegen den Arbeitgeber betreibungsrechtlich Vorgehen und den ausstehenden Lohn einklagen und durchsetzen. Zu beachten ist beim Ganzen, dass ausstehende Mietzinse die Kündigung des Mietvertrages zur Folge haben können.
Genügen Ihnen diese Auskünfte? Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen
Kurt Pärli