Zum Inhalt oder zum Footer

Arbeiten mit 100% Erwerbsunfähigkeit

Veröffentlicht:
19.07.2021
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialversicherungsrecht

Guten Tag

Ich habe einen Klienten, welcher per August 2021 eine volle IV-Rente (100% Erwerbsunfähigkeit) zugsprochen erhält. 

Gerne möchte er aber irgendetwas arbeiten, nicht primär des Verdienstes wegen, sondern zum Erhalt einer Tgesstruktur. 

Ich gehe davon aus, dass eine Anstellung im 1. Arbeitsmarkt nicht möglich ist, da er 100% erwerbsunfähig ist und sein Invalideneinkommen dementsprechend CHF 0.- sein müsste. Wie sieht dies aus mit einer Beschäftigung im 2. Arbeitsmarkt? Dort wird ja auch ein reduzierter Stundenlohn bezahlt. Und wie ist dies geregelt mit dem Pensum? Kann jemand mit einer vollen IV-Rente mit einem 100% Pensum auf dem 2. Arbeitsmarkt arbeiten? Darf er überhaupt etwas verdienen?

Vielen Dank für Ihre Antwort und freundliche Grüsse

S. Herzog

Frage beantwortet am

Daniel Schilliger

Expert*in Sozialversicherungsrecht

Guten Tag Herr Herzog

Die Invalidität wird in der Regel durch einen Einkommensvergleich bemessen. Dabei wird das Invalideneinkommen dem Valideneinkommen gegenübergestellt. Das Invalideneinkommen ist das Einkommen, das die Person mit ihrer Beeinträchtigung zumutbarerweise noch verdienen kann. Das Valideneinkommen, das Einkommen, das sie heute ohne Beeinträchtigung verdienen würde (Art. 16 ATSG). Die Differenz (in Prozent gesetzt zum Valideneinkommen), entspricht dem IV-Grad. Das führt zu folgender Formel:

(Valideneinkommen – Invalideneinkommen) x 100: Valideneinkommen= IV-Grad

Wie hoch diese Einkommen sind, hängt von den konkreten Zahlen ab, die in der IV-Verfügung ersichtlich sind.

Eine ganze Rente gibt es bereits bei einem IV-Grad ab 70%. Das bedeutet, dass Menschen mit einer ganzen Rente durchaus ein Einkommen erzielen können, ohne dass die Rente unmittelbar gefährdet wäre.

Beispiel: Bei einem Valideneinkommen von 60'000.-, kann eine Person 18'000.- verdienen und hat immer noch einen IV-Grad von 70% {(60'000 – 18'000) x100 : 60'000 = 70}. Es kann sich nun bei diesem Einkommen um einen Teilzeitjob in der freien Wirtschaft oder einen Vollzeit Job in einer geschützten Werkstätte handeln.

Gemäss Art. 17 ATSG und Art. 87ff. IVV wird eine IV-Rente überprüft und allenfalls angepasst, wenn sich der ihr zu Grunde liegende Sachverhalt nachträglich erheblich verändert hat.

Faustregel: Solange die Einkommensveränderung an der ganzen Rente (IV-Grad mind. 70%) nichts ändert, wird die Rente grundsätzlich weiterlaufen.

Es gibt jedoch auch Konstellationen, die dieser Faustregel widersprechen und es entsprechend eine genauere Prüfung braucht. Das sind beispielsweise Fälle, bei denen der IV-Grad mit der gemischten Methode festgesetzt wurde oder ausschliesslich mit dem Betätigungsvergleich, also Fälle wo die IV annimmt, dass die Person nicht oder nicht nur ausserhäuslich erwerbstätig wäre, sondern auch Haus- und Familienarbeit verrichten würde.

Erfahrungsgemäss sind auch Fälle mit psychosomatischen Krankheitsbildern heikel, bei denen schon lange keine Überprüfung (Revision) mehr gemacht wurde.

Wenn nicht nur der geschützte Arbeitsmarkt, sondern auch die freie Wirtschaft in Frage kommt, kann es sinnvoll sein, die IV mit ihren Eingliederungsinstrumenten miteinzubeziehen.

Schliesslich noch der Hinweis auf die Meldepflichten: Einkommensveränderungen müssen nicht nur der IV, sondern auch weiteren Versicherungen wie z.B. der EL gemeldet werden, wenn die Leistungen ausrichten.

Generell ist es schade nur aus Angst vor einer Rentenrevision den Schritt in die Arbeitswelt nicht zu wagen. Bei Unsicherheit kann eine Beratung bei einer Behindertenorganisation helfen.  

Freundlicher Gruss

Daniel Schilliger