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Anzahl Bewerbungen bei massiver Sehminderung

Veröffentlicht:
01.02.2017
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Arbeitsrecht

Sehr geehrter Herr Pärli
Das Anstellungsverhältnis einer sehr stark Sehbehinderten Verkäuferin (56 J.) wurde Ende Dezember 16 nach dreimonatiger Kündigungsfrist fristgerecht beendet.
Die Frau leidet an fortschreitender Netzhautablösung. Ihre Sehschwäche nimmt ständig ab (das ist durch regelmässige Augenarztkontrollen belegt). Sie wird leider früher oder später erblinden.
Bisher konnte diese Frau 80% arbeiten und sich den Arbeitsalltag recht gut einrichten. Sie kam erst an ihre Grenzen, als neue Digitale Kassen eingeführt wurden. Das Display blendet sie und ist zu klein. Auch sog. Filter- und Spezialbrillen sorgten nicht für Abhilfe.
Wir haben die Klientin bereits im November 16 bei der IV angemeldet. Bereits 2006 wurden Leistungen der IV abgelehnt. Damals sah die Klientin noch bedeutend besser.
Die Frau ist nun beim RAV (Kanton VS). Dort ist für ein Berater zuständig, der sich um Arbeitslose Menschen kümmert, die bei der IV angemeldet sind.
Die Frau muss trotz ihrer Sehbehinderung monatlich 10 Bewerbungen schreiben. Das belastet sie sehr.
Meine Frage: Hat die Frau aufgrund ihrer Sehminderung, ein Anrecht auf Nachteilsausgleich? D.h., dass sie weniger Bewerbungen schreiben muss. Gibt es gesetzliche Grundlagen oder ist das Verhandlungssache? Gäbe es ein Argumentarium?
Vielen Dank für Ihre Antwort
Freundliche Grüsse Daniel Balmer

Frage beantwortet am

Kurt Pärli

Expert*in Arbeitsrecht

Sehr geehrter Herr Balmer
Gerne beantworte ich Ihre Frage wie folgt:
Das Erfordernis der persönlichen Arbeitsbemühungen sind Ausdruck der Schadenminderungspflicht, der auch in der Arbeitslosenversicherung Anwendung findet. Gemäss Praxis ist es zulässig, von der versicherten person durchschnittlich 10 bis 12 Stellenbewerbungen pro Monat zu verlangen. Von der Anzahl der erforderlichen Bewerbungen kann aber im Einzelfall auch abgewichen werden, es kommt immer auf die konkreten persönlichen Verhältnisse an.
Die zu starke Betonung der gesundheitlichen Beeinträchtigung (um weniger Bewerbungen einreichen zu müssen), kann sich auch als Bumerang erweisen. Eine weitere Voraussetzung des Bezugs von Arbeitslosenversicherungstaggeldern ist die Vermittlungsfähigkeit. Wer aufgrund gesundheitlicher Probleme nicht arbeiten kann, ist vermittlungsunfähig und damit enthällt der Anspruch auf Arbeitslosenversicherungsleistungen (nur bei vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit werden Leistungen gewährt).
Wenn wie im vorliegenden Fall die Arbeitsfähigkeit eingeschränkt ist oder zumindest Zweifel an der Arbeitsfähigkeit bestehen, empfiehlt sich ggf. eine IV-Anmeldung. ihre Klientin würde diesfalls bei der Arbeitslosenversicherung bis zum Entscheid der IV als vermittlungsfähig gelten. Sie muss sich aber in der Zwischenzeit weiterhin um Stellen bemühungen.
Noch ein Wort zum Nachteilsausgleich: Das Behindertengleichstellungsgesetz BehiG sieht zur Beseitigung behinderungsbedingter Nachteile einen Rechtsanspruch auf Beseitigung der Nachteile vor. Allerdings umfasst der Anwendungsbereich des BehiG die Sozialversicherungen nicht, m.a.W., aus dem BehiG lassen sich für Ihre Klientin keine Ansprüche ableiten.
Zusammenfassend: Ihre Klientin muss ausreichende Arbeitsplatzbemühungen nachweisen, eine Reduktion der geforderten Anzahl ist sorgfältig mit dem RAV-Berater abzuklären. Ggf. ist eine IV-Anmeldung sinnvoll. Auf dem Behig lassen sich (leider) keine Ansprüche ableiten.
Genügen Ihnen diese Auskünfte?
Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen
Kurt Pärli

Vielen Dank für Ihre Ausführungen. Die Klientin wurde (wie beschrieben) bereits 11/2016 bei der IV angemeldet.
Beste Grüsse